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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2015

Disziplinarverfahren gegen hessische Lehrer
von Lutz Getzschmann

Am 16.Juni hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die verbeamteten Lehrkräfte in Hessen zu einem eintägigen Warnstreik aufgerufen.
Rund 6000 Kolleginnen und Kollegen hatten daraufhin die Arbeit niedergelegt. Rund 7000 Menschen, darunter auch Vertreter von Ver.di und der Gewerkschaft der Polizei, versammelten sich in Wiesbaden, um gegen die Landesregierung zu demonstrieren, die das im April für die Landesbeschäftigten ausgehandelte Tarifergebnis (2% Gehaltserhöhung für 2015 und weitere 2,4% für 2016) nicht auf die Beamten übertragen wollte. Diesen wollte sie stattdessen zunächst eine 18monatige Nullrunde verordnen. Anschließend sollte die Beamtenbesoldung jährlich lediglich um maximal 1% steigen.
Da die hessische Landesregierung trotz anderslautender Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und etlicher Verwaltungsgerichte nach wie vor der Auffassung ist, dass Beamtenstreiks unzulässig sind, war zu erwarten, dass gegen die Streikenden mit disziplinarischen Mitteln vorgegangen würde.
Ein Erlass des Hessischen Kultusministeriums (HKM) vom 8.September 2015 verpflichtete die Staatlichen Schulämter prompt, gegen alle Streikenden förmliche Disziplinarverfahren auf der Grundlage des Hessischen Disziplinargesetzes (HDG) einzuleiten und den Lehrkräften einen Verweis auszusprechen (Lehrer mit Funktionsstellen erhalten zusätzlich eine Geldstrafe von 200 Euro). Das stieß bei einigen Schulämtern auf Widerspruch, weil – anders als bei der Missbilligung, die nach dem Streik von 2009 ausgesprochen wurde – für jeden der am Streik Beteiligten ein förmliches Verfahren eingeleitet werden muss.
Besonders eilig mit der Abarbeitung der Verfahren hatte es wohl das Staatliche Schulamt in Kassel. Dort erhielten die etwa 300 Lehrkräfte, die sich am Warnstreik beteiligt hatten, pünktlich zu Beginn der Herbstferien per förmlicher Postzustellung die Benachrichtigung über die gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahren.
Nach mehreren Treffen und zahlreichen Nachfragen und Beratungsgesprächen ist zumindest für diesen Schulamtsbezirk klar: Mehr als die Hälfte aller Lehrkräfte, die sich im Juni dem Streikaufruf der GEW angeschlossen hatten, werden ihre Streikteilnahme im Rahmen einer mündlichen Anhörung persönlich im Staatlichen Schulamt begründen.
Viele weitere tun dies in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Anhörungen finden ganztägig statt, wodurch häufig Unterrichtsstunden ausfallen, insgesamt absehbar in einem Umfang, der die durch den Streik selbst ausgefallenen Stunden deutlich überschreitet.
Kurzfristig könnte Wiesbaden damit die Mobilisierung der GEW für einen eventuellen mehrtägigen Warnstreik im Frühjahr ausgebremst haben, denn im Wiederholungsfall droht allen jetzt disziplinarisch belangten Kollegen mindestens eine Geldbuße von jeweils mehreren hundert Euro.
Ob das Kultusminsterium allerdings mit seiner harten Gangart langfristig erfolgreich sein wird, darf bezweifelt werden. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27.2.2014 ausdrücklich festgestellt, dass die Bundesrepublik verpflichtet ist, dem in der Europäischen Menschrechtskonvention garantierten Streikrecht für Beamte «innerstaatliche Geltung zu verschaffen» und das deutsche Recht «konventionskonform zu gestalten».
So lange muss der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Beamtenbesoldung die Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst «in den Blick nehmen». Diese Vorgabe wird von der hessischen Landesregierung weiterhin eklatant verletzt.

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