von Manfred Dietenberger
Humanitäre Hilfe ist das eine, Integration in den Arbeitsmarkt das andere. Wenn Deutschland ein Einwanderungsland werden will, dann wird es nicht reichen, Flüchtlinge am Bahnhof willkommen zu heißen und ihnen einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt zu bieten. Dann wird darauf zu achten sein, dass für Flüchtlinge dieselben sozialen Standards gelten wie für Menschen mit deutschem Pass. Es ist eine gewaltge Aufgabe, die da auf die Gewerkschaften zukommt. Denn natürlich sehen das die Unternehmer anders.
Unternehmer brauchen Arbeitskräfte, denn die Babyboomer gehen demnächst in Rente. Experten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Coburg haben im Auftrag der Bertelsmannstiftung errechnet, dass in Deutschland die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter ohne Zuwanderung von heute rund 45 Millionen auf 29 Millionen (–36%) im Jahr 2050 sinken würde. Die Ende März 2015 veröffentlichte Studie geht daher davon aus, dass jährlich im Durchschnitt 533.000 mehr Menschen zu- als abwandern müssten, um diese Lücke zu schließen. Selbst wenn ebensoviele Frauen wie Männer berufstätig wären und das Renteneintrittsalter auf 70 erhöht würde, brächte das lediglich zusätzliche 4,4 Millionen Erwerbstätige bis 2050.
Unter den Flüchtlingen sind sehr viele Handwerker, Facharbeiter und Studierte, fast alle unter 30 Jahre alt. Die können noch 40 Jahre lang die deutsche Profitwirtschaft ankurbeln, ohne dass die Unternehmen in ihre Ausbildung groß investieren müssten; sie können in die Sozialkassen einzahlen und die industrielle Reservearmee erhöhen. Das ist für die Unternehmer noch profitabler, als das Rentenalter auf 70 heraufzusetzen.
Vor diesem Hintergrund bewertet Erich Schweitzer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) das von jetzt von der Großen Koalition beschlossene Maßnahmenpaket zur Flüchtlingspolitik grundsätzlich positiv: «Die Vereinbarungen des Koalitionsausschusses enthalten auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt eine Reihe sinnvoller Weichenstellungen. So richtig es ist, dass man Menschen, die aus dem Balkan zu uns kommen, keine unerfüllbaren Hoffnungen macht, so richtig ist es auch, motivierten und qualifizierten Personen aus diesen Ländern Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu eröffnen.» Die deutsche Sprache sei «das A und O». Das von der Regierung angekündigte zusätzliche Engagement in diesem Bereich sei für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive «ein entscheidender Baustein der Integrationsstrategie». Auch Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer fordert Änderungen im deutschen Bleiberecht für Flüchtlinge, damit Betriebe diese als Lehrlinge einstellen können. «Wir müssen uns um die kümmern, die schon hier sind, aber auch um die, die neu hier nach Deutschland kommen. Die können wir nicht monatelang in einer Wohnung sitzen lassen. Flüchtling ist kein Beruf.»
Gewerkschaften auf der Seite der Flüchtlinge
Anfang September erklärte der DGB sich per Beschluss des DGB-Bundesvorstands solidarisch mit den Flüchtlingen. «Sie suchen Schutz vor Gewalt, Verfolgung und menschenunwürdigen Verhältnissen. Die Gewalt und die Ablehnung, mit der sie zum Teil in Deutschland konfrontiert würden, sind nicht tolerierbar.» Die Flüchtlinge dürften nicht in die Kategorien «gut» oder «schlecht» aufgeteilt werden. Solche Zuordnungen bildeten den Nährboden für Stammtischparolen und rechtspopulistische Aktionen. Flüchtlinge haben «ein Recht auf Perspektive und gleiche Teilhabechancen», so der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe ergänzt, dazu gehöre auch das Recht auf Schulbesuch. Das sei ein Grundrecht, «und zwar auch für Flüchtlingskinder».
Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall (IGM) stellt fest: «Die IG Metall wird eine solidarische und nachhaltige Flüchtlingspolitik mit ihrer ganzen Kraft unterstützen.» Aufs Schärfste verurteilt der IG-Metall-Vorstand Gewalt gegen Flüchtlinge: «Der Rechtsstaat muss die Gewalttäter konsequent verfolgen und bestrafen.» Die Flüchtlinge brauchten eine Perspektive, Respekt und Anerkennung. Als ganz konkrete Sofortmaßnahme hat der IG-Metall-Vorstand angekündigt, den örtlichen Gliederungen der IGM insgesamt 500.000 Euro zur Verfügung zu stellen, um vor Ort lokale Hilfsprojekte zu unterstützen. Darüber hinaus will die IG Metall die Integration der Flüchtlinge mit Patenschaften und Mentoring-Programmen fördern helfen und für Solidarität mit den Flüchtlingen werben.
