Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2016
Nachruf
vom Vorstand des Rom e.V.

Am 10.Dezember verstarb der Motor, Mentor und Menschenrechtler Kurt Holl im Alter von 77 Jahren.
Kurt Holl war in Köln eine Institution. 1938 wurde er in Nördlingen im schwäbischen Ries geboren. Er überlebte den Krieg auf dem Hof seiner Großeltern, umsorgt von zwei russischen Zwangsarbeitern. 1953 verschlug es ihn nach Köln, während seiner Schulzeit hatte er Kontakt zur algerischen Befreiungsfront (FLN), für die er manchen Kurierdienst erledigte. 1959 während seines Theologiestudiums bekam er zum erstenmal Besuch vom Verfassungsschutz. Als die BRD nicht nur den Kolonialkrieg der Franzosen, sondern dann auch den Vernichtungskrieg der USA gegen das vietnamesische Volk unterstützte, trat er aus der SPD aus und wurde führendes Mitglied im Kölner SDS.
In dieser Eigenschaft fing er sich 1968 eine Reihe von Strafverfahren ein, weshalb er 1976 aus dem Schuldienst geworfen wurde mit der Begründung: «Herr Holl hat nicht die für einen Beamten notwendige charakterliche Eignung.» Der Versuch der Stadt, ihn durch «Pflichtarbeit» auf dem Melatenfriedhof zu resozialisieren, misslang, ihm wurde verboten den «Friedhof weiterhin zu betreten», er habe die anderen Pflichtarbeiter zum Streik aufgestachelt.
Ende der 70er Jahre bereitete er einen Einbruch in das EL-DE Haus vor, in dessen Kellerräumen sich die Zellen des ehemaligen Gestapogefängnisses befinden, wo Tausende von Wandinschriften der Häftlinge einer «Renovierung» zum Opfer fallen sollen (in einer Nacht gelang es, zusammen mit dem Fotografen Goni Huber 1200 der Graffitis abzulichten und sie damit zu retten. Nachdem er wieder Lehrer sein durfte, solidarisierte er sich mit den Zigeunern, die von der Wiese hinter seiner Schule vertrieben werden sollten, und versuchte zusammen mit ihnen, die unverschämtesten Angriffe auf ihre Rechte abzuwehren. Danach engagierte er sich unermüdlich für die Sache der Roma. Im folgenden veröffentlichen wir daher den Nachruf des Rom e.V.

Geboren 1938, wurde er 1956 durch den Aufstand in Ungarn politisiert und machte bis zu seinem Lebensende die Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Missständen zu seinem Lebensinhalt, mit dem Ziel, die Verhältnisse grundlegend zu verändern. Er kämpfte gegen den Krieg in Vietnam, für verbesserte Rechte der mit Pflichtarbeit belegten Sozialhilfeempfänger, für den Erhalt von Wohnungen türkischer «Gastarbeiter», den Erhalt des EL-DEHauses als Gedenkstätte und seinen Ausbau zum Dokumentationszentrum; für die Entschädigung der Zwangsarbeiter sowie den Erhalt der Bäume auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring – dies nur eine Auswahl seiner Aktivitäten.
1986 gründete er mit anderen Engagierten die Roma-Initiative, 1987 den Verein Rom e.V., in dessen Vorstand er bis zu seinem Tode, zuletzt als Ehrenvorsitzender, aktiv war. Durch seinen unermüdlichen, ja unerbittlichen Einsatz «in Sachen Roma» veränderte er nicht nur in Köln die Sicht auf und den Umgang mit Roma; er erreichte u.a. Wiedergutmachung für Sinti, Bleiberecht für viele Roma und kämpfte mit ihnen für gesellschaftliche Teilhabe, Chancengleichheit und Integration. Die Aufarbeitung und Erinnerung an den NS-Völkermord an Sinti und Roma hat er früh mit angestoßen. Mit der gemeinsam mit Gunter Demnig gelegten Spur («Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti») im Jahr 1990, aus der sich nach dem ersten Stein vor dem Rathaus im Jahr 1992 die «Stolpersteine» entwickelten, hat er ein dauerhaftes Erinnerungszeichen mit geschaffen.
Das Archiv im Rom e.V. und das Schulprojekt Amaro Kher sind wesentlich durch seinen Einsatz entstanden. Darüber hinaus veröffentlichte er Bücher zum Thema sowie die Vereinszeitschrift, organisierte Ausstellungen und Kongresse.
Vom Lehrer mit Berufsverbot, «schwarzen Schaf» und Fundamentaloppositionellen der Kölner politischen Landschaft wurde Kurt zum anerkannten, aber nicht unbedingt geliebten Experten für Fragen zur Integration von Roma-Migranten in Deutschland und schließlich auch dafür geehrt: 2007 wurde ihm der Rheinlandtaler verliehen. Zusammen mit Hedwig Neven DuMont, die mit «wir helfen» auch die Arbeit des Rom e.V. stark unterstützt, erhielt er 2011 die alternative Ehrenbürgerschaft Kölns.
Die Kölner Stadtgesellschaft hat einen wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteur verloren.
Wir vom Rom e.V. werden ihn schmerzlich vermissen. Sein Elan, seine Kreativität und sein Engagement werden weiterhin für unsere Arbeit vorbildhaft sein.

Der Vorstand des Rom e.V.

Die Trauerfeier für Kurt Holl findet am 9.Januar 2016, um 16 Uhr, in der Lutherkirche statt.

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