von Gaston Kirsche
«Simon Brenner», «Iris Schneider», «Maria Block» – unter diesen Tarnnamen haben drei Polizeibeamte in linken Szenen eifrig verdeckt ermittelt, was von Bespitzelten detailliert enthüllt wurde.
«Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für einen Repressionsapparat, der sich für allmächtig hält und seine Befugnisse im Verborgenen immer weiter ausbaut», erklärte eine Vertreterin des AK Spitzelklage aus Heidelberg. Vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe hatten sieben von «Simon Brenner» Bespitzelte als AK Spitzelklage gemeinsam Klage zur Feststellung der Unrechtmäßigkeit ihrer Observation eingereicht. Nach vier Jahren fand Ende August nun der Prozess statt, er endete am 26.August bereits am ersten Tag.
Denn bereits nach kurzer Zeit kam das Gericht zur Einschätzung, dass die «polizeiliche Überwachungs- und Kriminalisierungsmaßnahme zumindest gegen die klagende Zielperson absolut rechtswidrig gewesen sei», da die in der Einsatzanordnung genannten politischen Aktivitäten der Zielpersonen wie der aufgeführten linken Gruppen nicht im geringsten den Voraussetzungen genügen würden, die die Rechtslage vorsieht (§§20 und 22 des baden-württembergischen Landespolizeiaufgabengesetzes). «Die zugrunde gelegte Gefahrenprognose – eine angebliche Zunahme ‹linksextremistisch motivierter Gewalttaten in Baden-Württemberg im Jahre 2009› – sei offensichtlich nicht auf die damalige politische Situation im Rhein-Neckar-Kreis übertragbar», berichtet der AK Spitzelklage.
Neun Monate hatte der als «Simon Brenner» auftretende Simon B. bis zu seiner Enttarnung am 12.Dezember 2010 Hunderte von Dateien über Personen aus der Heidelberger Linken angelegt. Nur durch Zufall flog Simon B. auf, er wurde mit der Enthüllung konfrontiert und gab das ganze Ausmaß seiner Spitzeltätigkeit zu. «Mit dem heutigen Richterspruch haben nicht nur die KlägerInnen und die zahllosen weiteren Betroffenen aus Heidelberg Recht bekommen», erklärte der AK Spitzelklage, «er ist zudem ein klares Signal, das andere linke Gruppen vor ähnlichen Spitzelattacken schützt.»
Provokationen im Dienst
Das scheint eine zu optimistische Einschätzung, betrachtet man die Reaktionen der Hamburger Polizeiführung und der Landesregierung auf die Enttarnung der ehemaligen verdeckten Ermittlerin (VE) Maria B. alias «Maria Block». Am gleichen Tag, an dem in Karlsruhe die Unrechtmäßigkeit des Einsatzes von Simon B. festgestellt wurde, stellte eine Recherchegruppe das 20seitige Dossier «Enttarnung der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Maria ‹Block›» auf den eigens hierfür eingerichteten Blog «enttarnungen.blackblogs.org».
Erst zehn Monate ist es her, dass mit einem ähnlich detaillierten Dossier auf dem Blog «verdeckteermittler.blogsport.eu» der Einsatz der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Iris P. alias «Iris Schneider» (ebenfalls Hamburg, 2001–2006) enttarnt wurde. Beide Polizistinnen waren in und um das soziale Zentrum Rote Flora im Einsatz, Iris P. verletzte darüber hinaus noch die Pressefreiheit durch redaktionelle Mitarbeit im Freien Sender Kombinat.
Maria B. war von 2009 bis 2012 vor allem auf antirassistisch und antifaschistisch aktive Gruppierungen angesetzt. «Dieser Fall macht, im Zusammenhang mit der Enttarnung der LKA-Beamtin Iris P., erneut deutlich, dass die von der Hamburger Innenbehörde abgestrittenen Rechtsverletzungen System haben», schreibt die Recherchegruppe in ihrer ersten und bisher einzigen Presseerklärung. So habe auch Maria B. «regelmäßig Privatwohnungen betreten und wie die LKA-Beamtin P. in mindestens einem Fall unter ihrer Tarnidentität eine intime Beziehung geführt.»
