von João Camargo*
Nach den Wahlen in Portugal im letzten Oktober schien es unwahrscheinlich, dass ihr Ergebnis so weitreichende Folgen haben würde. Die sozialdemokratische Sozialistische Partei (PS) unter António Costa hatte zu wählen zwischen einer totalen Kapitulation gegenüber der Mitte-Rechts-Partei oder einem Linksruck; sie hat sich zunächst für den Linksruck entschieden.
Der Druck der linken Kräfte auf die PS, die rechte Regierung fallen zu lassen und eine Regierung zu bilden, die von der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP), dem Linksblock (Bloco de Esquerda) und den Grünen toleriert wird, führte dazu, dass die PS mit 28% der Stimmen und die Linken mit rund 20% gemeinsam im Parlament gegen das Programm der rechten Regierung stimmten – dadurch wurde der rechte Staatspräsident gezwungen, Costa mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Die PS hat mit einer jeden der sie unterstützenden Parteien eine gesonderte Übereinkunft geschlossen, die in ihr Regierungsprogramm einfließt, Darin verpflichtet sie sich, Sozialausgaben und Pensionen nicht weiter zu kürzen, den Mindestlohn zu erhöhen, Privatisierungen zu stoppen und Tarifverhandlungen wieder einzuführen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sollen bekämpft, Zwangsräumungen und sowie standardisierte Prüfungen für Kinder abgeschafft, volle Adoptionsrechte für schwule und lesbische Paare eingeführt, Beschränkungen bei der Abtreibung, die die Vorgängerregierung eingeführt hatte, abgeschafft und noch weitere Maßnahmen der Regierung Passos Coelho rückgängig gemacht werden.
Fortschritte
Seit ihrer Regierungsübernahme am 26.November 2015 hat die PS die Vereinbarungen, die sie mit dem Linksblock, der PCP und den Grünen unterzeichnet hat, eingehalten.
Die Rücknahme der Privatisierung der staatlichen Fluglinie TAP (die die Vorgängerregierung, die nur wenige Tage im Amt war, noch im Eilverfahren durchzusetzen versucht hatte) ist auf dem Tisch; Konzessionen für den öffentlichen Verkehr an private Firmen in Porto und Lissabon wurden vollständig zurückgenommen. Gleichgeschlechtliche Paare können nun adoptieren; die Einschränkungen bei Abtreibungen wurden abgeschafft, und es gibt neue Gesetze, um verschuldete Familien vor Zwangsräumungen zu bewahren. Kinder im Alter von 8, 10 und 12 Jahren werden nicht länger zu Prüfungen in Mathematik und Portugiesisch verpflichtet; die Zusatzsteuer, die die Vorgängerregierung eingeführt hatte, wird für die Mehrzahl der Mittelschichteinkommen um zwei Drittel reduziert und für alle, die weniger als 801 Euro verdienen, abgeschafft.
Die Anhebung des Mindesteinkommens wurde verhandelt, und gegen den Willen der Unternehmerverbände gibt es eine Vereinbarung, wonach der Mindestlohn bis zum Jahr 2019 auf 600 Euro angehoben wird (2015 betrug er 485 Euro, 2016 steigt er auf 505 Euro und danach jährlich um mindestens um 5%).
Der Mindestlohn war einer der ersten Streitpunkte im Rahmen der Vereinbarungen, denn PCP und Linksblock wollten eine sofortige und kräftigere Anhebung des Mindestlohns für das Jahr 2016. Eine Kommission, die prekäre Arbeit bekämpfen soll, hat ihre Arbeit aufgenommen, sie konzentriert sich allerdings vor allem auf die Arbeit der Selbständigen.
Der Linksblock hat den früheren Sprecher der Partei, Francisco Louçã, als seinen Vertreter im Staatsrat benannt, das ist das Gremium, das den Präsidenten der Republik berät (die Präsidentschaftswahlen fanden am 24.Januar statt). Der Linksblock ist erstmals in diesem Rat vertreten. Die PCP, die PS und die nunmehr aufgelöste rechte Koalition aus PSD und CDS-PP haben jeweils einen Ratsherren benannt.
