Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2015

Verdi@Amazon – im Betrieb, in der Öffentlichkeit und international?
von Violetta Bock

Vom 2. bis 4.Oktober fand binnen vier Wochen die dritte internationale Konferenz für Amazon-Beschäftigte statt. War es Mitte September ein selbst organisierter Austausch von Amazon-Beschäftigten aus Polen und Deutschland, Ende September ein von der Gewerkschaft Ver.di organisiertes Treffen im Rahmen von UNI GLOBAL, so lud diesmal die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE zu Vorträgen und Workshops, und die Rosa-Luxemburg-Stiftung initiierte eine internationale Podiumsdiskussion und einen Austausch mit polnischen und spanischen Kolleginnen und Kollegen.
Fünfzig bis siebzig Leute folgten der Einladung: Beschäftigte aus allen deutschen Standorten, zuständige hauptamtliche Sekretäre und Vertreter von Solidaritätsbündnissen. Die Botschaft von Bernd Riexinger am Samstag war klar: «Allein durch Streik wird man diesen Kampf nicht gewinnen.» Stoßrichtung der Konferenz war daher der Start einer bundesweiten Begleitkampagne, die auf das Image von Amazon abzielt. Amazon deswegen, weil das Unternehmen exemplarisch ist für die Weigerung, Tarifverträge einzugehen und mit Gewerkschaften zu verhandeln, aber auch weil es viele weitere Themen in sich vereint. Zudem ist Amazon sehr auf sein Image bedacht. Auch wenn das Unternehmen nach außen das Bild vermittelt, der Streik kümmere das Management nicht, lässt Amazon im Moment jedoch jeden Kundenbrief beantworten.
Die Konferenz stellte einen ersten Schritt in diese Richtung dar, sie wurde öffentlichkeitswirksam angekündigt und stand jedem offen, der kommen wollte. Dennoch wurde deutlich, dass es auch dann nicht so einfach ist, gemeinsam zu agieren, wenn man das Gleiche will.
So wurde durchaus zur Vorsicht gemahnt, eine Imagekampagne zu lancieren. Mit der ARD-Dokumentation Ausgeliefert, die 2013 Amazon zum Paradebeispiel für prekäre Beschäftigung erhoben hatte und vor allem auf die Situation der Leiharbeiter hinwies, hatte man nicht nur gute Erfahrung gesammelt. Manche Beschäftigte identifizierten sich danach noch stärker mit Amazon, weil sie in anderen Firmen noch schlechtere Erfahrungen gemacht hatten und sich in der ausgestrahlten Opferrolle nicht wiederfanden. Die zentrale Frage bei so einer Kampagne wird also sein: Wer kontrolliert die Richtung und gibt den Ton an?
Zielführend, das wurde auf der Konferenz mehrfach betont, kann sie nur sein, wenn sie betrieblich verankert ist, sonst läuft man Gefahr, die Fehler der Lidl-Kampagne 2004 zu wiederholen. Damals machte Ver.di mit dem Schwarzbuch Lidl öffentlich Druck, holte Bündnispartner von Attac bis Greenpeace ins Boot und schob einen ausgefeilten Kampagnenplan hinterher. Doch was fehlte, war die betriebliche Verankerung. Das Ergebnis war, dass sich einige Beschäftigte auch selbst angegriffen fühlten und Lidl mit Zugeständnissen wieder Ruhe in den Betrieb bringen konnte. Nur wenige Betriebsräte konnten gebildet werden, und verteilt man heute in Lidl-Märkten Flyer, ist immer noch die Überwachung und die Angst spürbar, mit der Gewerkschaft gesehen zu werden.
Das darf sich nicht wiederholen. Dafür wird es entscheidend sein, wie nicht nur Gewerkschaft und Hauptamtliche, sondern vor allem die Streikenden einbezogen werden. Gut wäre, wenn Wege gefunden werden, dass eine solche strategisch angelegte Begleitkampagne als Multiplikator für die eigenen Ideen und Ansätze der Streikenden genutzt werden kann.

Internationale Solidarität?
Am Samstagabend organisierte die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Podiumsdiskussion mit internationalen Gästen aus Polen (Solidarnosc) und zum ersten Mal auch aus Spanien (Comisiones Obreras). Positiv ist in jedem Fall, dass es bei solchen Konferenzen und Treffen inzwischen gelingt, dass auch Beschäftigte, nicht nur hauptamtliche Vertreter, über die Situation bei Amazon in den verschiedenen Ländern berichten. Dies ist sicher auch Ergebnis der Tatsache, dass das Aktive sonst inzwischen selbst organisieren.
Thematisiert wurden neben dem Informationsaustausch auch Ansätze internationaler Solidarität. Konkret umgesetzt wurde ein solcher im Juni dieses Jahres mit einem Bummelstreik in Poznan, der von der polnischen Basisgewerkschaft IP unterstützt wurde. Als dies jedoch in der Diskussion angesprochen wurde, reagierten die Vertreter von Ver.di und Solidarnosc verhalten. Sie betonten zwar, dass man gemeinsam handeln muss, bestanden aber auch darauf, dass dafür das Forum UNI GLOBAL zuständig sei – dem die IP nicht angehört. Es wird also spannend, wie sich Ver.di oder auch Beteiligte an einer möglichen Begleitkampagne in Zukunft zur polnischen Basisgewerkschaft verhalten.
Amazon rühmt sich, Geschichte zu schreiben, der Werbeslogan dafür lautet: «Work hard, have fun, make history». Vielleicht liegt der Anknüpfungspunkt für eine gewerkschaftliche und gesellschaftliche Begleitkampagne gerade in dem Anspruch, Geschichte zu schreiben – nicht als Weltmarktführer im Versandhandel und bei der Entwicklung neuer Technologien, sondern in bezug auf Tarifbindung, Gesundheit, Arbeitszeiten, Pausenregelungen, Respekt… Von daher: Struggle hard, have fun, make history!

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