von Flavio Guidi*
Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Spanien hat die Linke (einschließlich der sozialdemokratischen PSOE) die Mehrzahl der Stimmen erzielt (rund 52%), doch wegen des undemokratischen Wahlgesetzes erhält sie nicht die Mehrheit der Sitze.
Selbst wenn man alles zusammenzählt: 90 Mandate der PSOE, 69 von Podemos, 2 der UP, 2 von Bildu (eine baskische Partei) und 9 der ERC (Katalanische Republikanische Linke) kommt man auf 172 von insgesamt 350 Mandaten. Andererseits hat auch die Rechte angesichts des Einbruchs der konservativen PP und dem Nichterfolg von Ciudadanos lediglich 163 Mandate bekommen. Nur mit der Unterstützung der moderaten Katalanen (CDC, 8 Mandate) und der baskischen PNV (6 Mandate) käme sie auf 177 Mandate, eine unwahrscheinliche und zudem sehr riskante «Mehrheit».
Andere Ergebnisse sind jedoch unanfechtbar. Dazu gehört vor allem das Ende des Zweiparteiensystems, das die spanische Politik seit dem Ende der Diktatur 1977 und besonders seit Anfang der 80er Jahre verdirbt. Nun haben die beiden Schlüsselparteien der bourbonischen «Restauration» – wie manche den mehr oder weniger schmerzfreien Übergang nennen, der den Schergen des Regimes und dessen Eliten erlaubte, den Franquismo hinter sich zu lassen, ohne dass sie dafür bezahlen mussten – zusammen einen Stimmenanteil von rund 50% erhalten und müssen sich mit neuen politischen Kräften abfinden, die ihre Regierungstätigkeit stören können (insbesondere Podemos).
Zweitens ist da die Niederlage der PP, die 16 Prozentpunkte verloren hat (mehr als 4 Millionen Wähler) und damit das schlechteste Resultat ihrer Geschichte einfuhr. Dank der zeitgleichen Krise der PSOE bleibt sie mit 28,7% stärkste Partei, was oberflächliche Kommentatoren dazu verleitet hat zu sagen, die PP habe die Wahlen gewonnen: Im Gesicht von Rajoy und seiner wenigen Anhänger, die den Mut hatten, sich vor dem Sitz der Partei in Madrid zu zeigen, konnte man ablesen, wie sehr sie sich als «Sieger» fühlten.
Drittens ist da die nicht erfolgte «Pasokisierung» der PSOE. Sie hat zwar 7 Prozentpunkte der Stimmen verloren (–1,5 Millionen), bleibt aber mit 22% der Mandate zweitstärkste Partei (und kommt in Andalusien und Estremadura auf den ersten Platz). Ihr neuer Parteichef Pedro Sánchez kann behaupten, seine Möbel gerettet zu haben, wie man in Spanien sagt. Und nach wie vor kommt man für eine linke Regierungsbildung um die PSOE nicht herum.
Podemos – trotz ihrer Fehler und des medialen Gegenwinds die einzige Siegerin dieser Wahl – auf den dritten. Mit mehr als 5 Millionen Stimmen (fast 21%) ist sie die wahre Neuerung bei diesen Wahlen. In Katalonien und im Baskenland wird sie stärkste Partei (oder besser Koalition), hier ist es zumindest auf Wahlebene gelungen, die Rückschläge für Pablo Iglesias vor wenigen Wochen wegen seines Eintretens für das «Spaniertum» (gegen die katalanische Unabhängigkeit) zu überwinden. Kurz nach der Wahl hat Iglesias ein Bekenntnis zur «Plurinationalität» des spanischen Staates abgegeben. Die Einbindung wichtiger linker Kräfte in Bündnislisten in vielen autonomen Regionen wie eben Katalonien, dem Baskenland, Galicien oder der Region Valencia hat sich als erfolgreich erwiesen. Wenn wir bedenken, dass Podemos vor weniger als zwei Jahren gegründet wurde, erkennt man, wieviel in kurzer Zeit erreicht wurde.
An vierter Stelle rangiert Ciudadanos, eine wahlpolitische Bestätigung dieses Bluffs ist ausgeblieben. Diese «Partei» wurde von den Medien aufgepäppelt, hat weder Aktivisten noch ein politisches Projekt, sie ist eine Art leerer Schlauch liberaler Beliebigkeit. Einen Moment lang hatte man befürchtet, es werde der Feuergewalt verschiedener Schreiber und des Fernsehens gelingen, diese «orange» Formation nach oben zu katapultieren. Nun, die Tatsache, dass sie 3,5 Millionen Stimmen erlangt hat, fast 14%, zeigt, dass diese Feuermacht beträchtlich ist. Aber wenn man bedenkt, dass die Bürger monatelang mit Interviews von Parteivertretern und Umfragen bombardiert wurden, die ihnen mehr als 20% gaben, mehr als Podemos und sogar die PSOE, kann man ein wenig Optimismus schöpfen, dass die Dummen am Ende doch nicht so zahlreich sind. Zufrieden kann man auch feststellen, dass drei Monate nach den Wahlen vom 27.September in Katalonien der Stimmenanteil von Ciudadanos hier fast halbiert wurde.
An die fünfte Stelle kam Izquierda Unida (im neuen Gewand der «Unidad Popular»), sie konnte trotz ihrer vorhersehbaren Wahlniederlage angesichts der Konkurrenz von Podemos den Schaden begrenzen. Zwar erhielt sie weniger als eine Million Stimmen (und dank des undemokratischen Wahlsystems nur 2 Mandate in Madrid) – vor vier Jahren waren es noch 1,7 Millionen gewesen, ihr Anteil ist von 6,9 auf 3,7% gesunken. Das Ergebnis muss aber differenziert werden. Die Kandidaten der IU sind in Katalonien und Galicien eine Koalition mit Podemos eingegangen (weitere drei Abgeordnete der IU wurden auf Bündnislisten gewählt). Vermutlich liegt der tatsächliche Wähleranteil der IU bei etwa 5%.
* Flavio Guidi ist Mitglied von Sinistra Anticapitalista in Brescia, Italien, er hat viele Jahre in Katalonien gelebt.
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