Die Beamtin Maria B. forschte nicht nur antirassistische Strukturen der linken Szene Hamburgs massiv aus und beteiligte sich vielfältig an Aktionen. «Sie verschaffte sich über langjährige ‹Freundschaften› und mindestens ein sexuelles Verhältnis vielfältigen Zugang zum Privatleben und Privaträumen linker AktivistInnen», heißt es weiter. «Sie lud oft auf ein Bierchen im Park ein», veranstaltete «gemeinsame Kochabende», ging immer gerne mit in die Kneipe. «Neben den über diese ‹Freundschaften› erlangten Informationen konnte sie sich durch diese Beziehungen Vertrauen erschleichen und in vielen linken Zusammenhängen teilnehmen.»
Aktiv wirkte sie an der Organisation von Veranstaltungen, Kongressen und Demonstrationen in den Bereichen Antirassismus, Antifaschismus, Wohnraum und Anti-Atom- sowie Klimakämpfen. Über das offene Plenum der AntiRa-Kneipe in der «Hafenvokü» in den ehemals besetzten Häusern der Hafenstraße schleuste sich Maria B. in ihre erste linke Gruppe ein. «Im Rahmen ihrer jahrelangen Ermittlungen war sie auch an strafrechtlich relevanten Aktionen beteiligt.»
Maria B. beteiligte sich an der Vorbereitung antirassistischer Kongresse in der Roten Flora. Als auffällig bilanziert die Recherchegruppe «dass sie wiederholt versuchte, radikalere bis militante Positionen öffentlich anschlussfähig zu machen, die für den Rahmen unangebracht waren». Dies ging über eine Selbstinszenierung als vermeintlich radikale Linke hinaus in Richtung plumper Provokation.
Bei einem Vorbereitungstreffen zur Antinazidemo am 2.Juni 2012 brachte sie etwa die Formulierung «Nazis die Beine brechen» ins Spiel. Bei dieser Protestaktion gegen den «Tag der deutschen Zukunft» war sie an der internen Kommunikation der Demonstrationsleitung beteiligt und kannte das nichtöffentlich entwickelte Demokonzept so gut, dass offenkundig aufgrund ihrer Berichte die Polizeiführung jeden effektiven Versuch, der Nazidemo direkt entgegenzutreten, von vornherein massiv vereiteln konnte. Sie konnte auch «in solch geschlossene Strukturen wie die autonome Antifakoordination zum 2.Juni 2012» vordringen.
Ob sie als Beamtin zur Lagebeurteilung (BfL) mit entsprechend eingeschränkten Befugnissen – kein Betreten von Privatwohnungen, keine Erhebung personenbezogener Daten – im Einsatz war oder mit dem Segen der Staatsanwaltschaft als verdeckte Ermittlerin mit entsprechend erweiterten Befugnissen könne noch nicht gesagt werden. «Klar ist jedoch, dass sie die rechtlichen Kompetenzen beider Szenarien weit überschritten hat» – durch die Intensität der persönlichen Beziehungen bis hin zu «einem sexuellen Verhältnis» mit einem Aktivisten der AntiRa-Kneipe.
«Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann offenbart das ein großes Problem der Polizei», erklärte dazu Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft: «Entweder hat sie ihre BeamtInnen für Lagebeurteilung nicht unter Kontrolle und nimmt ihre Rechtsbrüche stillschweigend in Kauf, oder sie ordnet die absolut unverhältnismäßigen Eingriffe in Grundrechte und die Rechtsbrüche ihrer BeamtInnen an, beides ist inakzeptabel.»
Mal wieder ein Einzelfall?
Maria B.s Observation antirassistischer Aktivitäten schloss auch die Teilnahme an den internationalen NoBorder-Camps im August 2009 auf Lesvos in Griechenland und im September 2010 im belgischen Brüssel ein. Im Rahmen ihrer verdeckten Ermittlung beteiligte sie sich darüber hinaus an Mobilisierungsaktionen und referierte auf Auswertungsveranstaltungen.
