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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2016
Die Probleme des Steinkohlebergbaus werden nur verlagert
von Rolf Euler

Der Steinkohlenbergbau unterhielt in Deutschland früher weit über 150 Bergwerke, deren Namen vor allem Ende des 19.Jahrhunderts oft aus politischen und militärischen Kreisen ausgewählt wurden, um sich mit einer damals namhaften Persönlichkeit zu schmücken und damit zu werben. Eine der Zechen mit eher seltenen Frauennamen ist/war bis zum 31.12.2015 das Bergwerk «Auguste Victoria» in Marl. Was selten bewusst wird: Dieser Name gehört der letzten deutschen Kaiserin, der Ehefrau von Wilhelm II., prominente Schirmherrschaft, die allerdings nur wenige Jahre überdauerte. Das 1899 gegründete Bergwerk, das 1905 mit der Förderung begann, «verlor» die Namensgeberin schon 1918 durch Abdankung oder besser: Flucht nach Holland.
Nun also macht «Auguste» zu – Ende nicht im Gelände, sondern unter Tage für viele Bergleute. Die Bergwerke des Steinkohlenbergbaus werden schließlich nicht aus energiepolitischen oder umweltpolitischen Gründen zugemacht, sondern aus Kostengründen – der Import von Steinkohle ist trotz langer Transportwege seit Jahrzehnten kostengünstiger, Strom wird aus Atom- und Braunkohlekraftwerken vermeintlich billiger produziert, und die Kokereien der Stahlindustrie und die Steinkohlekraftwerke an den Flüssen und Kanälen in Deutschland holen sich jedes Jahr einige Millionen Tonnen Importkohle.
So verbleiben in Deutschland von 2016 bis Ende 2018 nur noch zwei Steinkohlebergwerke mit wenigen tausend Beschäftigten: die Zeche «Prosper» in Bottrop und die Zeche «Ibbenbüren» im Teutoburger Wald. Deren hochwertige Anthrazitkohle wird in einem extra auf diese Kohlensorte zugeschnittenen Kraftwerk dort verstromt, schreibt (möglicherweise) schwarze Zahlen, beides wird Ende 2018 ebenfalls stillgelegt.
Resigniert haben sich die Kumpel und ihre große Bergbausympathisantengruppe damit abgefunden. Der ständige Anpassungsprozess seit 1970, früher von massiven Protesten unterbrochen, von den Mitbestimmungsorganen immer «konstruktiv» begleitet, hat alle zermürbt, am Ende steht keiner mehr für die Arbeitsplätze, die relativ guten Löhne, die relativ gute soziale Absicherung in der Region ein.
Für diejenigen, die den Bergbau immer von außen sehen, seine ökologischen Folgen betonen, seine Probleme sehen, mag die Stilllegung eines «Pütts» hauptsächlich eine Verringerung dieser Probleme bedeuten. Aber die Belegschaften, die Menschen in den Städten der Stilllegungszone nördlich der Emscher spüren, dass mehr als ein Problemfeld verschwindet. Sie wissen besser als andere, dass neue Probleme durch Abwanderung, Überalterung, Kaufkraftverlust entstehen.
Und niemand sollte vergessen, dass die Probleme des Steinkohlebergbaus nur verlagert wurden: ins Ausland. Möglicherweise wird vielen erst später klar, dass die sozialen Verwerfungen und die Klimaveränderung aus massenhaftem Kohleabbau und weltweitem Kohletransport in Nordamerika, Australien, China, Kolumbien ein größeres Problem darstellen als Wasserhaltung, Bergsenkungen und Millionensubventionen im Ruhrgebiet.
Es geht nicht darum, die RAG schönzureden oder den Bergbau als Hort der Sozialwirtschaft darzustellen. Es geht darum, dass die Menschen hier, oft um ihre Leistung betrogen, sagen: «Was bleibt sind wir!» – aber nun fehlen die gesellschaftlichen Kräfte, die sie für ihre Interessen mobilisieren konnten. Energiepolitik findet weiter auf ihrem Rücken statt – auch wenn die ehemalige Kaiserin Auguste nun endgültig dicht macht. Schließlich hatte sie nur den Namen gegeben, und sie und ihresgleichen haben nie dafür gesorgt, dass den Bergleuten ihre Arbeit angemessen vergolten wurde, geschweige denn die Macht gegeben wurde zu entscheiden, was und wie im Bergbau produziert wurde.

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