Bankenskandal
Die heftigen Angriffe der Rechten gegen die neue Regierung sind abgeebbt, insbesondere seit dem Skandal eines neuen Bankdebakels. Die Vorgängerregierung hatte 1,1 Milliarden Euro in die BANIF gesteckt, eine Privatbank mit Hauptsitz auf Madeira, die von einem früheren Minister der PS, Luis Armado, geführt wird. 2012 hatte sie schon einmal 1,1 Milliarden Euro von der Troika «geliehen» bekommen, von denen sie lediglich 275 Millionen zurückgezahlt hat. Im Dezember stürzte der Kurs der Bank gegen Null, als bekannt wurde, dass die Bank pleite ist. Sie war trotz des triumphierend vom früheren Premier Passos Coelho verkündeten, «sauberen Auswegs», den das Troika-Programm angeblich bot, bankrott. In geheimer Absprache mit dem Chef der Bank von Portugal war der Sachverhalt aus wahltaktischen Überlegungen verborgen gehalten worden, bis er schließlich drei Wochen nach der Amtsübernahme durch die neue Regierung öffentlich wurde.
Die Europäische Zentralbank übte offenen Druck auf die neue Regierung Costa aus, die Bank mit einer weiteren Geldspritze von 2,2 Milliarden Euro zu retten – und das nur einen Monat, nachdem die neue EU-Richtlinie zum sog. Bail-In verabschiedet worden war, wonach die Gläubiger bei Bankenrettungen stärker zur Kasse gebeten werden sollen. Anschließend erzwang die EU-Kommission die Übergabe der Bank an den spanischen Giganten Santander für lediglich 150 Mio. Euro sowie eine Steuererleichterung von 289 Mio. Euro. Sie wies die portugiesische Regierung an, Santander Geld zu geben, und lehnte deren Vorschlag, BANIF stattdessen mit der in Staatsbesitz befindlichen Caixa Geral de Depósitos, Portugals größter Bank, zusammenzulegen ab. Im Parlament stimmten der Linksblock, die Grünen und die PCP gegen diese neuerliche Bankenrettung (Bail-Out). Mit der Zustimmung der PS und der Stimmenthaltung der PSD wurde zum wiederholten Mal die EU-Politik der Bankenrettung mit öffentlichen Geldern durchgesetzt.
Damit hat die neue Regierung einen ersten wichtigen Knacks bekommen, die Bankenrettung bezeichnet aber ebenso das Ende der rechten Koalition aus PSD und CDS-PP.
Die PS hat damit gezeigt, dass sie bei ihrer Linie bleibt, in bezug auf den Banken- und Finanzsektor den Vorgaben der EU zu folgen, die Interessen der Banken über die der Bevölkerung zu stellen. In bezug auf die schon früher gerettete Bank Espírito Santo (heute Novo Banco), die unter staatlicher Aufsicht steht, wurde entschieden, die neu angefallenen toxischen Bestände mit privaten Geldern zu beseitigen, bevor die Bank in private Hände gegeben wird. Die EU will den portugiesischen Finanzsektor vollständig in die Hände riesiger europäischer Finanzgruppen legen. Dagegen rebellieren auch einige Parlamentarier der PS.
Konflikte in Aussicht
Die ersten Wochen der neuen portugiesischen Regierung haben wichtige Fortschritte in einigen sozialen Bereichen gebracht, es wurde ein zeitweiser Stopp der Verarmung und einige Fortschritte auf anderen Gebieten erreicht. Doch der Druck seitens der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission zeigt, wie weit das Ende der Ära der Troika noch entfernt ist. Die Bereitschaft der PS, die immer schädlicheren EU-Maßnahmen durchzusetzen, wird tiefe Widersprüche zwischen der EU-Herrschaft, dem Sozialstaat und der portugiesischen Verfassung aufreißen. Früher oder später werden sie ohne Zweifel später zu Konflikten über die Vereinbarungen führen, die die PS mit der Linken geschlossen hat; die PS wird sich dann in derselben Situation wiederfinden wie nach den Wahlen im Oktober 2015.
Hoffentlich erleben wir vorher noch wichtige Veränderungen in Spanien und Irland, wenn die dort regierenden konservativen Parteien abgewählt werden.
* Der Autor ist aktiv in der Bewegung der Prekarisierten und Mitglied der Plattform «Que se lixe a Troika» (Fuck the Troika).
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