von Klaus Meier
Auf dem Gipfeltreffen der G7-Staaten im Juni 2015 im bayrischen Elmau verkündeten die anwesenden Staats- und Regierungschefs eine «Dekarbonisierung der Weltwirtschaft». Kurz danach signalisierte die große Teilnahme am Klimacamp im Rheinland, dass hier Potenzial für eine neue Massenbewegung liegt. Die Mehrzahl der klimabewegten Menschen will eine Abkehr von der Kohle. Doch wirft dies neue Fragen auf. Sie müssen geklärt werden, damit die Klimabewegung erfolgreich sein kann.
Eine zentrale Frage ist die nach den Alternativen. Es ist sicherlich problemlos möglich, den bisher fossil erzeugten Strom komplett durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Aber Strom macht nur rund 20% des gesamten deutschen Energieverbrauchs aus. Das bedeutet, dass heute erst 6% des deutschen Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammt. Kann man also allein mit Wind, Sonne, Wasser und Biomasse die wirtschaftlichen Strukturen eines kapitalistischen Industrielands wie der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten?
Die Frage scheint müßig. Schließlich haben in den letzten Jahren zahlreiche Studien von meist hochschulnahen Instituten immer wieder betont, das sei möglich. Warum ist sie dennoch nicht sinnlos? Einfach weil alle Studien eine große Lücke aufweisen zwischen der mit Erneuerbaren erzeugbaren Energiemenge und dem heutigen Verbrauch. Rechnet man alle genannten erneuerbaren Energiepotenziale großzügig zusammen, kommt man auf eine Menge von rund 1000 Terawatt/Stunde (TWh = 1 Mrd. kWh). Der gesamte Endenergieverbrauch lag 2013 jedoch bei 2575 TWh. Die erneuerbaren Energien decken also bestenfalls 40% des heutigen Bedarfs. Berücksichtigt man Umwandlungs- und Speicherverluste, könnten es vielleicht nur 30–35% sein. Selbst wenn man Sonnenstrom aus der Wüste nordafrikanischer Länder importiert, wie es die mittlerweile aufgelöste Desertec-Initiative propagiert hat, kommt man auf maximal 50% des heutigen Endenergieverbrauchs. Die erkennbare Lücke ist im übrigen nicht allein ein deutsches Problem, es gibt sie genauso in anderen europäischen Ländern.
Energieeffizienz…
Auch die Wissenschaftler, die die Studien zum energetischen Umbau ausgearbeitet haben, sehen natürlich diese Energielücke. Sie glauben eine Lösung zu haben: Bis 2050 sollen Technologien entwickelt und eingesetzt werden, die den Energieverbrauch drastisch senken. Der Begriff dafür ist Energieeffizienz. Darunter versteht man bessere Gebäudedämmung, effizientere Heiztechnik, sparsamere Antriebe, die Verwendung von Elektroautos oder eine durchgehende Abwärmenutzung. Es könnte dann die gleiche Arbeit mit deutlich weniger Energie geleistet werden. Am Ende passen dann Erzeugung und Verbrauch von Energie wunderbar zusammen.
Alle Studien beschwören die Energieeffizienz als zentralen Pfeiler für den energetischen Umbau. Der ehemalige Präsident des Wuppertal-Instituts, Ernst-Ulrich von Weizsäcker, hat diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Schon sein Titel steht für die Effizienzvision: Faktor fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum. Auf mehreren hundert Seiten werden durchaus interessante technische Lösungen vorgetragen, die dazu beitragen könnten, den heutigen Energieverbrauch zu minimieren. Doch nach knapp 300 Seiten Visionen muss der Autor eingestehen, dass «die Erfahrung der Vergangenheit uns lehrte, dass solche Effizienzgewinne zu nichts anderem führen als zu verstärktem Wachstum, nicht zuletzt beim Energieverbrauch». Dies wird als Bumerang- oder Rebound-Effekt bezeichnet.
…und Rebound-Effekt
Ein Beispiel ist der Spritverbrauch der Autos. Eine immer bessere Technik hat den Verbrauch der Motoren so weit heruntergesetzt, dass mittlerweile Autos gebaut werden können, die nur noch 3 Liter auf 100 Kilometer benötigen. Aber diese Fortschritte werden hintertrieben durch immer größere und schwerere Autos mit immer mehr Funktionen und durch eine immer größere Anzahl an Fahrzeugen.
