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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2016
Wenn Luxus und Ausbeutung aufeinandertreffen
Interview mit einem Gewerkschaftsaktivisten aus Äthiopien

Dawit Samuel Misganaw* aus Äthiopien hat 14 Jahre in der Hauptstadt Addis Abbeba im Sheraton Addis gearbeitet. Das Luxushotel ist Teil der Starwood’s Luxury Collection und wird vor allem von internationalen Gästen zu Tagungszwecken besucht.
Dawit wurde 2013 gekündigt, weil er die Gewerkschaft Sheraton Addis Basic Labor Union (SABLU) aufgebaut hatte. Die gewerkschaftliche Organisierung bei Sheraton war in Äthiopien ein öffentliches Ereignis und führte zu einem gewerkschaftlichen Aufbruch in der Dienstleistungsbranche. Dawit ist weiterhin für die Gewerkschaft aktiv und nutzt die Zeit in Deutschland, um die internationale Vernetzung zu verbessern.
Markus Rhein von TIE Germany hat die Gelegenheit wahrgenommen, um mit Dawit ein Gespräch zu führen, wie Gewerkschaftsarbeit in Äthiopien aussieht, wie das Management reagierte und welche Rolle internationale Solidarität spielt.

Wie funktioniert das System der Gewerkschaften in Äthiopien?
Es gibt neun Branchengewerkschaften und darüber einen Dachverband. Ich gehöre zur Tourismus-, Hotel- und allgemeinen Dienstleistungsgewerkschaft. Staatsdiener dürfen sich nicht gewerkschaftlich organisieren, die einzige Ausnahme bildet die Lehrergewerkschaft. In jedem Betrieb gibt es eine eigene Gewerkschaft, die dann Teil der Branchengewerkschaft ist. Die Gewerkschaft kann also direkt in jedem Betrieb mit dem Management über den Lohn und einen Kollektivvertrag verhandeln. Für Beratung können sie sich an ihre übergeordnete Gewerkschaft wenden.
Die Regierung sieht Äthiopien als Entwicklungsland und will ausländische Unternehmen mit billiger Arbeit anlocken. Das bedeutet, die wirtschaftliche Entwicklung wird an die erste Stelle gesetzt, Bürger- und Arbeitsrechte rangieren nachgeordnet.

Wie habt ihr euch bei Sheraton Addis organisiert und was waren eure Forderungen?
In diesem einen Hotel arbeiten 800 Menschen, davon gehören 150 zum Management. Unser Gehalt liegt unter 22 Euro im Monat. Zum Vergleich: Die Miete für eine Wohnung kostet im Schnitt 100 Euro. Man muss wissen, dass wir hauptsächlich vom Trinkgeld der Gäste leben. Das Hotel zahlt nur 17–25 Euro im Monat. Es vermietet seine Zimmer aber für 300–500 Euro pro Tag. Das ist Ausbeutung.
In der Verfassung steht geschrieben, dass Arbeiter eine Gewerkschaft gründen können, die offiziell anerkannt wird, sobald sie zehn Mitglieder vorweisen und dann mit dem Management verhandeln und streiken kann. Aber in der Praxis sieht das anders aus. Bei Sheraton gab es bereits vorher vergebliche Versuche, eine Gewerkschaft zu gründen. 2010 haben ich und neun andere deshalb angefangen, uns heimlich zu treffen und eine Strategie zu entwickeln. Wir hatten die Vorstellung, zunächst die Hotelebene zu organisieren, dann den gesamten Servicesektor in Äthiopien und uns schließlich auf internationaler Ebene zu vernetzen und mehr und mehr Hotels einzubeziehen.
Erst als wir sicher waren, dass jeder von uns 15 weitere Kollegen hinter sich hatte, traten wir öffentlich als Gewerkschaft auf. Damit hatten wir auf einen Schlag öffentlich 350 Mitglieder, zwei Monate später 650! So gab es nach 13 Jahren Kampf 2010 nun offiziell eine Gewerkschaft bei Sheraton. Das Management war ganz schön überrascht, wie viele Beschäftigte zu unserem ersten Treffen kamen, und noch mehr, als wir ihm schon nach zwei Monaten den Entwurf für einen Kollektivvertrag mit 47 Seiten vorlegten. Wir forderten Lohnerhöhungen, Arbeitsschutzmaßnahmen und Zusatzleistungen wie Bildungszuschläge, Pausen und Mutterschutzurlaub. Wenn ein Entwurf für einen Kollektivvertrag vorliegt, müssen die Verhandlungen innerhalb von zehn Tagen beginnen.

