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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2015
Im Windschatten der jüngsten Terroranschläge rüstet die EU-Polizei mächtig auf
von Andrej Hunko*

Die Anschläge in Paris wurden in mehreren Ländern geplant und organisiert. Grenzüberschreitende, koordinierte Ermittlungen sind deshalb richtig und wichtig. Das darf nicht bedeuten, dass sich ein Sicherheitsapparat zur Gefahrenabwehr verselbständigt. Genau dies beobachten wir aber gerade bei Europol.
Die EU-Polizeiagentur mit Sitz in Den Haag hat keine Kompetenzen zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen. Razzien, Hausdurchsuchungen oder die Überwachung der Telekommunikation dürfen nur von den Behörden einzelner Mitgliedstaaten vorgenommen werden. Bei den vorausgehenden grenzüberschreitenden Ermittlungen oder Einsätzen hat Europol aber eine koordinierende Funktion.
Nun erleben wir eine rasante Aufstockung der Verantwortlichkeiten der EU-Agentur. So richtet Europol ein «Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung» ein. Zunächst mit 30 Planstellen ausgestattet, soll die Polizeiagentur künftig bei der «Zerschlagung von Schleppernetzen» helfen. Seit dem Frühjahr betreibt Europol ein «Lagezentrum Mittelmeer», das nun in das neue Zentrum integriert wird. Hinzu kommen ebenfalls neue «mobile Ermittlungsunterstützungsteams», die an den sogenannten Hotspots in Italien und Griechenland stationiert werden.
Am 1.Januar 2016 eröffnet Europol außerdem ein «Zentrum zur Terrorismusbekämpfung», an dem auch US-Behörden teilnehmen. Geplant ist, dass dort auch geheimdienstliche Informationen verarbeitet werden. Bislang ist Europol dies nur begrenzt erlaubt. Eine neue «Meldestelle für Internetinhalte» arbeitet mit Providern wie Google, Youtube, Facebook und Twitter zusammen und soll helfen, unliebsame Postings oder Videos aus dem Internet zu entfernen. Anfangs hatte es geheißen, die «Meldestelle» solle sich nur «islamistisch-terroristischen» Aktivitäten widmen. Nun sollen auch Inhalte beobachtet und entfernt werden, die Migranten «anlocken» könnten.
Schon jetzt profitiert die Polizeiagentur von der Vorratsdatenspeicherung europäischer Finanztransaktionen. Diese bei Banken und Kreditinstituten vorgehaltenen Informationen werden genutzt, um Netzwerke von Personen ausfindig zu machen und Finanzströme rückwirkend zu verfolgen. Und mitten in den Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und Europäischem Rat über ein geplantes Passagierdatenregister fordert Europol jetzt Zugriff auf die Vorratsdaten auch von Reisenden.
Außer den anlasslos gesammelten Informationen über Flugreisen und Finanztransaktionen würden weitere Europol-Datenbanken in das «Zentrum zur Terrorismusbekämpfung» integriert. Ähnliches gilt für die «Meldestelle»: Europol will die dort angebundenen Internetanbieter nicht nur zum Entfernen von Internetinhalten drängen, sondern auch IP-Adressen und andere Informationen von Google & Co. einsammeln. Bislang ist dies rechtlich aber gar nicht möglich, denn Europol darf keine personenbezogenen Daten von Privaten verarbeiten.
Die Bundesregierung hat nach eigenem Bekunden keine Ahnung von den millionenschweren digitalen Analysewerkzeugen bei Europol. Und das, obwohl das Bundeskriminalamt die entsprechenden IT-Plattformen überhaupt erst eingerichtet hat. Auch die stetig wachsenden Möglichkeiten zur Ausforschung und Kontrolle des Internet gehen auf BKA-Projekte zurück. Deutsche Polizeistellen gehören zu den Power-Usern bei Datenlieferungen und -abfragen bei Europol, als vermittelnde Zentralstelle fungiert das BKA in Wiesbaden. Seit Jahren kritisiert die LINKE den Ausbau polizeilicher Informationssysteme und warnt vor einem Data Mining, wenn die verschiedenen Datensammlungen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Möglicherweise umgeht das Bundesinnenministerium auf diese Weise die deutschen Datenschutzbestimmungen, denn die gleichzeitige Suche in mehreren Datenfeldern ist vom Bundesverfassungsgericht an hohe Auflagen geknüpft.
Die im Eiltempo durchgepeitschte Aufstockung von Europol bestätigt unsere Befürchtungen. Sie steht in keinem Verhältnis zu den parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten. Zwischen dem Beschluss und der Umsetzung der neuen Maßnahmen liegen mitunter nur wenige Monate. Gegenwärtig diskutieren Parlament, Kommission und Rat eine Neufassung der Europol-Verordnung. Europol fordert Zugriff auf die Daten von privaten Firmen, darunter Reiseanbieter und Internetfirmen. Es handelt sich dabei um auf Vorrat gespeicherte Daten. Zu den Plänen gehört auch, dass Europol Personendaten aus Befragungen von Geflüchteten erhält. Hierzu soll Europol noch dieses Jahr ein Abkommen mit der EU-Grenzagentur Frontex schließen.
Europol ist auf dem Weg zur Superbehörde. Besonders besorgt mich, dass EU-Parlamentarier über dürftige parlamentarische Kontrollfunktion verfügen. Antworten auf schriftliche Fragen an die Kommission überschreiten die ohnehin lange Frist von drei Monaten oft bei weitem. So bleibt immer noch unklar, welche Analysewerkzeuge Europol nutzt und welche Forschungsprojekte «zur Beobachtung offener Quellen und zum Entdecken von Propaganda im Internet» Europol eigentlich betreibt.
Das Bundesinnenministerium muss sich deshalb in den gegenwärtigen Diskussionen über die Neufassung der Europol-Verordnung für mehr parlamentarische und öffentliche Kontrolle einsetzen. Richtig wäre, bis zur neuen Europol-Rechtsetzung wenigstens ein Moratorium zu beschließen und bis dahin keine neuen Aufgaben an die Agentur zu übertragen. Jede weitere Kompetenzübertragung an Europol ist ein Schritt zur Entdemokratisierung.

* Der Autor sitzt für DIE LINKE im Bundestag mit Schwerpunkt Europapolitik.

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