Den Rebound-Effekt findet man auch bei Haushaltsgeräten. So konnte der Energieverbrauch von Kühlschränken oder Geschirrspülern stark reduziert werden. Moderne Waschmaschinen kommen im Vergleich zu Altgeräten mit 45% weniger Strom aus. Aber gleichzeitig sind in den Haushalten immer neue Geräte wie Wäschetrockner, Kaffeeautomaten oder Mikrowelle hinzugekommen, die in ihrer Gesamtheit den Energieverbrauch wieder hochgetrieben haben.
Welche Triebkraft steckt nun hinter dem Rebound-Effekt? Dazu muss man die kapitalistischen Wirtschaftsgesetze verstehen. Eine höhere Energieeffizienz im Produktionsprozess ermöglicht den Unternehmen, Kosten zu sparen und ihre Profitrate zu erhöhen. Das regt die kapitalistische Akkumulation an, die wiederum einen höheren Energie- und Ressourcenverbrauch zur Folge hat. Damit die Profite stetig weiter steigen, werfen kapitalistische Unternehmen immer neue Produkte auf den Markt. Um die «Verbraucher» zum Kaufen zu bewegen, werden an den Konsumgütern ständig kleine Änderungen vorgenommen. Diese «Innovationen» gaukeln dabei immer eine Produktverbesserung vor, führen aber de facto zu einem unaufhörlichen Konsum – mit dem damit verbundenen Verbrauch von Energie und Ressourcen. Und weil das allein noch nicht reicht, wird die Lebensdauer der Waren durch bewusste sog. Obsoleszenzmaßnahmen reduziert (siehe dazu SoZ 11/2013).
Parallel dazu wurde in den letzten drei Jahrzehnten die Reparaturfähigkeit von Konsumgütern weitgehend beseitigt, sodass ein ständiger Neukauf notwendig ist. Trotz all dieser Maßnahmen ist der Absatz in vielen Fällen immer noch nicht gesichert, sodass teure Werbung eingesetzt wird, um die Kunden in Kauflaune zu halten.
Würden kapitalistische Unternehmen diese energie- und ressourcenfressenden Maßnahmen nicht einsetzen, würden sie auf Dauer deutlich weniger Gewinne machen als ihre Konkurrenten. Sie könnten weniger Kapital reinvestieren und würden mittelfristig aus dem Markt gedrängt.
Der Kapitalismus kann als ein System betrachtet werden, das aus sich selbst heraus den Energie- und Ressourcenverbrauch immer weiter nach oben treibt. Damit enthüllt sich die kapitalistische Profitlogik als die eigentliche Ursache des Rebound-Effekts. Solange wie der Kapitalismus weiter das beherrschende System ist, werden alle technischen Effizienzgewinne im Energiebereich wieder zunichte gemacht. Alle Projektionen für einen ausschließlich erneuerbaren Energieeinsatz im Jahr 2050, die auf eine gestiegene Energieeffizienz setzen, sind daher leider auf Sand gebaut.
Die Lücke schließen
Wie kann die Lücke zwischen dem heutigen hohen Energieverbrauch und dem begrenzten Angebot an erneuerbaren Energien dann geschlossen werden, wenn Energieeffizienz kein Allheilmittel ist? Dazu braucht es eine detailliertere Betrachtung. Industrie, Verkehr und Haushalte fressen jeweils 28% der Gesamtenergie. Das sind Verbrauchsmengen, die jede für sich in der Größenordnung der gesamten erzeugbaren erneuerbaren Energie liegen. So wie bisher können wir also nicht weiter machen. Alles läuft daher auf die zentrale Frage zu: Wo können wir Energie einsparen?
Abkehr vom Individualverkehr
Im Verkehr sind heute 43 Millionen Pkw und 4,5 Millionen Lkw unterwegs, die Unmengen von Energie verbrauchen. Es führt kein Weg daran vorbei, diese Fahrzeugflotte massiv zu reduzieren. Die verbleibenden Fahrzeuge sollten vornehmlich verliehen und zum größten Teil auf Elektrofahrzeuge umgestellt werden, denn die heutigen Verbrennungsmotoren sind verglichen mit Elektromotoren gnadenlos ineffizient. Sie erzeugen nur zu etwa 20% mechanische Bewegung – der Rest wird, wie in einem Ofen, in Wärme umgewandelt.
