Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Auszüge aus einer Erklärung von DEA* zu den Wahlen in Griechenland
Übersetzung: Céline Spieker, Angela Huemer**

Die Wahlen am 20.September erfolgten auf Initiative von Alexis Tsipras und hatten zwei Ziele:
Tsipras wollte die Handlungsfähigkeit des Regierungslagers stärken, bevor die Beschäftigten und die einfache Bevölkerung die Folgen des Abkommens mit den Kreditgebern vom 13.Juli auf bittere Weise am eigenen Leib erfahren. Dabei wurde die Parteiführung von SYRIZA von den Euromächten voll unterstützt. Sie hatte ebenso die Unterstützung der Massenmedien, die auf den Inhalt des neuen Memorandums mit nahezu keinem Wort eingingen.
Darüber hinaus wollte Tsipras seine Partei von ihrem linken Flügel säubern. In diesem Ziel wurde er ebenfalls von den bürgerlichen Medien unterstützt, die schonungslos über die Linke Plattform herzogen und breit über die Rücktritte und die Austrittswelle eines Großteils der Aktiven berichteten, die SYRIZA aufgebaut hatten. SYRIZA ist heute nicht mehr die gemeinsame politische Kraft der radikalen Linken, sondern eine absolut auf ihren Vorsitzenden orientierte Partei.
Ausschlaggebend für den Erfolg von Tsipras Plan ist die Resignation der Menschen, die in den sozialen Bewegungen aktiv waren, und das umfasst die eigene politische Unterstützerbasis von SYRIZA. Das war Sinn und Ziel des Arguments: «Es gab keine Alternative,» das die Führungsgruppe von SYRIZA wie ein Mantra wiederholte.
Dieses Mantra ist verantwortlich für die beispiellose Stimmenthaltung bei den Wahlen vom 20.September. Dabei gingen 800.000 Griechen weniger zu den Urnen als im Januar 2015. Viele fühlen sich von den bestehenden politischen Parteien nicht mehr vertreten und sind der Politik gegenüber gleichgültig geworden. Das ist eine große Gefahr und das Resultat (und ein Werkzeug) der Handlungen einer Regierung, die behauptet, die radikale Linke zu vertreten.
Nach der kompletten Umkehrung der politischen Botschaft des Referendums vom 5.Juli – aus einem massenhaften NEIN in ein schamloses JA – hat sich die Stimmung geändert: Viele haben die «Festung» von SYRIZA wanken sehen und begonnen zu glauben, eine Revision des Memorandums sei nicht mehr möglich.
Die Regierung Tsipras ist dazu verpflichtet, die gegen die Beschäftigten und die einfache Bevölkerung gerichteten unsozialen «Reformen» sofort umzusetzen. Die Lügen über «entsprechende» Ausgleichsmaßnahmen waren sehr hilfreich im Wahlkampf; sie haben nun ausgedient.
Tsipras wird sich der Realität, also dem Inhalt der von ihm unterzeichneten Vereinbarung, stellen müssen. Und deshalb, trotz der Freudenfeier über die Bildung einer vermeintlich stabilen Regierung mit ANEL, wird bereits die Möglichkeit einer zukünftigen Koalition mit der PASOK oder eine breite Regierung der Nationalen Einheit erwogen.
Uns bleiben nur die Kämpfe von der Basis aus: die Verteidigung der Rechte der Lohnabhängigen und der Gesellschaft durch Streiks, Demonstrationen und Besetzungen. Diese Kämpfe, wenn sie erfolgreich sein sollen, müssen eine politische Aussagekraft haben und von einer politischen Strömung gebündelt werden, die die Austeritätspolitik bekämpfen will.
Ein großer Teil dieser Verantwortung ruht auf den Schultern der Volkseinheit (LAE), die sich aus einem Großteil des linken Flügels von SYRIZA und anderen antikapitalistischen Linken gebildet hat. Die LAE hat 2,9% erhalten und den Einzug ins Parlament knapp verfehlt. Wir hatten nur einen Monat Zeit für den Aufbau unserer Partei und mussten gleichzeitig ohne finanzielle Ressourcen Wahlkampf führen. Hinzu sind kommen politische Fehler. Wir haben den Austritt aus dem Euro als Gegenentwurf zur Unterwerfung unter die Euromächte überbetont. Irgendwann hat sich diese Aussage von unserem allgemeineren klassenorientierten, antikapitalistischen und auf sozialistische Emanzipation gerichteten Antiausteritätsprogramm abgekoppelt. So war es leicht, uns als «Drachme-Linke» zu verunglimpfen.
Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hat denselben Stimmenanteil erhalten wie im Januar. Ihre Parteiführung war unfähig, die große Orientierungskrise nach dem Umschwenken von Tsipras zu nutzen. Im Wahlkampf hat sie die «Volkseinheit» scharf angegriffen, um alle Stimmen der linken Kritik an SYRIZA auf sich zu lenken. Da sind Zweifel an ihrem heutigen Versprechen erlaubt, sie wolle Initiativen zu ergreifen, um eine Art «Volks-Allianz» zu bilden.
Das radikale linke Bündnis ANTARSYA hat seinen Stimmenanteil leicht erhöht. Wichtig ist die Frage, ob sich ANTARSYA in Zukunft in linke Einheitsinitiativen einbringt.
Die neofaschistische Chrysi Avgi ist drittstärkste Partei geworden. Ihr Stimmenzuwachs hängt mit dem hohen Anteil an Nichtwählern zusammen, denn in absoluten Zahlen hat sie 9000 Stimmen verloren. Aber die Konsolidierung ihres Stimmenanteils nur wenige Tage, nachdem ihr Parteiführer die «politische Verantwortung» für den Mord an Pavlos Fyssas übernommen hat, ist schlimm genug. Unser Kampf um eine Abkehr von der Austeritätspolitik und gegen das Memorandum ist die einzige Möglichkeit, neben der kapitalistischen Gier auch die faschistische Bedrohung zu bekämpfen.

* DEA (Internationale Arbeiterlinke) war Mitglied des Roten Netzwerks und der Linken Plattform in SYRIZA und ist im August mit Gründung der LAE aus der Partei ausgeschieden.

** Aus Platzgründen von der Redaktion um die Hälfte gekürzt.

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