von Anja Golder*
Der Streik im Sozial- und Erziehungsdienst endete mit einem ernüchternden Ergebnis: 53% der Ver.di- und 72% der GEW-Mitglieder haben, wie von der Tarifkommission vorgeschlagen, für die Annahme des Schlichtungsergebnisses gestimmt.
In den Presseerklärungen der beiden Gewerkschaftsvorstände wird die bei der Nachverhandlung herausgeschlagene, verbesserte Entlohnung der jüngeren Kolleginnen und Kollegen in den Kitas gefeiert. Verschwiegen wird, was man eigentlich in diesem Streik erreichen wollte: keine bloße Anhebung der Tarife, sondern eine neue Entgeltordnung, mit überarbeiteten Tätigkeitsbeschreibungen zu den einzelnen Entgeltgruppen, die dem Berufsalltag von Pädagoginnen gerecht werden, und im Zuge dessen veränderte Eingruppierungen, die eine Lohnanhebung um etwa 10% bedeutet hätten. Völlig aus dem Blick geraten ist die Forderung der Kolleginnen nach Mitnahme der Entwicklungsstufe beim Wechsel des Arbeitgebers. Stattdessen ist die Rede von einem ersten Schritt auf dem langen Weg zur Aufwertung. Für viele Kolleginnen hört sich das ziemlich zynisch an. Eine in Frankfurt aktive Kollegin äußerte zum letzten Tarifinfo der GEW, das die Annahme des Schlichtungsergebnisses verkündete, dass sie sich nicht mehr getraut hat, es in ihrer Einrichtung zu verteilen. Die Kolleginnen haben viel in diesen Arbeitskampf investiert, haben die täglichen Streikversammlungen als Orte kritischer Auseinandersetzungen und großer Solidarität erlebt, wurden vom abrupten Streikende eiskalt erwischt und sind unvorbereitet in ihre Einrichtungen und auf ihre Dienststellen zurückgekehrt.
Antworten werden immer noch gesucht
Der Sozial- und Erziehungsdienst besteht bundesweit aus etwa 720.000 Beschäftigten. Nur ein Drittel davon ist noch bei den Kommunen angestellt, mit sinkender Tendenz. Die anderen zwei Drittel arbeiten bei kirchlichen oder freien Trägern, bei denen der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) fast nie voll angewendet wird. Mit der fortschreitenden Privatisierung und der Vergabe von kommunalen Pflichtaufgaben an freie und kirchliche Träger werden sich zukünftig immer weniger Beschäftigte am Streik beteiligen können, egal, ob sie Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht. Daher ist es beachtlich, wie viele Kolleginnen, die nicht bei den Kommunen angestellt sind, sich mit Solidaritätsaktionen aktiv am Streik beteiligt haben. Dennoch bleibt festzustellen, dass die Gewerkschaften auf diese Entwicklung keine Antwort haben.
Von offizieller Gewerkschaftsseite hat man sich immer wieder über die harte Haltung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in den Tarifverhandlungen beschwert. Dass ein Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst ökonomisch nicht gewonnen werden kann, war bereits vor Streikbeginn bekannt und wurde von den kommunalen Arbeitgebern genutzt. Den Schaden hatten die Nutzer und deren Angehörige. Und auch das muss reflektiert werden: In kommunalen Kindertagesstätten ist der Anteil von Kindern, deren Eltern in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten und/oder Alleinerziehende sind, höher als in den Kitas der freien und kirchlichen Träger. Auch gegen dieses Grunddilemma des fehlenden ökonomischen Drucks wurde keine Strategie entwickelt.
Ein düsterer Blick in die Glaskugel
Kaum sind die Fahnen im Keller verstaut und die Trillerpfeifen an den Nachwuchs verschenkt, geht es auch schon wieder los: Im März 2016 beginnt die nächste reguläre Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Was wird erwartungsgemäß passieren? Die Gewerkschaften werden Forderungen aufstellen in einem Umfang und mit der Hoffnung, dass die VKA wenigstens der Hälfte des anvisierten Tarifergebnisses zustimmt. Es wird das übliche Brimborium geben. Was wird anders sein? Zusätzlich zur Schuldenbremse werden die Kommunalen Arbeitgeberverbände die Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge in die Waagschale werfen. Daher wird der Schlichtungsprozess wahrscheinlich eher eingeläutet als sonst. Wenn, wie im Sommer geschehen, beide Seiten die Schlichtung ausrufen, wird auch diesmal die Gewerkschaftsbasis nicht an dieser Entscheidung beteiligt. Abzuwarten bleibt, wie viele Kolleginnen überhaupt bereit sind zu streiken.
Wir brauchen daher eine inner- und außergewerkschaftliche Diskussion über effektive Streikformen im reproduktiven Bereich. Arbeitskämpfe müssen als soziale Kämpfe verstanden und geführt werden, Tarifkämpfe politischer werden als Einstieg in den Kampf um einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.
*Anja Golder ist aktiv im Frankfurter Netzwerk der sozialen Arbeit und in der GEW Frankfurt. Von der Redaktion gekürzt; die Langfassung findet sich unter www.sozonline.de.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.