von Léon Crémieux*
Etwa 3000 Beschäftigte, Boden- und fliegendes Personal, demonstrierten am 5.Oktober vor dem Firmensitz von Air France, viele von ihnen in ihrer Berufskleidung, gegen die Pläne der Geschäftsleitung, erneut Stellen zu streichen, diesmal in der Größenordnung von 2900 – angeblich wegen der unnachgiebigen Haltung der Pilotengewerkschaft. Die Demonstranten überwanden den Zaun vor dem Eingang zum Gebäude, drängten die anwesende Bereitschaftspolizei CRS zur Seite und stürmten die Vorstandssitzung.
Der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft Air France-KLM, De Juniac – zugleich Aufsichtsratsvorsitzender, hatte es vorgezogen, erst gar nicht anwesend zu sein; der von Air France, Frédéric Gagey, suchte, zusammen mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der höheren Angestellten (CGC) schnell das Weite. Der Personalchef, Xavier Broseta, und der Verantwortliche für das Langstreckengeschäft, Pierre Plissonnier, die sich ebenfalls aus dem Staub machen wollten, ohne der Belegschafte Rede und Antwort zu stehen, wurden ausgebuht. Gipfel der Handgreiflichkeiten: Broseta verlor im Handgemenge sein Hemd und flüchtete mit dem Verantwortlichen für das Langstreckengeschäft über den Zaun.
Die Geschäftsleitung hatte angekündigt, «von jetzt bis 2017» 2900 Stellen zu streichen und vor allem das Asiengeschäft um 10% zurückzufahren. Gleichzeitig sollen in dieser Zeit aber neue Flüge auf verschiedenen Strecken eingerichtet werden. Der einzige Zweck dieses Verwirrspiels ist, die Gewinne nochmals zu steigern, indem weitere Hunderte Arbeitsplätze gestrichen und Tarifverträge ausgehebelt werden – und das bei einer Fluggesellschaft, der es gut geht.
Die Gewinne reichen nicht
Die Geschäftsleitung will eine Milliarde Euro einsparen, bei einer Gehaltssumme von insgesamt 7,5 Mrd. Euro. Monat für Monat gewinnt das Unternehmen neue Marktanteile hinzu, lastet seine Flugzeuge zu rekordverdächtigen 90% aus und hält seine Preise, obwohl die Kosten für Flugbenzin um die Hälfte gefallen sind. 8000 Arbeitsplätze wurden bereits gestrichen, die Gehälter eingefroren und die Arbeitsbedingungen erheblich verschlechtert.
Jetzt will De Juniac mit einem Frontalangriff eine zweistellige Rendite durchboxen. Der Gewinn auf das eingesetzte Kapital betrug 2014 5,1%, laut der Wirtschaftszeitung La Tribune soll er bis 2017 auf 9–11% steigen – ein Niveau, das es in der Geschichte dieser Unternehmensgruppe noch nie gegeben hat. Der Bruttoüberschuss EBITDAR (Gewinne vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen, Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Leihgebühren) soll von jetzt 8% auf 10% steigen; die Nettoverschuldung im Verhältnis zum Bruttoüberschuss von 4,2% auf 2,5% sinken. «Die mittelfristigen Ziele des Strategieplans Perform 2020 von Air France-KLM sind sehr ehrgeizig», kommentierte La Tribune in ihrer Ausgabe vom September 2014.
Mit Methoden à la Thatcher versucht die Unternehmensleitung, den Widerstand der Beschäftigten zu brechen und macht zugleich «verantwortungsvollen» Gewerkschaften Angebote zur Zusammenarbeit.
Alle kommen dran
Die erste Zielscheibe bilden die Piloten. Ein großes Theater wurde um sie inszeniert: Wochenlang zogen sich die Verhandlungen hin, die Latte wurde dabei provokativ hochgehängt. Für dasselbe Gehalt sollten sie 100 Flugstunden mehr leisten, das läuft auf 200 Arbeitsstunden zusätzlich hinaus. Die Verhandlungen scheiterten, daraufhin kündigte die Geschäftsleitung die Schließung einiger Strecken und die Streichung von 300 Pilotenstellen an. Bei Unterschrift unter das Abkommen wären aber ebenfalls 300 Stellen gestrichen worden! Die SNPL, Mehrheitsgewerkschaft bei den Piloten, weigerte sich am 30.September, diese Unterschrift zu leisten. Die Medien und die Regierung zogen über «die Privilegierten» her, die «das Unternehmen versenken» wollten.
Air France muss den Piloten aber eine Niederlage beibringen, um erfolgreich den nächsten Angriff führen zu können: den auf 14.000 Hostessen und Stewardessen. Aus ihnen sollen 15–20% mehr Produktivität herausgepresst werden: mit mehr Flugstunden, weniger Ruhetagen, kürzeren Pausen bei Zwischenlandungen und der Verkleinerung der Crews. Zwei von drei Gewerkschaften in dieser Sparte haben sich, wie die Piloten, geweigert, ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen.
Als letzte soll es dann das Bodenpersonal treffen – 30.000 Beschäftigte. Die Gewerkschaften CGC und CFDT sind hier bereit zu unterschreiben und hören nicht auf zu wiederholen, wenn die Piloten nicht nachgeben würden, werde das Tausende Entlassungen beim Bodenpersonal kosten. Auf diese Weise entlasten sie die Geschäftsleitung und diese kann gezielt gegen das Personal an einzelnen Standorten vorgehen – zunächst in der Provinz (vorrangig Marseille und Bastia), am Ende auch bei den beiden Pariser Flughäfen Orly und Charles De Gaulle.
Einheit dringend notwendig
Gleich wie, die Geschäftsleitung will Tausende weitere Stellen abbauen. Ihr sorgfältig ausgearbeiteter Plan ist, die Belegschaften zu spalten und die Massenmedien für sich einzuspannen. Und die Regierung steht natürlich auf der Seite des Unternehmens, nicht der Beschäftigten.
Die aber haben der Unternehmensleitung an diesem Montag einen Strich durch die Rechnung gezogen: Beschäftigte aus allen Sparten haben sich in Bewegung gesetzt und eine starke, gemeinsame Demonstration auf die Beine gestellt; damit haben sie gezeigt, dass man sie nicht an der Nase herumführen kann, und haben dem gesamten Flugpersonal den Rücken gestärkt. Der Plan, alle Kategorien von Beschäftigten anzugreifen, hat die Herstellung einer solchen gemeinsamen Front erleichtert. Dabei stehen die Piloten an der Spitze der Bemühungen, gewerkschaftliche Geschlossenheit herzustellen. Sie versuchen das Vorhaben der Geschäftsleitung zu unterlaufen, alle anderen Kategorien gegen die «Privilegierten» aufzubringen.
Derzeit bildet die gewerkschaftliche Einheit auch einen Schutz gegen die entfesselte Medienpropaganda. Es wird jedoch weiterer Aktionen bedürfen, um das Kräfteverhältnis zu verbessern. Die Medien haben all ihr Feuer auf die «Gewalt» der Beschäftigten und ein zerrissenes Hemd gerichtet. In den Betrieben ist die Sympathie aber eher auf der Seite der Beschäftigten.
* Léon Crémieux war bis zu seiner Pensionierung bei Air France beschäftigt und ist Mitglied der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste).
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