von Angela Klein
Militärisch gesehen ist der deutsche Beitrag zum Kriegseinsatz gegen den IS in Syrien mit Tornados für die Aufklärung, einer Fregatte und Luftbetankung französischer Kampfjets symbolischer als die Auseinandersetzung darum vermuten ließe. Politisch aber geht es auch diesmal hauptsächlich um die Enttabuisierung eines völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Einsatzes – jenseits aller politischen Vernunft, um auch militärisch wieder eine Macht zu werden.
Ursula von der Leyen ist sich nicht schlüssig: Einerseits spricht sie gern von einem «bewaffneten Angriff» des IS, der das «Selbstverteidigungsrecht» Frankreichs nach Art.51 der UN-Charta aktivieren würde. Art.51 setzt jedoch einen Staat oder ein anderes Völkerrechtssubjekt voraus, das diesen «bewaffneten Angriff» führt. Andererseits leugnet die Verteidigungsministerin den kriegerischen Charakter des Einsatzes eben mit der Begründung, dass es sich beim IS nicht um einen Staat, sondern um eine «Terrorbande» handle. Ja, was denn nun?
Kein robustes UN-Mandat
«Nur in zwischenstaatlichen Verhältnissen ist das Völkerrecht überhaupt anwendbar», schreibt Christoph Vedder, Professor em. für Völkerrecht, in der Süddeutschen Zeitung vom 9.12.2015. «Der IS ist trotz militärischer Geländegewinne und seines Namens weder ein Staat noch ein sogenanntes stabilisiertes De-facto-Regime … Aktionen nichtstaatlicher Akteure, die in ihrer Intensität staatlichem Tun nahekommen, lösen aber Art.51 nicht aus … Selbst wenn man einen ‹Angriff› annehmen wollte, gäbe es keinen Staat, gegen den man sich verteidigen könnte; Syrien hat Frankreich nicht angegriffen. Jede militärische Aktion gegen den IS verletzt die Territorialherrschaft Syriens.» Ohne Verweis auf Art.51 gibt es aber kein UN-Mandat – und somit keine völkerrechtliche Rechtfertigung für den vom Bundestag am 4.12.2015 beschlossenen Kriegseinsatz in Syrien.
Der Antrag, den die Bundesregierung am 1.12. im Bundestag eingebracht hat, spricht vom «Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS». Unter «Auftrag» heißt es lediglich: «Der deutsche Beitrag dient dem Kampf gegen den Terrorismus im Rahmen der Allianz gegen IS und zur Unterstützung insbesondere Frankreichs.»
In der Begründung ihres Antrags verweist die Bundesregierung auf verschiedene UN-Resolutionen, die feststellen, dass «von der Terrororganisation IS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht». Dazu zählt auch die Resolution 2249, die Frankreich am 20.November 2015 im UN-Sicherheitsrat eingebracht hatte.
Diese Resolution autorisiert nicht die Anwendung militärischer Gewalt nach Kap.VII der UN-Charta und beruft sich auch nicht auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art.51. Sie gibt jedoch denen Argumente an die Hand, die eine Intensivierung des Krieges gegen den IS befürworten, indem sie «alle Länder, die dazu in der Lage sind», aufruft, «den Krieg gegen den Terror auf das vom IS kontrollierte Gebiet in Syrien und im Irak zu tragen und seine Rückzugsorte zu zerstören, da die Gruppe weitere Terroranschläge plane». Gewalttaten des IS sollen «vereitelt und unterdrückt» werden.
EU – ein kollektives Sicherheitssystem?
Für sich genommen, würden diese Verweise in Deutschland nicht ausreichen, um in den Krieg zu ziehen. «Nicht jeder völkerrechtlich legitime Einsatz ist nach deutschem Verfassungsrecht erlaubt», schreibt Christoph Vedder in der SZ. «Ein Einsatz der Bundeswehr ist [nach Art.24 Abs.2 Grundgesetz] allein im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems möglich.» Deshalb begründet die Bundesregierung den Einsatz zusätzlich mit Frankreichs Beistandsersuchen. Die französische Regierung hatte am 16.November 2015 zum erstenmal überhaupt die Aktivierung der sogenannten «Beistandsklausel» nach Art.42 Abs.7 des EU-Vertrags (EUV) angekündigt, der am Folgetag alle EU-Mitgliedstaaten zustimmten.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon vom 30.Juni 2009 verneint, dass es sich bei der EU um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit handelt: «Auch wenn die Europäische Union zu einem friedenserhaltenden regionalen System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art.24 Abs.2 GG ausgebaut würde, ist in diesem Bereich wegen des … Friedens- und Demokratiegebots eine Supranationalisierung mit Anwendungsvorrang im Hinblick auf den konkreten Einsatz deutscher Streitkräfte nicht zulässig.»