Das sind gute Vorhaben und es ist positiv, dass die IG Metall an der derzeitigen großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung anknüpft. Es wird jedoch auch notwendig sein, möglichen Spaltungstendenzen in den Betrieben zwischen den «Alten» und den neu hinzustoßenden Flüchtlingen aktiv zu begegnen, indem über auftretende Probleme offen geredet wird, etwa indem die nächste reguläre Betriebsversammlungen noch in diesem Jahr ganz unter das Motto der Integration der Flüchtlinge in die Arbeitswelt gestellt wird.
Konfliktpunkte
Ein sich abzeichnender Konfliktpunkt ist die Zeitarbeit. Der DIHK-Präsident bewertet die von der Bundesregierung in ihrem neuen Gesetz vorgesehenen Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang durch Aufweichung der Regelungen bei der Zeitarbeit natürlich positiv, das werde beim Einstieg in Beschäftigung helfen.
Die IG Metall stellt jedoch klar, Flüchtlinge dürften nicht dazu missbraucht werden, soziale Schutz- und Gestaltungsregeln zu unterlaufen. Alle ihre Mitglieder sollten sich für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt einsetzen. Die Flüchtlinge bräuchten Zugang zum Arbeitsmarkt, zu berufsbezogenem Sprachunterricht, zu Qualifikationsmaßnahmen. Dabei dürften aber keine bestehenden Standards unter Druck geraten. Die IG Metall werde nicht zulassen, dass Arbeitgeber die Flüchtlingssituation missbrauchen, um Lohndumping zu betreiben. Sie begrüßt die Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge nach drei Monaten Aufenthalt, dass ihnen danach der Einstieg ins Arbeitsleben jedoch primär über eine Lockerung der Leiharbeitsregelungen ermöglicht werden soll, lehnt sie ab. Das sei das falsche Signal, weil damit neue Missbrauchsmöglichkeiten entstehen, die zu einer Ausweitung von Leiharbeit führen könnten. «Die Leitlinie muss sein, Perspektiven und Sicherheit am Arbeitsmarkt für alle zu schaffen», sagt Detlef Wetzel. Dazu brauche es wirksame Kontrollen durch die zuständigen Institutionen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) müsse die Qualifikationen der Asylbewerber bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen erfassen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält Bundeswehr-Hilfseinsätze zur Versorgung von Flüchtlingen für «unsinnig». Menschenwürdige Unterkünfte und gesundheitliche Versorgung anzubieten sei ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt, so der GdP-Vorsitzende Jörg Radek. Die aktuelle Lage sei kein Notstand, sondern eine Folge des bundesweiten Ressoursenabbaus für Not- und Katastrophenlagen. Statt Bundeswehrhilfe bräuchte es mehr Geld von Bund und Ländern für die Kommunen. Außerdem fordert er mehr Personal.
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) fordert eine schnelle Lösung für die Unterbringung von Flüchtlingen. Der IG-BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger sagt dazu: «Die Temperaturen fallen jetzt. Eine Unterbringung in Zelten bis in den Winter hinein ist eine Zumutung für die Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen. Die große Koalition muss daher den Bau von festen Wohnungen beschleunigen. Die Eile darf jedoch nicht dazu führen, dass Flüchtlinge in halbfertige Baracken ziehen müssen oder Bauten entstehen, mit denen man nach Ende der Fluchtbewegungen nichts mehr anfangen kann. Vielmehr sollte der Standard sein, dass die Unterkünfte von vornherein so gebaut werden, dass sie anschließend mit geringem Umbauaufwand als Sozialwohnungen oder altengerechte Wohnungen weiter genutzt werden können.»
Aus Sicht der IG BAU sollte der Bau von Flüchtlingswohnraum neben dem Staat auch von privater Hand erfolgen. «Für Investoren muss der Bau von Wohnungen gerade im Niedrigpreis-Segment deutlich attraktiver werden, damit sie nicht nur in Häuser für Flüchtlinge, sondern insgesamt in dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum investieren», sagt Feiger. Dafür will Feiger den Investoren Anreize in Form höherer steuerlicher Abschreibung bieten (3% statt wie bisher 2%). Da reibt man sich doch eher die Augen, dass Unternehmen, die derzeit eh nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, auch noch Steuererleichterungen angeboten werden sollen. Massive Investitionen in den sozialen Wohnungsbau sind überfällig, nicht nur für Flüchtlinge, auch für Hartz-IV-Bezieher und Einkommensschwache allgemein fehlen angemessene und bezahlbare Wohnungen.
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