von Daniel Tanuro*
«VW – Das Auto.» So lautete der arrogante Werbespruch. Ungewöhnlich bei dieser Art von Botschaft spiegelt der Punkt am Ende eine eiserne Entschlossenheit, tyrannisch und ausschließlich. Doch das Flaggschiff der Qualität «Made in Germany» wurde auf frischer Tat ertappt, und zwar gleich beim zweifachen Betrug: den Stickoxid- und den Kohlendioxidemissionen. VW verdient nun einen Ehrenplatz in der Anthologie der Beispiele für die Unmöglichkeit eines grünen Kapitalismus.
Warum so ein Betrug? Darauf hat die britische Wochenzeitung The Economist, seit 1843 das Sprachrohr des Wirtschaftsliberalismus, in ihrer Ausgabe vom 26.9.2015 drei Antworten geboten, die miteinander zusammenhängen:
Die erste lautet: Wettbewerb um die Weltmarktführung. Um Toyota kurzfristig den Rang als weltgrößtes Autounternehmen abzulaufen, war es von strategischer Bedeutung, dass VW den (kleinen) US-Diesel-Pkw-Markt übernimmt, wo die NOx-Standards restriktiver sind als in Europa.
Die zweite betrifft die Kosten. Weil katalytische Verfahren zur Verringerung des Schmutzausstoßes bei Dieselmotoren teurer sind als bei Benzinern, erfand VW das Ei des Kolumbus: Das Unternehmen tat einfach so, als würde es die Standards einhalten!
Die dritte Antwort ist die beste, sie sei hier deshalb ausführlich zitiert:
«Die Automobilhersteller, insbesondere die europäischen, sind es gewohnt, sich solchen Problemen auf die billige Tour zu entziehen. Ihr Betrug ist in der Branche ein offenes Geheimnis (an open secret). Dies könnte erklären, warum auch die Aktien der Wettbewerber von VW fallen. Das Verbrechen von VW ist wahrscheinlich etwas besonderes, aber VW ist bei weitem nicht der einzige Hersteller, dessen Fahrzeuge weit unter den von den US-Aufsichtsbehörden erwarteten Werten bleiben. Die Europäische Union ist nicht so anspruchsvoll in bezug auf NOx wie die USA. Sie konzentriert sich mehr auf die Energieeffizienz und die CO2-Emissionen, wo ihre Standards die höchsten der Welt sind. Das Problem ist, dass diese engen Kriterien wenig mit dem zu tun haben, was die Fahrzeuge tatsächlich emittieren, wenn sie auf der Straße unterwegs sind. Transport & Environment (T&E), ein grüner Interessenverband, schätzt, dass die Lücke zwischen den vermuteten Verbrauchswerten und den von einem durchschnittlichen Fahrer erreichten Werten in den letzten Jahren auf 40% gestiegen ist.»
Die Hersteller kontrollieren sich selbst
Wie ist das möglich? Ganz einfach weil die europäische Regulierungsbehörde, die die Abgasnormen erlässt, sich nicht um die Überprüfung ihrer Umsetzung kümmert. Der Economist schreibt dazu:
«Es ist möglich, dass einige Unternehmen einen Softwaretrick nutzen, um bei den europäischen Effizienztests zu betrügen. Aber das europäische Testsystem ist so veraltet und anfällig für Missbräuche, dass die Autohersteller sich um solche Feinheiten gar nicht zu kümmern brauchen. Die Unternehmen testen ihre eigenen Fahrzeuge unter der Aufsicht von Prüfstellen, die von nationalen Regierungen zertifiziert sind. Aber diese Einrichtungen sind selber Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, um Geschäfte zu machen … Sie wissen, dass sie mit der Fähigkeit, die Testverfahren zu ‹optimieren›, Kunden gewinnen können. In der Praxis heißt das, sie tun alles um sicherzustellen, dass die Autos im Test viel besser aussehen als in der realen Welt.»