Der Einsatz der Bundeswehr ist also weder durch das Völkerrecht noch durch das Grundgesetz gedeckt.
Terrorbekämpfung oder Kolonialkrieg?
Das EU-Rechtsgebäude hält vor allem zwei Artikel parat, die mögliche Reaktionen auf Gewaltakte gegen ein Mitgliedsland zum Inhalt haben. Einmal besagte Beistandsklausel des EU-Vertrags. Zum anderen die sogenannte «Solidaritätsklausel» nach Artikel 222 des «Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union» (AEUV). Terroranschläge fallen explizit in den Bereich der Solidaritätsklausel, sie verpflichten die Mitgliedstaaten zur «Unterstützung», die auch militärische Mittel einschließen kann.
Der Artikel 222 AEUV bezieht sich jedoch primär auf die Unterstützung auf dem Territorium der Mitgliedstaaten selbst, mithin auf Militäreinsätze im EU-Inland. «Eine völkerrechtliche Rechtfertigung zu militärischen Aktionen außerhalb der EU lässt sich ihm nicht entnehmen», schreibt Vedder. Ganz abgesehen davon, dass eine solche Unterstützung vom Grundgesetz nicht gedeckt ist.
Doch Frankreich hat sich auf die Beistandsklausel berufen, womit augenscheinlich unterstrichen werden sollte, dass es um eine Unterstützung französischer Militäraktionen im Ausland gehen soll. Mögliche französische Motive, sich auf die Beistandsklausel der EU zu berufen und nicht etwa auf die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des NATO-Vertrags gibt es mehrere. Eines kann die Sorge gewesen sein, eine Einbeziehung der NATO werde die Einbeziehung Russlands in eine Anti-IS-Koalition erschweren; ein anderes die Tatsache, dass damit das NATO-Mitglied Türkei weitgehend aus der Koalition herausgehalten werden kann.
Sicher eine Rolle gespielt haben dürfte das traditionelle französische Interesse an einer Stärkung der militärischen EU-Strukturen gegen die von den USA dominierte NATO. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass Frankreich die Reaktionen auf die Anschläge nicht allein schultern will – oder womöglich auch kann.
Entscheidend aber ist, dass in der aktuellen Debatte die Beistandsklausel in eine Art militärische Beistandsverpflichtung uminterpretiert wird. Daraus wird u.a. die Verpflichtung abgeleitet, Frankreich militärisch auch in Einsätzen beispringen zu müssen, die in kaum erkennbarem Zusammenhang zu den Anschlägen stehen: etwa durch Verdopplung des deutschen Kontingents in Mali.
Zwingend leiten sich jedoch militärische Unterstützungsmaßnahmen keineswegs aus der Beistandsklausel ab. Sie lässt mehr als genug Spielraum, um das Ausmaß der militärischen Unterstützungsleistung frei wählen zu können. Vor allem die Passage, die Beistandsklausel lasse den «besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt», eröffnet Deutschland alle Optionen, militärische Unterstützungsforderungen rundweg abzulehnen.
Die deutschen Abgeordneten haben weiterhin jedes «Recht», einen Militäreinsatz, den sie für unsinnig halten, abzulehnen. Nur haben sie von diesem Recht mal wieder mehrheitlich keinen Gebrauch gemacht.
Verdeckte Ziele
Der diplomatische Eiertanz, der um die Rechtfertigung eines weiteren deutschen Kriegseinsatzes geführt wird, enthüllt also bei näherem Hinsehen zweierlei: Erstens entspricht das Instrumentarium, das jetzt aktiviert wird, nicht der realen Bedrohung. Es ist, als wolle man einen Brandherd mit einem Hochdruckkompressor löschen. Zweitens aber legt er den Verdacht nahe, dass noch ganz andere Ziele anvisiert sind als der genannte «Kampf gegen den Terror». Bei Frankreich liegt der Wunsch nahe, wieder militärische Großmacht spielen zu können, nachdem es so lange von den USA an die Wand gespielt worden ist. Und die herrschenden Kreise in Deutschland freuen sich über jeden Vorwand, der ihnen erlaubt, auch die noch verbleibenden Einschränkungen ihrer militärischen Großmachtambitionen über Bord zu werfen.
André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbands, hat bereits angekündigt, der Krieg gegen den IS werde sich mehr als zehn Jahre hinziehen und sich womöglich auf West- und Nordafrika ausdehnen. Der Politikwissenschaftler Christian Hacke bringt es im Deutschlandfunk auf den Punkt: «Deutschland wird militärisch-politisch seinen Handlungsspielraum enorm vergrößern können. Das ist das eigentlich Wichtige.»
Quellen: www.imi-online.de; Süddeutsche Zeitung vom 9.12.2015.
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