Eine Abkehr vom Individualverkehr erfordert im Gegenzug einen massiven Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere Bahn und Busse. Ihre Nutzung sollte weitestgehend kostenfrei sein, um den Anreiz zum Umstieg zu erhöhen.
Studien haben ergeben, dass in den Städten bis zu 50% der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden könnten – ein großzügiger Ausbau der Radwege vorausgesetzt. Wo dieser Weg konsequent beschritten wurde, ist man dem Ziel schon sehr nahe gekommen: So in Kopenhagen, wo bereits 2014 45% aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden. Mit einem derartigen Programm könnte der Energieverbrauch im Verkehrssektor um weit über die Hälfte reduziert werden.
Wärmeverbrauch des Gebäudebestands senken
Zur Absenkung des Raumwärmebedarfs ist eine umfassende Gebäudesanierung erforderlich. Dies kann mit fortschrittlichen Wärmeerzeugungssystemen und einer konsequenten Dämmung erreicht werden. Statt billiger Styroporverkleidung müssen allerdings nachhaltige Systeme eingesetzt werden, die durchaus vorhanden sind. Das Problem ist, dass die Bundesregierung kein ernsthaftes Engagement zeigt und keine größeren Finanzmittel für Wärmesanierung locker machen will.
Auch die Eigentumsverhältnisse bilden ein Hindernis. 57% der Wohnungen sind vermietet. Ein Großteil ist davon in der Hand großer Holdings, wie etwa Vonovia, die gerade dabei ist, die Deutsche Wohnen zu kaufen (siehe auch S.11). Klimawandel haben diese Konzerne nicht auf ihrer Agenda. Wenn sie in den großen Städten sanieren, nutzen sie dies meist zu einer drastischen Mieterhöhung und treiben Menschen mit geringem Einkommen aus den Wohnungen.
Wenn die Bundesregierung zu Fördermaßnahmen gezwungen und die Eigentumsrechte und Profite der großen Wohnungsgesellschaften massiv begrenzt würden, könnte der Wärmebedarf des Wohnungsbestands tatsächlich massiv gesenkt werden.
Die Energie steckt in den Produkten
In der Industrie kommt die Energieeffizienz kaum voran. Hier stieg der Energieverbrauch zwischen 2003 und 2012 sogar wieder. Die Erwartung kurzfristiger Amortisationen verhindern die erforderlichen langfristigen Investitionen. Deshalb wird auch in diesem Bereich Energieeffizienz nicht der Königsweg sein, um Energie zu sparen.
Hier wird eine andere Herangehensweise vorgeschlagen. Zunächst gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass es die Herstellung der zahllosen Konsum- und Industriegüter ist, die Energie verbraucht. Man spricht dabei auch von grauer Energie. So erfordert der Bau eines Kühlschranks beispielsweise 905 kWh, die quasi als geronnene Energie in ihm stecken. Ein Fernseher enthält 732 kWh, ein Golf A4 nach Angaben von VW 22000 kWh. Will man den Energieverbrauch reduzieren, muss man also weniger Güter produzieren.
Tatsächlich könnte die tägliche Waren- und Produktflut deutlich verringert werden, ohne dass damit eine Einschränkung der Lebensqualität verbunden wäre. Die Umstellung der Mobilität auf ein nachhaltiges öffentliches Verkehrswesen würde den größten Teil der Automobilproduktion samt ihrer Zulieferer überflüssig machen – nicht wenig, wenn man bedenkt, dass in Deutschland pro Jahr rund 6 Millionen Autos produziert werden. Damit könnte auch der Straßenbau – und somit die Flächenversiegelung – reduziert werden.
Die Produktion zahlreicher Luxus- und unsinniger Konsumgüter – aber auch der Rüstungsgüter! – könnte sofort eingestellt werden.
