aus Regards.fr*
Der Ausnahmezustand hat verhindert, dass die Aktionen rund um den Klimagipfel in Paris den Massencharakter annehmen konnten, der im Vorfeld erhofft worden war. Erschwerend kam hinzu, dass das Bündnis Coalition Climat 21 uneins war, wie es darauf reagieren sollte. Dennoch haben in den beiden ersten Dezemberwochen zahlreiche Aktionen stattgefunden, an denen jeweils Tausende beteiligt waren.
Wurden beim Versuch, am 29.November die Auftaktdemonstration auch in Paris durchzuführen, noch mehrere hundert Aktivisten verhaftet und die Demonstrierenden eingekesselt, hat das Innenministerium beim Abschluss am 12.12. auf solche Bilder verzichtet. Den ganzen Tag über fanden verschiedene Aktionen statt: vormittags legte sich eine riesige Leuchtschrift über die Stadt, «Climate, Justice, Peace»; um die Mittagszeit klagten 15000 Menschen mit der Aktion «Rote Linien» zwischen La Défense und dem Triumphbogen die Klimaverbrechen an; um 14 Uhr versammelten sich 20000 zu einer Kundgebung auf dem Marsfeld. In der Woche davor hatten Tausende an den zahlreichen Initiativen in der Klimaaktionszone im Kulturzentrum 104 teilgenommen.
In einer politischen Bilanz auf der Webseite der Zeitschrift Regards sieht Christophe Aguiton, einer der Organisatoren der Coalition Climat 21, die Bewegung allerdings erst am Anfang. «Obwohl die Öffentlichkeit im großen und ganzen weiß, dass das Klima aus den Fugen gerät und dies für die Menschheit die größte Herausforderung seit der letzten Eiszeit ist, ist die Mobilisierung der Bürger noch schwach. Das hängt auch damit zusammen, dass der Klimawandel viele Ursachen hat: in der Landwirtschaft, in der Industrie, in unseren Reisen usw. Die Selbsttätigkeit der Bürger ist aber unerlässlich, weil wir auf Staaten und Unternehmen als Motoren einer Umkehr nicht zählen können, und weil unsere Gesellschaften dafür einen wirtschaftlichen und energiepolitischen Wandel brauchen.»
Brücken schlagen
Seit Kopenhagen 2009 hat sich jedoch einiges getan. Vor allem unter den Aktivisten ist die Einsicht gewachsen, dass die fossilen Brennstoffe im Boden bleiben müssen und die Klimabewegung mit Lobbytätigkeit nicht wirklich weiter kommt. «Paris hat eine Gelegenheit geboten, Forderungen nach mehr Gerechtigkeit, Gleichheit, Nahrungsmittelsicherheit, Arbeitsplätzen und sozialen Rechten zusammenzubringen», meint Maxime Combes von Attac Frankreich. Die Bewegung habe sich dadurch erheblich politisiert. «Die Entwicklung eines Bewusstseins über die Ursachen und verheerenden Auswirkungen des Klimawandels führt faktisch zu einer Kapitalismuskritik.» Das geht so weit, dass auf der Webseite der Zeitschrift die Frage gestellt wird: «Ist die Klimabewegung die Zukunft des Antikapitalismus?»
In den vergangenen Jahren hatte die Umwelt- und Klimabewegung verschiedene Schwerpunkte: die Diskussion über das «buen vivir», das gute Leben, die von den Indígenas aus Lateinamerika kam und Wirtschaftsmodelle, die auf Rohstoffabbau gründen, ablehnt; Massenaktionen gegen Großprojekte, gegen Fracking, gegen den Kohleabbau... Als 2007 die Freunde der Erde den Anstoß zur Gründung des Netzwerks Klimagerechtigkeit (CJN) gaben, war das die Geburtsstunde einer neuen Allianz zwischen Umweltschützern und globalisierungskritischen Organisationen, die sich sonst eher auf die Finanzwirtschaft und den Welthandel konzentrieren. «Das hat beide verändert», sagt Maxime Combes. «Gleichzeitig hat die soziale Frage eine Erweiterung erfahren, nämlich um die Frage der bürgerschaftlichen Rechte gegenüber den Konzernen, Eliten und internationalen Institutionen.»
Dennoch: «Es gibt Umweltbewegungen, aber noch keine Bewegung für Klimagerechtigkeit. Das ist eine Herausforderung für uns alle: eine Bewegung aufzubauen, die stabil und dauerhaft ist wie es die Arbeiterbewegung war», bilanziert Christophe. «Intellektuell gibt es Brücken zwischen der Antiausteritätsbewegung und der Klimabewegung, aber es ist schwer, sie praktisch werden zu lassen», meint Maxime. «Es ist einiges in Bewegung geraten, aber einige Umweltorganisationen tun sich immer noch schwer damit, multinationale Konzerne und neoliberale Orientierungen politisch anzugehen.» Ansätze, die vor allem die individuelle Verantwortung betonen, riskieren, die tatsächliche gesellschaftliche Verantwortung bestimmter Akteure zu vernebeln. «Wir können sagen: ‹Wir sitzen alle im selben Boot›, aber wir haben nicht gleich lange Ruder und sitzen auch nicht alle am Steuer.»
Maxime sieht deshalb die Notwendigkeit, über den Kampf für das Klima hinauszudenken. Umgekehrt sieht er aber auch großen Nachholbedarf bei denen, die immer noch der Wachstumsideologie und dem Industrialismus erliegen. Christophe sieht derzeit drei Ansatzpunkte für ständige Kampagnen: 350.org konzentriert sich auf den Ansatz, Akteure auf den Finanzmärkten zu zwingen, dass sie ihr Geld aus der fossilen Energieerzeugung herausziehen und in Erneuerbare investieren; Alternatiba zeigt, wie konkrete Alternativen im Alltag möglich sind; Ende Gelände liefert ein Beispiel für die massenhafte, gewaltfreie Behinderung von Kohleabbau durch Besetzungsaktionen. Wird die dringende Notwendigkeit einer Veränderung der Produktions- und der Konsumweise zur Abschaffung des Kapitalismus führen? Das Szenario ist zumindest plausibel geworden.
* Quelle: www.regards.fr/web/article/le- mouvement-climatique-est-il-l
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