Der Artikel nennt weitere Details: «Die Autos, die getestet werden sollen, wurden in der Regel verändert, damit sie so sparsam wie möglich laufen. Alles, was zusätzliches Gewicht bringt, wie etwa die Audioanlage, wird entfernt. Durch Entfernung der Seitenspiegel und die Anbringung von Aufklebern an den Schlitzen wird die Reibung zwischen den Elementen reduziert. Spezialschmierstoffe lassen den Motor weicher laufen. Leichtlaufreifen werden mit speziellen Gasgemischen extrem stark aufgepumpt. Die Lichtmaschine wird abgetrennt, sodass mehr Leistung an die Räder übertragen wird, aber die Batterie am Ende [des Tests] entladen ist. Die Autos können bei sehr hohen Drehzahlen betrieben werden und es ist üblich, dass die Prüfungen bei höchster zulässiger Umgebungstemperatur durchgeführt werden – eine weitere Möglichkeit, die Effizienz zu steigern.
Das Schlimmste aber ist: Sobald ein Fahrzeug auf der Basis so eines fingierten Tests die Effizienzerklärung erhalten hat [also die Erklärung, dass es die Emissionsgrenzwerte für CO2 je Kilometer einhält], wird niemand jemals überprüfen, ob die Erklärung richtig ist oder nicht. Auch in Amerika sind die Autohersteller selbst für ihre Tests verantwortlich. Aber dann kauft die Umweltbehörde EPA Fahrzeuge nach dem Zufallsprinzip, um sie selber zu testen und zu sehen, ob die der Öffentlichkeit verkauften Fahrzeuge den Testerklärungen entsprechen. Wenn die Zahlen nicht übereinstimmen, kann das erhebliche Geldbußen zur Folge haben. 2014 musste Hyundai-Kia 300 Millionen Dollar für die falsche Erklärung seiner Verbrauchsdaten zahlen.
Europa verfügt über ein solches System der Bestrafung von Überschreitungen (der Standards) nicht. Daher sind nach Aussagen von Transport & Environment mehr als die Hälfte der in Europa seit 2008 deklarierten Wirkungsgrade (der Motoren) ‹rein theoretisch›.
Und die gesamte Industrie hat eine Lässigkeit gegenüber diesen Tests entwickelt, die aufhorchen lässt. Die VW-Aktivitäten in Amerika sind Teil eines Verhaltensmusters, das vom europäischen System hervorgebracht wurde. Es ist möglich, dass andere Hersteller eine ähnliche Software verwenden, um bei laufenden Tests zu betrügen, sei es in bezug auf die Emission von NOx oder von CO2. NOx-Emissionen von neuen Diesel-Pkw sind in Europa auf der Straße im Durchschnitt fünfmal höher als bei den Tests; einige Fahrzeuge liegen um das Zehnfache über dem Grenzwert, erklärt T&E.»
Der Betrug hat System
Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle Automobilhersteller bei der Angabe ihrer Emissionswerte für NOx oder für CO2 betrügen, um die Auflagen zu erfüllen. Die Mauscheleien werden hinter dem «Geschäftsgeheimnis» oder «Betriebsgeheimnis» versteckt, es sind Sonderfälle des kapitalistischen «Rechts auf Eigentum».
In der EU ist dieser Betrug mit den Emissionswerten durch ein «Regulierungssystem» institutionalisiert, von dem die Regierungen wissen, dass es reine Augenwischerei ist und nur dazu dient, einen Markt für Zertifizierungsstellen zu schaffen, deren oberstes Ziel darin besteht, die Standards zu umgehen, um Kunden zu gewinnen.
Die Bundesregierung und die EU hatten zumindest seit diesem Sommer (wahrscheinlich schon vorher) Kenntnis vom Betrug, das geht aus der Antwort des Verkehrsministers auf die Frage eines Bundestagsabgeordneten der Grünen hervor. Staatliche Zuschüsse zum Kauf eines «sauberen Autos», das nicht von unabhängigen Behörden auf Einhaltung der Grenzwerte überprüft wurde, entpuppen sich als indirekte Stützung einer technologischen Pseudoinnovation der Konzerne.
* Daniel Tanuro ist Agaringenieur, marxistischer Ökologe und Autor des Buches Klimakrise und Kapitalismus (Köln: Neuer ISP Verlag, 2015). Aus dem Französischen übersetzt von Björn Mertens, von der Red. gekürzt.
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