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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2015
Einladung zu einem Seminar des Netzwerks Streiksolidarität
von Sebastian Bandelin*

Streik, Erfahrungsaustausch und die Perspektiven von Solidarität mit den Streikenden bestimmen das dritte Streiksolinetzwerk-Seminar in Bad Hersfeld.
Mit den Streiks bei der Deutschen Bahn, im Sozial- und Erziehungsdienst, bei der Berliner Charité, der Post, bei Amazon, der Lufthansa und den wahrscheinlich anstehenden Streiks in der Glas- und Gebäudereinigung ist das Jahr 2015 von einer für deutsche Verhältnisse großen Zahl von Arbeitskämpfen und Tarifauseinandersetzungen geprägt.
In diesen zum Teil heftig geführten Auseinandersetzungen standen nicht nur klassische Lohnforderungen im Vordergrund. Umkämpft war hier vielmehr auch die Struktur der Arbeitsverhältnisse selbst: So richtete sich der Streik bei der Post auch gegen die Versuche des Unternehmens, Teile der Belegschaft in nicht tarifgebundene Subunternehmen auszulagern; die Beschäftigten der Berliner Charité und im Sozial- und Erziehungsdienst haben sich für eine Verbesserung des Personal- bzw. Betreuungsschlüssels eingesetzt; und auch bei den Gebäudereinigern steht die Forderung nach einem Stopp der Leistungsverdichtung an erster Stelle in den Tarifverhandlungen.
Zugleich war in den Auseinandersetzungen eine ziemliche Verhärtung der Position der Arbeitgeber zu beobachten. Die Post reagierte mit dem Einsatz von Streikbrechern, der Einführung von Sonntagsarbeit und mit Drohungen gegenüber befristet Beschäftigten – damit konnte sie sich weitgehend durchsetzen.
Den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst verweigern die kommunalen Arbeitgeber unter Verweis auf die knappen Kassen der öffentlichen Haushalte die berechtigten Ansprüche der Beschäftigten auf höhere Bezahlung und eine Aufwertung von Reproduktionsarbeit. Amazon hat sich von Anfang an gegen die gewerkschaftliche Organisierung der Belegschaft gewehrt und bis heute ist der Konzern nicht bereit, auch nur Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft aufzunehmen.
Neben dieser neuen Qualität von Forderungen und der Zuspitzung der Auseinandersetzungen wurde auch die Bedeutung der öffentlichen Meinung deutlich: So sah sich die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) in ihrem Versuch, höhere Löhne, eine Arbeitszeitverkürzung und ihren Vertretungsanspruch für das Zugbegleitpersonal durchzusetzen, einer massiven medialen Diffamierung ausgesetzt. Es muss also gelingen, eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die den entsolidarisierenden Deutungen von Streikauseinandersetzungen in Politik und Medien entgegenwirkt.

Themen und Fragen
Es gibt also eine Vielzahl von neuen Erfahrungen und Herausforderungen, über die ein Austausch zwischen betrieblich und gewerkschaftlich Aktiven und den verschiedenen Streiksolidaritätsgruppen, die sich in den letzten Jahren gegründet haben, notwendig ist. Gelegenheit dazu soll das Streiksolinetzwerk-Seminar bieten, das im November 2015 zum drittenmal stattfinden soll. Hier soll die Möglichkeit gegeben werden, sich über einzelne Auseinandersetzungen auszutauschen, die Arbeitsweisen der einzelnen Gruppen zu reflektieren, zu bestimmen, welche Aktivitäten hilfreich für die jeweiligen Auseinandersetzungen waren und wie Strategien für eine gemeinsame längerfristige Zusammenarbeit entwickelt werden können.
In den vorangegangenen Seminaren war diskutiert worden, wie eine kritische Öffentlichkeitsarbeit von Streikunterstützungsgruppen aussehen kann; welche Orte des Austauschs zwischen Beschäftigten, Gewerkschaften und Streiksolidaritätsgruppen notwendig sind, um an bestehende Erfahrungen anknüpfen und gemeinsame Lernprozesse organisieren zu können; wie es möglich ist, die bisher vereinzelten Konflikte zu vernetzen und zu gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu machen; und welches Solidaritätsverständnis dabei der eigenen Arbeit zugrunde gelegt wird.
An diese Debatten soll auch diesmal angeknüpft werden.
Zugleich aber bleiben viele Fragen innerhalb und zwischen den einzelnen Gruppen umstritten. Wie ist die Rolle der Gewerkschaften in diesen Auseinandersetzungen einzuschätzen? Sind sie Bündnispartner in der Konstituierung von Gegenmacht oder Teil der Befriedung des Klassenkonflikts? Ist die Arbeit der Streikunterstützungsgruppen nicht eine problematische Form von Stellvertreterpolitik, die sich allenfalls in ihrem Anspruch, nicht jedoch in der Praxis von den Fabrikinterventionen der 70er Jahre unterscheidet? Was wurde aus diesen Erfahrungen gelernt? Welche Bedeutung hat das deutsche Arbeitsrecht und das aktuelle Gesetzesvorhaben zur Einschränkung des Streikrechts für die Unterstützungsarbeit? Lassen sich die Erfahrungen beim Aufbau von Basisgewerkschaften prekär Beschäftigter aus anderen Ländern auf die deutschen Verhältnisse übertragen?
Wer Interesse hat, diese Fragen zu diskutieren, ist eingeladen, vom 27. bis 29.November ins Falkenheim nach Bad Hersfeld zu kommen. Anmeldungen unter: streiksoli.netzwerk@gmx.de.

* Sebastian Bandelin ist aktiv im Streiksoli-Bündnis Leipzig.

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