An einem Vorbereitungstreffen für das NoBorder-Camp 2010 in Brüssel nahm außer ihr auch Simon B. aus Heidelberg teil. Die beiden wussten sicher nicht voneinander, es ist eine beliebte Methode der VE-Führer des Staatsschutzes, deren jeweiligen Berichte dadurch zu kontrollieren und gegenzuchecken, dass noch ein zweiter Bericht von einer anderen Person im Staatsdienst eingeholt wird.
Zwei Tage nach der Enttarnung von Maria B. tagte am 28.August der Innenauschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, in dessen Verlauf ein 39seitiger Bericht der Innenrevision der Hamburger Innenbehörde zur Bewertung des Einsatzes von Iris P. verlesen wurde. In diesem wird eindeutig festgestellt, dass das Engagement von Iris P. in der queerfeministischen Szene und im Radio «Freies Sender Kombinat» (FSK) nie zu ihrem Auftrag als verdeckte Ermittlerin des BKA zwecks Strafverfolgung gehörte, sondern zu ihrer Parallelfunktion als Aufklärerin des Hamburger Staatsschutzes gehört haben muss. Zwei parallele verdeckte Tätigkeiten wurden hier verquickt. Zudem habe sie ihr vorheriges Privatleben nahezu aufgegeben und ihren Lebensmittelpunkt verlagert, was zu einer Verschmelzung mit der Szene geführt habe, sodass sie 353 Tage Überstunden anhäufte. Dabei habe Iris P. massiv ihre rechtlichen Befugnisse überschritten.
All diese Entwicklungen hätten die Führer der verdeckten Ermittlungen überhaupt nicht wahrgenommen. «Die VE-Führung war zu lasch, der Einsatz ist entglitten», kritisierte die Leiterin der Innenrevision der Innenbehörde, Gabriele Schiffer. Sie schlug einen 17-Punkte-Maßnahmenkatalog vor, um Rechtsbrüche und Grundrechtseingriffe wie beim Einsatz von Iris P. zu unterbinden.
Innensenator Neumann erklärte dazu treuherzig, der Staatsschutz der Polizei werde künftig zur Lageerkundung in der linken Szene auf «verdeckte Aufklärer» verzichten, wodurch eine Verquickung künftig nicht mehr möglich sei, schob aber sogleich nach: Zukünftig werde die Polizei weiterhin «verdeckte Ermittler» einsetzen, wofür sie zwar die Genehmigung der Staatsanwaltschaft benötige, die dann aber erweiterte Befugnisse hätten: Privatwohnungen zu betreten und personenbezogen Daten zu erheben.
Im Fall von Maria B. sei allerdings alles rechtmäßig gewesen: «Alle Anordnungen der Staatsanwaltschaft liegen vor … es waren Straftaten von erheblicher Bedeutung zu befürchten.» Bei Iris P. sei der Einsatz «etwas aus dem Ruder» gelaufen, aber dies sei eine Ausnahme.
Die Recherchegruppe zu Iris P. kritisiert dagegen: Bei Maria B. drücke sich wie zuvor bei Iris P. «der fortdauernde politische Wille der Repressionsbehörden aus, sich noch nicht mal an eigene Gesetze zu halten. Man hofft darauf, einfach nicht erwischt zu werden».
Hamburgs oberster Polizeisprecher Timo Zill sieht dies völlig anders: «Verdeckte Ermittler sind für die Polizei ein unverzichtbares Mittel im Bereich des politischen und religiösen Extremismus sowie schwerster und organisierter Kriminalität.»
Maria B. lässt sich derzeit laut Polizeipräsident Meyer an der Hamburger Polizeiakademie für den gehobenen Dienst zur Kommissarin ausbilden. Auch für Simon B. und Iris P. waren die verdeckten Ermittlungen karrierefördernd: Er studiert jetzt an der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen, sie ist beim Hamburger Staatsschutz, dem LKA 7, auf Lebenszeit verbeamtete Expertin für Präventionsarbeit gegen Islamismus.
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