Heißt das, wenn das Management sich der Verhandlung verweigert, gilt der Tarifvertrag automatisch?
Ja genau. So sieht es das Gesetz vor, aber die Realität sieht anders aus. Das Management sagte in den Verhandlungen zu allem Nein. Das begann schon beim ersten Paragrafen, der den Geltungsbereich des Vertrags festlegt. Die Gewerkschaftsarbeit in Äthiopien ist ehrenamtlich, wir haben alles von unseren Gehältern bezahlt.
Wir müssen dem Management die Liste der Mitglieder offenlegen. Viele hatten Angst, deshalb haben wir sie nicht registriert. Manche von uns bekamen Vorladungen von der Polizei. Das konnten wir durch breite Unterstützungsaktionen, bei denen die Kollegen zum Präsidium begleitet wurden, zurückweisen. Deshalb dauerte es bis zur Unterzeichnung des Vertrags – dem ersten in der Geschichte von Sheraton – neun Monate.
Der Abschluss war ein großer Erfolg. Mehr als 30 Magazine und Radios haben darüber berichtet. Jeder verfolgte, was passierte, weil jeder meinte, sie werden sie verhaften, sie werden sie umbringen, aber wir waren stark und das löste eine Bewegung im Land aus. Es begannen Verhandlungen in mehr als hundert Dienstleistungsbetrieben, in anderen Hotels, in privaten Schulen und Krankenhäusern. Wir erreichten zwei Dinge: Wir gingen das Management in unserem eigenen Betrieb an und wir versuchten, Leute zu ermutigen, in anderen Betrieben Gewerkschaften zu gründen.
Unser Fall ist auch aus einem anderen Grund außergewöhnlich. In den meisten Fällen sind die Gewerkschaftsaktivisten alte Männer, die meist ungebildet sind und nur noch auf ihre Rente warten. Die wollen dann Zugeständnisse bekommen und werden gelb. Bei uns aber haben drei einen Masterabschluss, das ist einmalig in der Geschichte unseres Landes. Fünf haben einen Bachelorabschluss und drei haben einen Diplomabschluss, u.a. in Jura und Sprachwissenschaften. Das war ein großer Vorteil für uns in den Verhandlungen.
Aber nach der Unterzeichnung begann das Management erneut, auf Zeit zu spielen. Es setzte zwar die Abmachungen aus dem Vertrag um, aber nur hintereinander. Nach zwei Jahren entschied schließlich ein Gericht, dass alles sofort umgesetzt werden muss.
Vor Ablauf des Tarifvertrags, d.h. nach drei Jahren, legten wir 2013 den Entwurf für den nächsten Vertrag vor. Wieder wurde alles sechs Monate hinausgezögert, und so gingen wir wieder vor Gericht. Die Regierung berief eine Art Schlichtung ein, in der drei Parteien sitzen, einer aus der Arbeitsministerium und je sechs von der Gewerkschaft und vom Management. Wir hatten sechs Verhandlungsrunden, am Ende verließ das Management die Verhandlung. Noch in derselben Nacht begann es, den Gewerkschaftsmitgliedern zu kündigen, einschließlich denen, die am Verhandlungstisch saßen, 65 Leute. Als Grund gab das Management Störung des Betriebsfriedens an. Der Verhandlungsleiter schrieb einen Brief, weil der Betrieb damit gegen das Gesetz verstoßen hatte. Aber das hat uns nicht geholfen. Danach setzten wir uns mit der IUF [dem internationalen Gewerkschaftsverband für diese Branche, in dem auch Ver.di Mitglied ist] in Verbindung.

Wie war das organisiert?
Die IUF schrieb in fünf Sprachen alle Sekretäre an. Wir bekamen 10280 Unterstützungsbriefe von Gewerkschaften und Mitgliedern. Aber für mich ist entscheidend, was davon bei den Arbeitern ankommt. Viele starke Gewerkschaften unterstützten uns. Aber unsere gekündigten Arbeiter konnten ihre Kinder nicht ernähren und lebten unter der Armutsgrenze. Wir haben die Sache vors Gericht gebracht und dieses beschied, dass die Kündigungen gegen das Gesetz verstoßen. Aber was ist das Ergebnis? Die Firma sagte, Wiedereinstellung sei nicht möglich wegen des Betriebsfriedens. Also verstößt sie gegen das Gesetz der Koalitionsfreiheit.
Sie gaben uns eine Abfindung, neun Monatsgehälter, aber wir leben ja hauptsächlich von den Trinkgeldern. Die Leute leiden, weil es auch keine soziale Absicherung gibt.

Und nun? Wie geht es weiter?
Ein paar von uns haben ein kollektives Geschäft, Essen-zum-Mitnehmen, begonnen, um die Gekündigten zu unterstützen, wir haben es nach der Gewerkschaft SABLU benannt, aber die Einnahmen reichen leider nur für fünf von uns. Wir bekamen jede Menge Solidarität, aber das half uns nicht. Deswegen mache ich auch diese Interview, um deutlich zu machen, wie wir im Süden kämpfen. Wir bekamen Solidarität, aber wir brauchen noch mehr. Leute müssen an Sheraton Hotels schreiben und die Wiedereinstellung der Kollegen und die Anerkennung von Gewerkschaftsrechten fordern. Es wäre auch hilfreich, wenn sich Kollegen aus Sheraton-Filialen mit uns in Verbindung setzen würden und uns unterstützten, denn wir kämpfen weiter um die Wiedereinstellung der Gekündigten.

* Dawit Samuel Misganaw studiert derzeit in Kassel und Berlin im Masterstudiengang Labour Policies and Globalization.

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