von Manuel Kellner
Der Kampf gegen die barbarischen Mörderbanden des sogenannten Islamischen Staats (IS) ist der gängige Vorwand zur Rechtfertigung der militärischen Operationen ausländischer Mächte in Syrien. Das ist der verbale gemeinsame Nenner zwischen den USA – deren Luftschläge bislang in der Tat hauptsächlich gegen IS-Stellungen gerichtet waren – und Putin-Russland. Nur dass sich die Luftschläge Russlands in Syrien bislang überwiegend nicht gegen den IS, sondern gegen andere bewaffnete, teils ebenfalls islamistische Kräfte, aber auch gegen Stellungen der FSA richten. Die Tatsachen zeigen das, aber auch die Erklärungen der russischen Regierung stellen klar: Es geht um die Unterstützung der «legitimen» Regierung von Bashar al-Assad gegen die «Terroristen» – und das sind alle, die gegen dieses Regime kämpfen.
Niemand weiß, ob das Assad-Regime Russland darum gebeten hat, über die vielfältige bisherige Hilfe hinaus direkt militärisch zu intervenieren, oder ob Putin im Interesse des Erhalts seiner einzigen Militärbasis im Mittelmeer kraft eigenen Entschlusses hat losschlagen lassen. Doch es ist klar, dass das Assad-Regime in großer Bedrängnis war. Es war dabei, die Kontrolle über weitere Territorien zu verlieren, und mit zunehmenden Protesten in den von ihm kontrollierten Gebieten konfrontiert. Mehr noch: Eine verstärkte Flucht seiner Armeeangehörigen gen Westen hat seine Handlungsfähigkeit beeinträchtigt, weil immer weniger Soldaten an seine Zukunft glauben.
Trotz der massiven Unterstützung durch den Iran, die Hizbollah und durch Söldner aus vielen Ländern (angefangen mit dem Irak) pfeift das Assad-Regime aus dem letzten Loch. Es finanziert sich durch die systematische Enteignung seiner Gefangenen, die es gegen klingende Münze aus seinen Knästen entlässt und geschröpft mit einem Fußtritt gen Westen expediert. Es hält seine Soldaten dazu an, ihren Lebensunterhalt dadurch zu bestreiten, dass sie an jedem Checkpoint die Zivilisten ausrauben, bis sie nur noch das Hemd auf dem Leib haben.
Die verschiedenen Weltmächte und regionalen Mächte, die mittlerweile auf syrischem Territorium operieren, verfolgen alle ihre eigenen Machtinteressen. Wenn irgendwann und irgendwo die Parole «Ausländer raus!» irgendeinen progressiven Sinn hätte, dann in Syrien – sollen sie sich doch alle wegscheren, dann wäre der Weg frei für ein säkulares, demokratisches und sozial gerechtes Syrien!
Die Linke in Deutschland und in vielen anderen westlichen Ländern verweigert der syrischen Revolution jegliche Solidarität, weil sie die Welt geopolitisch nach dem Muster der Zeit des Kalten Krieges beurteilt. Nur ist Putin-Russland nicht mehr die Sowjetunion, und selbst wenn das so wäre, sei an das Desaster der sowjetischen Intervention in Afghanistan erinnert. Wenn grauenhafte Diktaturen zeitweise in Konflikt mit den USA und dem «Westen» geraten, dann ist das noch lange kein Grund, sie zu unterstützen. Vielleicht ist auch bequemerweise vergessen worden, dass die Assad-Diktatur ein Partner des ersten US-geführten Kriegs gegen den Irak unter Saddam Hussein war, und dass sie brutal gegen die Palästinenser vorgegangen ist.
Viele derer, die gegen die Assad-Diktatur und für demokratische und säkulare Verhältnisse in Syrien eintreten, sind mittlerweile geflohen und in Deutschland gelandet. Linke in Deutschland sollten mit ihnen sprechen und sich mit ihnen beraten, statt wie bisher so zu tun, als würde es diese demokratische und säkulare Opposition gar nicht geben, nach dem Motto: «Entweder Assad oder die Islamisten.»
Jeder Post, der gegen die Fassbomben von Assads Luftwaffe protestiert, generiert bei uns im Internet einen Shitstorm: das sei Kriegshetze und eine Einladung an die Adresse des US-Imperialismus, mit seiner großen Fliegenpatsche dreinzuschlagen. Analog ist jede Information über ein Folteropfer der Assad-Diktatur dem Verdacht ausgesetzt, die Interessen des US-Imperialismus zu fördern. Das ist genauso wie wenn jedwede Stellungnahme zugunsten des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung die vernichtende Denunziation des Antisemitismus nach sich zieht.
Die Verantwortung der USA, der NATO, der EU für die syrische Tragödie ist sonnenklar – dazu braucht es keine Verschwörungstheorien, die Geheimdienste und andere finstere Mächte als das eigentliche Subjekt der Geschichte betrachten. Man muss sich nur klar machen, was die US-geführte Intervention im Irak samt der Installierung eines schiitisch-sektiererischen Regimes bewirkt hat – nicht umsonst bilden Offiziere des ehemaligen Baath-Regimes von Saddam Hussein das Rückgrat der militärisch-strategischen Fähigkeiten des IS. Doch die internationalistische Pflicht, gegen den «eigenen» Imperialismus zu kämpfen, entbindet uns nicht von der Pflicht, gegen jeglichen Imperialismus vorzugehen, und sei er schwächer, und sei er russisch.
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