von Roger Martelli/d.Red.*
Welch ein Ergebnis! Im ersten Wahlgang enthält die sich die Hälfte der Wahlberechtigten, im zweiten Wahlgang sinkt der Anteil der Enthaltungen nur deshalb auf 41,5%, weil parteiübergreifend Front gemacht wird gegen einen Durchmarsch der rechtsextremen FN. Dadurch hat diese ihr Wahlziel, in zwei Regionen die Regionalpräsidentin zu stellen, nicht erreicht. Für die Präsidentschaftswahlen 2017 hätte das eine starke symbolische Bedeutung gehabt, aber auch so ist der Triumphzug der FN das Hauptergebnis dieser Wahlen: Im 1.Wahlgang ist die FN in sechs von dreizehn Regionen stärkste Partei geworden. Insgesamt hat sie ihre Regionalmandate verdreifacht.
Der wahlpolitische Anti-FN-Reflex hat dazu geführt, dass die sog. «gemäßigte Rechte» sich im 2.Wahlgang von 6,9 Millionen Stimmen auf über 10 Millionen gesteigert hat; aber auch die FN hat nochmals zugelegt: von 6 auf 6,8 Millionen. Alle Strömungen zusammengenommen, verfügt die Rechte über eine krachende Mehrheit: Sie hat im 2.Wahlgang 68% der Stimmen eingesammelt.
Natürlich profitiert die FN von den Anschlägen im Januar und November 2015 und der Verschiebung des politischen Diskurses auf das Terrain der Abwehr und Sicherheit. Doch die Begriffe «Ausnahmezustand» und «Kriegszustand», mit denen nunmehr fast die gesamte politische Führungsschicht die Lage Frankreichs beschreibt, sind ein Echo auf jene Weltsicht, die unsere Gesellschaften in einem «Kampf der Kulturen» sieht, in dem der Islam als der Hauptfeind gilt, zumal er von einer schlecht integrierten, eingewanderten Bevölkerungsschicht getragen wird. Während die sozialdemokratische Linke sich in dem Rahmen einrichtet, der von der kapitalistischen Globalisierung vorgegeben wird, beflügelt der Rückgang der Arbeiterbewegung die Vorstellung, der Klassenkampf sei nunmehr vom Kampf um Identitäten abgelöst worden.
Die sog. gemäßigte Rechte, die unter der Führung von Sarkozy den identitären Diskurs von Le Pen übernommen hat in der Hoffnung, der Konkurrentin zu ihrer Rechten das Wasser abzugraben, steckt nun in der Klemme zwischen einer FN, die den populistischen Sicherheitsdiskurs besser beherrscht, und einer sozialliberalen Sozialistischen Partei (PS), die ihr in Sachen Wettbewerbsorientierung in nichts nachsteht, sich dafür aber weltoffener gibt. Den Dorn FN wird die Rechte nicht mehr los, sie hat kein Rezept, wie sie ihr begegnen kann.
Die sozialliberale Linke hat im 1.Wahlgang in vier von dreizehn Regionen ein Drittel ihrer Stimmen verloren, und in drei weiteren Regionen ein Viertel. In den beiden Regionen, in denen die FN fast die absolute Mehrheit gewonnen hätte, ist die PS im Regionalparlament nicht mehr vertreten. Nur in der Region um Paris hat sie sich gehalten. Dennoch sieht die Parteiführung keine Veranlassung, von ihrem Kriegskurs nach innen und außen abzulassen.
Die Linksfront (FdG) ist abgemeldet. Ihr Wahlergebnis im 1.Wahlgang ist unübersichtlich, weil sie in sehr verschiedenen Konstellationen angetreten ist, in drei Regionen traten verschiedene Strömungen der FdG sogar gegeneinander an. Alles in allem hat sie zwei Drittel der Sitze verloren, die sie 2010 gewonnen hatte. In sechs Regionen liegt sie unter 5%.
Seit den Präsidentschaftswahlen 2012 ist die radikale Linke (links von PS und Grünen) wahlpolitisch kontinuierlich auf dem absteigenden Ast. Aus der Rechtswende der letzten Wochen und Monate hat sie keinen Honig saugen können. Gegenüber dem Ausnahmezustand vertritt sie keine geschlossene Position: Ihre Abgeordneten in der Nationalversammlung haben für das Sicherheitspaket der Regierung gestimmt, ihre Mandatsträger im Senat haben sich enthalten, und mehrere Strömungen wie etwa «Ensemble» sind ganz und gar dagegen.
Die radikale Linke hat ein grundsätzliches Problem: Der Aufschwung der gesellschaftlichen Kämpfe ab Mitte der 90er Jahre und die damit einhergehende ideologische Radikalisierung hat nicht zu einem starken parlamentarischen Pol der radikalen Linken geführt. Sie findet sich weiterhin gebeutelt vom historischen Niedergang der PCF. Keine politische Kraft war bislang in der Lage, den Platz einzunehmen, den diese geräumt hat. Zu Beginn der 2000er Jahre schien es einen Moment so, als könnten die Nachfahren des Trotzkismus die PCF wahlpolitisch beerben. Das war jedoch eine kurze Blüte, die durch die enge Orientierung der NPA alsbald wieder in die Marginalität gedrängt wurde. Danach schien die Linksfront eine Weile übernehmen zu können. Doch wahlpolitisch ist sie jetzt an einem toten Punkt, nicht nur wegen interner Querelen, sondern auch weil sie es nicht schafft, neue Milieus um sich zu scharen.
Doch das Hauptproblem der Linken liegt nicht allein in ihrer Unfähigkeit, Kräfte zusammenzuführen. Es liegt mehr noch in ihrer Unfähigkeit, mit einem gesellschaftpolitischen Zukunftsprojekt identifiziert zu werden, das die emanzipatorischen Traditionen der Arbeiterbewegung mit den Erwartungen, Wünschen und Kulturen von heute verbindet. Ein solches Projekt wäre jedoch das einzige Bollwerk gegen die FN. Ein Projekt, das den Fluch von Strukturen überwindet, die sich selbst genügen. Das die sterile Trennung zwischen dem Sozialen, dem Politischen und dem Symbolischen überwindet. Das genügend «Bewegung» schafft, damit die destabilisierten Bevölkerungsschichten wieder Lust am Kollektiv und am Gemeinwesen finden.
* Der Autor hat auf der Webseite www.regards.fr detaillierte Analysen zu den Ergebnissen der Regionalwahlen geliefert. Zusammengestellt von der Redaktion.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.