Wegwerfproduktion beenden
In diese Kategorie gehört die bösartige und bewusste Obsoleszenzproduktion, aber auch die Nichtanwendung moderner Ingenieurskunst auf das Ziel, die Lebensdauer der Produkte zu verlängern. Während beispielsweise der Energieverbrauch vieler Geräte durch den Einsatz effizienterer Technik immer sparsamer wurde, sind viele Produkte immer kurzlebiger geworden. Das zeigen beispielsweise Statistiken über den Anteil der Haushaltsgroßgeräte, die aufgrund eines Defekts vorzeitig ausgetauscht wurden. Er stieg zwischen 2004 und 2012 von 3,5% auf 8,3%.
Das vorzeitige Verschrotten von Produkten wird dadurch verstärkt, dass es den Konzernen in den letzten drei Jahrzehnten gelungen ist, Reparaturen weitgehend abzuschaffen oder in unbedeutende Nischen abzudrängen.
Ein weiteres wichtiges Element, um die Produktion anzuheizen, ist der ständige Modewechsel, aber auch unablässige ungezielte technische Innovationen, die keinerlei wirklichen Nutzen bringen. So wurden in Deutschland im Jahr 2012 über 60% der noch funktionierenden LCD-TV-Geräte durch neue Produkte ersetzt.
Einer überschlägigen Schätzung zufolge könnte der heutige industrielle Energieverbrauch durch die Umstellung auf nachhaltige Produktion mindestens auf die Hälfte des heutigen Bedarfs reduziert werden. Die Lebensbedingungen würden dadurch nicht schlechter, die Produktion würde allerdings massiv schrumpfen.
Verfolgt man diese Ansätze, kann der Energieverbrauch so weit gesenkt werden, dass die verfügbaren erneuerbaren Energien ausreichen. Eine Rückname des Wachstums, also ein Schrumpfen der Produktion, ist viel realistischer als das Setzen auf Energieeffizienz, die vom Kapitalismus sowieso wieder aufgefressen wird. Im Ergebnis bedeutet das eine Rückführung der Produktivkräfte auf ein Maß, das die ökologischen Grenzen des Planeten respektiert.
Diese Grenzen werden im übrigen nicht nur durch die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien gesetzt, sondern auch durch die Verfügbarkeit von Rohstoffen, fruchtbarem Land und Wasser.
Was ist mit den Arbeitsplätzen?
Die hier vorgestellten energetischen Maßnahmen würden in der Umstellungsphase neue Arbeitsplätze schaffen. So arbeiten heute in Deutschland 370.000 Menschen in der Produktion und Wartung erneuerbarer Energien – das sind aber erst etwas über 10% des zukünftigen Potenzials an Erneuerbaren. Hinzu kommen noch dezentrale Energie- und Wärmespeicher, umfassende Gebäudeisolierung und der Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems.
Rechnet man all dies ein, kommt man überschlägig auf weit über 3 Millionen Arbeitsplätze, die durch den ökologischen Umbau neu geschaffen werden könnten.
Längerfristig würde der Rückbau der Industrie und des Individualverkehrs aber eine deutliche Senkung des Produktionsvolumens und einen entsprechend geringeren Bedarf an notwendiger Arbeitszeit zur Folge haben. Dies kann nur durch eine massive Kürzung der Wochenarbeitszeit auf beispielsweise 20 Stunden aufgefangen werden.
Das wäre aber auch nichts anderes als die Wiedereinführung des Normalzustands, wie er vor der Einführung der Klassenherrschaft und insbesondere des Kapitalismus geherrscht hat, das belegen zahlreiche ethnologische Studien und frühe Berichte. Wir hätten damit das Potenzial, eine freie, lebenswerte und stressfreie Gesellschaft aufzubauen, die auf Selbstverwaltung und Selbstorganisation beruht.
Die gesamte Wirtschaft muss in Richtung Nachhaltigkeit umgebaut werden. Ganze Technologie müssen verschwinden und dafür andere entwickelt werden. Die Wegwerfproduktion muss beendet, der Umfang der Güterproduktion auf ein nachhaltiges Niveau gesenkt werden. Das ist mit der kapitalistischen Logik nicht vereinbar. In der Auseinandersetzung um den ökologischen Umbau muss daher auch der Kapitalismus abgeschafft werden.
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