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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2015
Soziale Ungleichheit ist ein Haupthindernis für Integration
von Manuel Kellner

«Wir schaffen das», sagte die Kanzlerin. Die Äußerung empörte ihren Fraktionspartner CSU, die seitdem nicht müde wird, mit allen verfügbaren Mitteln Stimmung zu machen, damit in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, wir schaffen es nicht, die Fluchtwelle überfordert uns, den Flüchtlingen muss die Tür vor der Nase zugesperrt werden.
Kein geringerer als der Bundesfinanzminister hat dem indirekt widersprochen. Schäuble schätzt die voraussichtlichen Mehrausgaben für die Versorgung und Integration der Flüchtlinge für das kommende Jahr auf rund 20 Mrd. Euro: 8 Mrd. für den Bund, 12 Mrd. für Länder und Kommunen. Zusätzliche Schulden will er in 2016 dennoch nicht machen. Denn die Steuereinnahmen werden 2015 auf ein Rekordhoch steigen: von 643,6 Mrd. in 2014 auf 671,7 Mrd. in 2015. Eine Zunahme von mehr als 4%. Damit steigen die Steuereinnahmen deutlich schneller als die Preise. Die Inflation werde 2015 voraussichtlich nur 0,2% betragen. Und das, obwohl die Steuerquote seit Jahren stabil bei 22–24% liegt.
Schäuble «hofft, dass nächstes Jahr nicht wieder 800.000 Flüchtlinge kommen». Will sagen: Wenn die wirtschaftliche Lage mal nicht soviel Geld in die Kassen spült, können wir uns die Flüchtlinge nicht mehr leisten. Wirklich?

Fluchtursachen bekämpfen!
Vor der gegenwärtigen Flüchtlingskrise hat die Europäische Union nach eigenem Bekunden jährlich 12 Mrd. Euro für den Empfang und die Integration der Flüchtlinge ausgegeben. Zur gleichen Zeit sind der EU eine Billion Euro wegen der Kapitalflucht in Steuerparadiese entgangen.
Ein Bruchteil davon würde genügen, alle Ausgaben für eine menschenwürdige Behandlung und für die Integration der Flüchtlinge zu bestreiten. Man muss an dieses Geld nur herankommen. Die Ursachen dieser Flucht gehören wahrlich bekämpft. Dazu muss man nur die Möglichkeiten zur Kapitalflucht unterbinden. Ein Mittel dazu sind Kapitalverkehrskontrollen. Summen ab einer bestimmten Höhe, sagen wir mal ab einer halben Million Euro, dürften die EU gar nicht verlassen können, ohne registriert und steuerrelevant überprüft zu werden.
Außerdem drängt sich die Angleichung der Behandlung der Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung mit allen anderen Einkunftsarten auf. Lohnabhängige können im nachhinein Werbungskosten und dergleichen geltend machen und erhalten, sofern sie einen Antrag auf Lohnsteuerjahresausgleich stellen, Geld aus der Lohnsteuer zurück, die der Fiskus zuvor von ihnen einbehalten hat. Diese Modell sollte aber für alle gelten! Dann würden alle Einkünfte – aus Zinserträgen, Vermietungen und Verpachtungen, Aktiendividenden und anderen Erlösen – direkt an der Quelle besteuert und Kapitaleigentümer könnten, ganz wie die Lohnabhängigen, erst im nachhinein einschlägige Ausgaben geltend machen, worauf ihnen der Staat einen Teil der eingezogenen Steuer wieder erstatten würde.
Davon sind wir weit entfernt. Eine der selbst zu verantwortenden Ursachen möglicher knapper Kassen ist die krass ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen. In Deutschland gibt es eine Million Millionäre mit einem summierten Vermögen von 2,7 Billionen Euro. Die 10% reichsten Familien in Deutschland verfügen laut World Wealth Report der Vereinten Nationen über 67–71% der Reichtümer. Die Kehrseite davon ist die spektakulär zunehmende Armut.

Integrationshindernisse
Der über viele Jahre hinweg bewusst vernachlässigte soziale Wohnungsbau trägt erheblich zu der wachsenden Ungleichheit bei. Leerstände entstehen bei uns nicht so sehr physisch, sondern weil Liegenschaften nicht zur Verfügung stehen, deren Eigner auf möglichst hohe Gewinne spekulieren. Mit Hilfe von Leerständen «verknappen» sie den real bestehenden Wohnraum, um den Preis dafür in die Höhe zu treiben. Eingesessene Arme und Flüchtlinge sollen sich um den «knappen» Wohnraum prügeln müssen und so gegeneinander aufgehetzt werden, anstatt sich gegen die Eigentümer zusammenzutun.
Analoges gilt für den Mindestlohn und die Mindeststandards für ein menschenwürdiges Leben und die Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten. Von konservativ bis liberal überbieten sich Kolumnisten gegenseitig in der Forderung, den neuen Andrang am Arbeitsmarkt dazu zu nutzen, um den an sich schon krass unzureichenden, weil Altersarmut garantierenden gesetzlichen Mindestlohn wieder auszuhebeln. Dafür bemühen sie ganz «humanitäre» Gründe, dieselben, die sie seit Jahrzehnten gegen den gesetzlichen Mindestlohn anbringen: Er produziere nur Arbeitslosigkeit. «Je erfolgreicher die Integration der Neuankömmlinge gelingt … desto stärker droht auch die Arbeitslosigkeit zu steigen, zumal bei verschlechterter Wirtschaftslage. Aber auch die Integration wird kaum gelingen, wenn der Zugang zum Arbeitsmarkt von Hürden verstellt ist», schreibt Henrik Müller auf Spiegel Online. Sein Rezept: Der Mindestlohn soll kaum steigen, dafür soll es «jede Menge Ausnahmen» geben. Dass eine solche «Integrationsperspektive» nichts mit Integration, dafür viel mit Ausbeutung zu tun hat, dämmert selbst dem Arbeitgeberpräsidenten Ingo Kramer. In einem Interview mit dem Westfalen-Blatt erklärt er: «Ich halte den Mindestlohn für falsch. Nun gibt es ihn aber, und deshalb bin ich der Letzte, der fordert, Flüchtlinge unterhalb des Mindestlohns zu bezahlen. Denn dann hätten wir den Verdrängungswettbewerb zwischen deutschen und ausländischen Beschäftigten, den wir auf keinen Fall haben wollen. Wir müssen darauf achten, dass die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen nicht untergraben wird.» Das schüren der Lohnkonkurrenz zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitskräften ist sichere Munition für verstärkte rechtsextreme Hasspropanda.

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