von Manfred Dietenberger
In der SoZ vom Januar 2016 nahm Manfred Dietenberger die Position der IG Metall zur Rüstungsproduktion unter die Lupe und kontrastierte sie mit antimilitaristischen Initiativen der Rüstungsarbeiter nach dem Ersten Weltkrieg. Der Bericht darüber begeisterte ihn so sehr, dass er mit einem der Protagonisten, Rudolf Rocker, ein fiktives Interview führte.
Deutschland ist im Krieg. Bislang war die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz, deutsche Soldaten indirekt an den Kriegen im Irak, Libyen usw. beteiligt. Seit ein paar Wochen aber ist Deutschland aktive Kriegspartei im Krieg gegen Syrien. Gleichzeitig boomt die deutsche Rüstungsindustrie und exportiert ihre Mordwaffen in aller Herren Länder. Das muss beendet werden. Wir alle, zusammen mit unseren Kollegen in den Rüstungsbetrieben, müssen den Militarismus stoppen und beginnen, den Frieden zu organisieren.
Dabei müssen wir gar nicht bei Null anfangen. Angeregt durch das Beispiel ihrer britischen Kollegen aus dem in die Krise geratenen Luftfahrtunternehmen Lucas Aerospace (damals zu 50% von Rüstungsaufträgen abhängig), begannen gewerkschaftliche Vertrauensleute in den 70er und 80er Jahren, sich Gedanken über Rüstungskonversion zu machen und gründeten dazu zahlreiche regionale «Arbeitskreise Rüstungskonversion». Noch 1998 hieß es in Fortschreibung des Aktionsprogramms Rüstungskonversion der IG Metall: «Konversion ist dabei immer auch betrieblicher Kern und gesellschaftliche Perspektive eines sozialökologischen Reformprojekts … Die Beteiligung und die Mitbestimmung zum Was, zum Wie, zum Wo und zum Wann der Produktion wird zu einem wichtigen Hebel für eine Erneuerung der Industriegesellschaft.»
Im Dezember 2015 war das, was der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, vor rund 400 TeilnehmerInnen zum Thema Rüstungskonversion zum Besten gab, weit weniger ambitioniert: Bei dieser Frage sei bei der IG Metall «Druck im Kessel. Gab es zum Gewerkschaftstag 2011 nur magere drei Anträge aus diesem Bereich waren es in Frankfurt (Oktober 2015) schon 24», mit einer thematisch «beachtlichen Spannweite.» So werde der IGM-Vorstand aufgefordert, «sich eindeutig zu den Beschäftigten der wehrtechnischen Industrie zu bekennen» (Antrag der Verwaltungsstelle Kiel/Neumünster), aber gleichzeitig solle er darauf hinwirken, «die Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte ganz abzustellen» (Vst. Duisburg/Dinslaken). Und er räsonierte: «Lasst mich das etwas zugespitzt sagen: Ich glaube, wenn wir die Debatte in unserem Sinne erfolgreich auf die Reihe kriegen wollen, müssen wir uns trennen von der vielleicht etwas romantisch aufgeladenen Vorstellung der Konversionspolitik, die noch vor 20 Jahren vorherrschte.»
Teile der Arbeiterbewegung waren da schon mal weiter. Wir befragten dazu den Zeitzeugen Rudolf Rocker, einer der zu Beginn des 20.Jahrhunderts führenden Köpfe des Anarchosyndikalismus.
Genosse Rocker, um was für Themen ging es auf der Reichskonferenz der Rüstungsarbeiter Deutschlands in Erfurt (18.–22.März 1919)?
Deine Frage, was uns damals «als erster Punkt unserer Tagesordnung» beschäftigte, «kann in zwei besondere Punkte eingeteilt werden. Erstens: Hat die Arbeiterschaft schon jetzt, innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung, ein Interesse daran, auf den Charakter und die Formen der Produktion mitbestimmend einzuwirken? Zweitens: Wie weit sind die Rüstungsarbeiter im besonderen an dieser Frage interessiert»?
Zum Zeitpunkt eures Kongresses war zwar der Kaiser verjagt, doch der Kapitalismus bleib. Soviel ich weiß, wart ihr die ersten Arbeiter in Deutschland, die diese Fragen aufwarfen.
«Ja, die Arbeiterbewegung, vornehmlich die in Deutschland … hat diese Frage niemals aufgeworfen, man fand es ganz in der Ordnung, dass, solange die heutige Gesellschaft existiert, der Unternehmer unbeschränkt über die Art und Weise der Produktion zu bestimmen habe. Eine andere Möglichkeit konnte man sich gar nicht vorstellen. Die wirtschaftlichen Kämpfe wurden lediglich geführt, um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeit und allgemeine Verbesserungen der Arbeitsverhältnisse zu erwirken.»
War das in den nicht deutschsprachigen Ländern anders?
Ja «die französischen Arbeiterassoziationen … begnügten sich nicht mit einfachen Lohnkämpfen und politischer Wahlpropanda… Sie forderten auch … ein Mitbestimmungsrecht der Arbeiter in den kapitalistischen Betrieben über den Charakter der Produktion … Man wurde sich darüber klar, dass die Arbeiter eine Menge Dinge produzieren, die direkt verderblich sind für die breite Masse der Konsumenten … aus diesem Grunde forderte man eine Art Vetorecht der Arbeiter in den Werkstätten, um über den Nutzen oder die Schädlichkeit der verschiedenen Produktionszweige mit zu entscheiden… Ferdinando Garrido, einer der Pioniere des Sozialismus in Spanien, gab diesen Ideengängen einen klaren Ausdruck … Er sah in dem Mitbestimmungsrecht des Arbeiters über den Charakter der Produktion nicht nur eine praktische sozialistische Forderung von tiefer prinzipieller Bedeutung, sondern auch ein Mittel, den Geist der wahren Solidarität und des moralischen Verantwortlichkeitsgefühls der Arbeiter zu stärken … Auch in den Reihen der englischen Arbeiterklasse keimte dieser Gedanke empor.»
Derzeit erleben wir hierzulande die Wiederbelebung des Militarismus, der Großmachtpolitik sowie die massenhafte Herstellung und den Export von Rüstungsgütern in alle Regionen der Welt. Wie lautet da dein Appell an die 80000 Beschäftigten in der deutschen Rüstungsindustrie?
«Rüstungsarbeiter Deutschlands! Was haben wir bis jetzt getan, um den Moloch Militarismus zu bekämpfen, um den Dämon Krieg von unseren Pforten zu weisen … Fabrizieren wir keine Mordwerkzeuge mehr! Liefern wir dem Staat keine Kanonen, keine Gewehre mehr! Drücken wir dem kalten Mörder nicht selbst die Mordwaffe in die verruchte Hand! Sorgen wir dafür, dass die Betriebe der Zerstörung und der grausigen Menschenschlächterei sich in Betriebe segensreicher und friedlicher Arbeit verwandeln … Lasst uns endlich die Betriebe des Todes und der Zerstörung schließen und in Quellen lebenspendender und fruchtbarer Arbeit umwandeln … Dem Staat keinen Mann und keine Waffe!»
Quelle: Auf der Reichskonferenz der Rüstungsarbeiter Deutschlands, 1919 in Erfurt hielt Rudolf Rocker (1873–1958) vor 300 Teilnehmern seine Rede «Die Waffen nieder! Die Hämmer nieder!» Die Rede wurde auf einstimmigen Beschluss der Konferenz unter dem Titel Keine Kriegswaffen mehr! als 16seitige Broschüre in einer Auflage von über 100000 Exemplaren verbreitet. Daraus sind die Originalzitate Rockers übernommen.
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