von Angela Huemer
Drei Musiker stehen auf einer Bergspitze und spielen zünftig auf. Wir sehen Ansichten des Chiemgaus, eine der schönsten Gegenden Deutschlands und auch in Bayern ein Juwel, sozusagen Bilderbuchbayern, gepflegt, grün, geordnet und voller zufriedener Kühe.
Auch hier sind Flüchtlinge untergebracht. In einem ehemaligen Landgasthof. An der Rezeption werden sie registriert, nach ihrer Religion gefragt. Sie haben es gut getroffen, der Alltag ist beschaulich, die Menschen freundlich. Ob der überbordenden Idylle nannte Carolin Genreith das Dorf Bergen in ihrem Filmtitel das Golddorf. Ihr, der in Aachen geborenen, in der Nordeifel aufgewachsenen und in Hamburg und Berlin lebenden Protestantin war diese Idylle sicherlich genauso fremd wie den hier untergebrachten Asylbewerbern, angefangen bei der Sprache: Lange Passagen des Films sind untertitelt, auch die bayrisch-deutschen.
Carolin Genreith begleitet zwei Flüchtlinge, Ghafar aus Afghanistan und Fishatsyon aus Eritrea. Ghafar war Videojournalist und Filmemacher; schräg über die Schulter geblickt, sehen wir ein paar Szenen aus dem letzten Film, den er gedreht hat. Er hat auch als Videojournalist gearbeitet. In Kabul. Massiv von den Taliban bedroht, versteckte er sich, seine Frau und seine zwei Kinder waren zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch in Kabul, er selbst kam anlässlich der Berlinale nach Deutschland, in der Hoffnung, bald seine Familie nachholen zu können. Doch allein auf die Anhörung wartet er sehr, sehr lange, mitunter hat er keinen Kontakt zu seiner Familie, weiß nicht, ob sie wohlauf ist.
Anders Fishatsyon floh über Israel, seine Frau ist schon vor drei Jahren getrennt von ihm aus Eritrea geflohen. Nur andeutungsweise erzählt er von seiner eigenen Flucht, vom Warten in der eingepferchten Unterkunft in Libyen, wo man nie sicher war, sein Leben zu retten – schon vor der Überfahrt über das Meer.
Parallel dazu lernen wir das Dorf kennen, die idyllischen Seiten zugegebenermassen. Eine intakte und gar nicht verschroben wirkende Brauchtumskultur, ältere Einheimische, die davon erzählen, wie sie in ihrer Jugend «Gästebetreuung» für hübsche norddeutsche Touristinnen machten und wie sehr sie sich ihrer Heimat verbunden fühlen. Sepp Reitmeier, Zahntechniker, ein «Lederhosenlaptopbayer», wie Genreith in charakterisiert, erzählt vom «Schlaraffenland» Chiemgau, wo man die Türen offen stehen lässt und die Geborgenheit einer der schönsten Landschaften Deutschlands in vollen Zügen schätzt und genießt.
Die Regisseurin nimmt beide, Ghafar und Fishatsyon, zu einer Brauchtumsveranstaltung mit, ein Tanzwettbewerb samt Schuhplattln, der Eritreer sieht Parallelen zu seiner Heimat – in die er nie wieder zurück kann, wie er schon anfangs des Films erzählt. Und Ghafar bewundert, wie «drehfest» die Tänzerinnen sind, allein beim Zusehen wird einem fast schwindlig.
Der Alltag in Bergen geht seinen geruhsamen Gang. Die Flüchtlinge warten. Morgens Deutschunterricht, Mittagessen, Spaziergänge. Viel mehr ist da nicht. Arbeiten können sie nicht. Ihr Deutsch wird nach und nach besser. Interessant, wie klar wird, dass der Filmautorin der Blickwinkel von Ghafar, ihres Kollege aus Afghanistan, viel näher ist als das Leben der jungen Dorfbewohnerin, die sich voll Eifer und gerne in ihr idyllisches Leben mit Trachtenverein, erster Liebe, die man heiratet, und Fronleichnamsprozession fügt. Schön, wie der Sepp Reitmeier sagt, wie wenig es, bei allem Bemühen, letztendlich möglich ist, wirklich nachvollziehen zu können, wie es den Flüchtlingen geht, denn kein Bayer hat in den letzten Jahrzehnten je um sein Leben oder um seine Heimat fürchten müssen.
Der Film wurde 2014 gedreht, noch bevor das Thema allgegenwärtig war und vor allem Bayern davon betroffen wurde. Carolin Genreiths Grundbotschaft kommt auf wunderbare Weise rüber: Heimat muss sich nicht unbedingt verändern, wenn man sie teilt mit Menschen, die ihre Heimat verloren haben.
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