von Ewa Groszewska*
Bei den Parlamentswahlen in Polen am 25.Oktober haben zwei Parteien am besten abgeschnitten, die bereits vorher die politische Szene dominierten: die neoliberale Bürgerplattform (PO) und die Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS).
Die PO hat das Land in den letzten vier Jahren regiert und wachsende Verbitterung und Empörung unter Gewerkschaftern, Rentnern und Armen verursacht. Die PiS hatte davor in einer Koalition mit Samoobrona (Selbstverteidigung) und der Liga Polnischer Familien (LPR) regiert und wurde berühmt durch ihre Politik der «Abrechnung mit der Ungerechtigkeit», die Formen der politischen Rache angenommen hat. Unter der PiS befinden sich die Politiker, die grundsätzlich gegen Schwangerschaftsabbruch sind, gegen Gender in den Bildungsprogrammen kämpfen und Russophobie schüren: etwa nach dem Flugzeugunfall der Präsidentenmaschine bei Smolensk und jetzt in bezug auf die Ukraine. Sie baute sich im Wahlkampf mit Bildern hungernder Kinder als Verteidigerin der armen und benachteiligten Menschen auf.
Wählerbasis der PO…
Die PO gewann nur in einer Berufsgruppe, die der leitenden Angestellten, hier lag sie mit 28,8% allerdings nur knapp vor der PiS (27,1%). Ähnlich stimmten Firmeninhaber ab: 29,1 für PiS, 28,7% für PO. Die eigentlichen Motive für dieses Wahlverhalten sind nicht bekannt, aber es ist anzunehmen, dass die am besten Privilegierten in beiden ihre Interessen vertreten sehen. In beiden Wählergruppen erreichte die eindeutige neoliberale Partei «Nowoczesna» (Modernes Polen) den dritten Platz, auf Platz 4 kam die fremdenfeindliche «Kukiz»-Bewegung, das sind bekennende Nationalisten, die Demonstrationen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen organisieren und sich mit Rufen «Schlagt die Araber» hervortun.
Regional legte die PO geringfügig nur in den beiden Regionen Opole (Oppeln) und Pomorze (Pommern) zu. Deren Bewohner haben auf Grund der Lage (und des deutschen Passes in der Region Oppeln seit Jahrzehnten) die Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten und damit ihren Lebensstandard zu erhöhen.
…und der PiS
Die PiS erzielte beachtliche Erfolge vor allem bei den Bauern (53,3%), Rentnern (49,3%) sowie Arbeitern (46,8%). Hier ist ihr Wähleranteil und auch der Abstand zur PO am höchsten. Bauern und Arbeiter sind die Schichten, die in Polen am stärksten verarmten; sie haben offenkundig den Versprechungen der PiS, für ihre Interessen und Würde einzustehen, geglaubt. Die Praxis der PiS sah allerdings in ihrer vorhergehenden Regierungszeit schon anders aus: auch sie betrieb eine neoliberale Politik, die sie mit einer sozialen Rhetorik maskierte. Die PiS holte die meisten Stimmen in entgegengesetzten sozialen Umgebungen: in den fünf östlichen Woiewodschaften, die traditionell sehr konservativ sind und zu den ärmsten Regionen Europas gehören ebenso wie in Niederschlesien und Großpolen (eigentlich «Altpolen»), wo der Anteil an Armen gering ist.
Je höher der Bildungsgrad, desto geringer die Unterstützung für die PiS und umgekehrt. Die PiS gewinnt inzwischen in allen Altersklassen. Sie ist also nicht mehr eine Partei der Alten und religiösen Menschen, sie gewinnt durch ihre soziale Rhetorik auch Anhänger unter jungen Leuten. Bei den 18- bis 29jährigen wie auch unter Schülern und Studenten gewinnen die rechtspopulistischen Antisystemparteien Kukiz und Korwin (jeweils 20,6/20,9% bzw. 16,8/21,2%). Kukiz wurde vom gleichnamigen Rockmusiker gegründet, sie trat jetzt erstmals zu Wahlen an. Janusz Korwin-Mikke ist einer der reichsten Politiker in Polen. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich die rebellische polnische Jugend zur extremen Rechten hin bewegt.
Verhältnismäßig wenig Stimmen von Arbeitern und Arbeitslosen (4,9%) erhielt die Vereinigte Linke (ZL), ein Bündnis aus SLD, Palikot, den Grünen und der PPS. Der SLD war aus der «kommunistischen» Staatspartei PZPR hervorgegangen und in seiner Regierungszeit für neoliberale Reformen verantwortlich.
Die Linke
Eine Überraschung bereitete die neue linke Partei RAZEM (Gemeinsam), die ebenfalls erstmals kandidierte. Sie gewann überraschend unter Schülern und Studierenden jeweils 5,4% und 3,9%. RAZEM verfolgt einen antineoliberalen Kurs, betont die Interessen der abhängig Beschäftigten und schlägt eine Anhebung der Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer auf 75% vor. Sie versteht sich nicht als sozialistisch, hat eher einen zivilisierten sozialen Westen gegen Russland im Programm, ist gegen den Krieg, will aber dennoch in der NATO bleiben.
* Ewa Groszewska ist Soziologin, war Mitorganisatorin von Protesten gegen den Krieg im Irak und Afghanistan, gehörte der Polnischen Arbeiterpartei PPP an und vertrat diese Partei bei allen Wahlen von 2005 bis 2011.
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