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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Besuch bei dem Gewerkschaftskollegen und Aktivisten Pawlo Lysjanskyi
von Georg Heidel*

Anfang des Jahres besuchte Pawlo Lysjanskyi, stellvertretender Vorsitzender der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine (NPGU), die Bundesrepublik, um über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter und ihrer Angehörigen zu informieren. Die Reise führte ihn durch mehrere Städte der Bundesrepublik, auch nach Berlin. Seine Berichte vermittelten einen guten Einblick in die Lebensverhältnisse seiner Kolleginnen und Kollegen, vor allem vom Leid und der Not auf beiden Konfliktseiten unter den Bedingungen des Krieges.
Pawlo lebt und arbeitet im Osten der Ukraine in der Stadt Lissitschansk, dicht an der Frontlinie zwischen den militärischen Kräften der ukrainischen Regierung und den Kämpfern der Separatisten in Donez und Lugansk.
Im Sommer ergab sich im Rahmen einer längeren Reise mit dem Auto in den Osten der Ukraine ein Besuch bei Pawlo, 2300 Kilometer von Berlin entfernt. Wer zum erstenmal übers Land durch die Ukraine fährt, der kann nur beeindruckt sein von der Weite und Schönheit dieser Region und der freundlichen Bescheidenheit der dort lebenden Menschen. Eine Zwischenstation in Kiew machte die unterschiedlichen Facetten des Landes und seiner Bevölkerung deutlich.
Die Stadt Kiew wirkt mit ihren Bauten und Denkmälern etwas gigantisch im Vergleich zu Berlin; die Geschichte und Gegenwart des Landes spiegeln sich in ihr wider. Der Fluss Dnepr teilt die Stadt und in gewisser Weise auch das Land. Je weiter der Weg Richtung Osten führt, umso schlechter werden die Straßen – von neueren Ausnahmen abgesehen. Im Grenzgebiet gibt es Straßen, die so zerlöchert sind, dass kaum darauf gefahren werden kann – auch eine Folge der militärischen Auseinandersetzungen.
Je weiter die Fahrt in den Osten führte, desto mehr nahmen auch gelegentliche Kontrollpunkte und Straßensperren durch das Militär zu. Die Fahrzeugkontrollen waren zwar genau, aber es gab an den Kontrollpunkten kein schikanöses Verhalten der Soldaten, eher Verwunderung darüber, weshalb die Reise nun ausgerechnet in den Osten führen sollte. Während des Aufenthalts in der Stadt Rubishne, zirka 20 Kilometer von Lissitschansk entfernt, erlebten wir eher zufällig eine Veranstaltung zum «Jahrestag der Befreiung» von den Separatisten.
In Rubishne leben rund 70.000 Menschen, es gab einmal große Chemiebetriebe mit einer entwickelten städtischen und sozialen Infrastruktur. Nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetrepublik gingen dort, wie überall, viele Arbeitsplätze verloren, die Nähe zu Russland blieb aufgrund der ökonomischen Verbindungen für die Menschen eine Möglichkeit, nicht völlig wirtschaftlich abzustürzen. Dieser kleine Zweig ist jetzt spürbar weggebrochen, Betriebe und Geschäfte, die vor zwei Jahren noch aktiv waren, stehen jetzt leer. Wohl dem, der einen Garten hat und sich Obst und Gemüse selbst ziehen kann.
An der Veranstaltung zum «Jahrestag» nahmen vielleicht 100–150 Menschen teil, die aber auch aus anderen Städten dorthin gefahren wurden. Die Bevölkerung von Rubishne nahm an der Feier nicht teil, die kleine Gruppe der Feiergäste wirkte wie verloren auf dem Platz, alles andere wäre auch verwunderlich.
Die Stadt Rubishne bezieht z.B. ihren Strom aus dem Gebiet der Separatisten, die Versorgung damit fällt aber ein- bis zweimal in der Woche infolge von Beschuss aus; da gibt es nicht viel zu feiern. Die Sympathie für Kiew hält sich in klaren Grenzen, es gibt kaum Familien, die vom Konflikt nicht betroffen wären. Die Menschen haben ganz einfach die Nase voll von den kriegerischen Auseinandersetzungen.
Was das Verhältnis zu Russland betrifft, ist die Haltung eindeutig: bis vor kurzem hat man sich gut verstanden, es gab keine Probleme. Es spielte keine große Rolle, ob jemand in Russland oder der Ukraine geboren wurde, ganz viele Familien sind «national gemischt», ethnisch ohnehin gleich.
Der Besuch bei Pawlo in Lissitschansk bot die Möglichkeit zur Information aus erster Hand. In dem Gespräch ging es um die Bedingungen seiner Arbeit und die Aussichten für die Kolleginnen und Kollegen. Wir sollten nicht vergessen, dass es sich dort um einen Krieg handelt, der die Menschen dazu zwingt, sich um ganz grundlegende Bedürfnisse zu kümmern. Sie haben den Wunsch, dass endlich Schluss sein möge mit den Scharmützeln und Kriegshetzen. Mehr als 6500 Menschen haben bisher in dem Bürgerkieg zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee ihr Leben verloren!
Das nebenstehende Interview mit Pawlo wurde am 17.September geführt, die Fragen orientierten sich an unserem Gespräch im Juli. Aktive Gewerkschafter wie Pawlo braucht es noch viel mehr, wir müssen solidarisch sein und praktische Hilfe für seine mutige Arbeit und die seiner Kollegen leisten.

* Georg Heidel ist Mitglied des RSB und der Gewerkschaft Ver.di.

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