von Rolf Euler
Die vollmundigen Äußerungen aller Verkehrspolitiker, nach Aufdeckung des Abgasskandals beim VW würden Konsequenzen gezogen, erweisen sich erneut als Kniebeuge vor der Autolobby.
Während es anscheinend tatsächlich gelingen kann, mit technischen Maßnahmen einen Dieselmotor auch im Fahrbetrieb an die sehr niedrigen kalifornischen Grenzwerte anzupassen, überschreiten in neueren Tests in Europa immer mehr Fahrzeuge auch der neuen Euro-Norm 6 im praktischen Fahrbetrieb die einzuhaltenden Grenzwerte um das Mehrfache – so bei getesteten Fiat-, Renault- und Daimler-Benz-Fahrzeugen.
Da die Grenzwerte von Stickoxiden bei Dieselfahrzeugen nur unter Laborbedingungen gemessen und dann bauartgenehmigt wurden, kommt es in den Großstädten schon seit langem zu Überschreitungen. Die gesundheitsschädlichen Gase konzentrierten sich in Stadtschluchten, engen Straßen mit viel Verkehr, ein Bereich, in dem viele Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer sowie Anwohner besonders darunter leiden. Die krebserregenden Substanzen kommen ja zu den Feinstaubbelastungen hinzu.
Das EU-Parlament hat nun nach längerem Geschacher mit Kommission und Lobbyisten Anfang Februar beschlossen, dass in Zukunft die Messung von Autoabgasen unter «realistischen» Bedingungen stattfinden soll. Dabei ging es den Herstellern darum, den zukünftigen Wert so hoch wie möglich anzusetzen. Die «Euro-6»-Norm, die seit einiger Zeit für alle fabrikneuen Pkw gilt, legte bisher fest, dass pro Kilometer nicht mehr als 80 Milligramm Stickoxide emittiert werden dürfen. Aus Sicht der Autoindustrie galt dieser Wert aber nur für den Genehmigungszyklus im Labor. Für das echte Fahren auf der Straße schlug sie vor, dass fünfmal soviel Stickoxid aus dem Auspuff kommen sollte. Das würde bedeuten, dass die Emissionen im Verkehr fünfmal höher sein dürften als im Labor – und das Fahrzeug die Euro-6-Norm damit erfüllt.
Die EU-Kommission schlug stattdessen vor, dass der Stickoxidwert auf der Straße anfangs 60% und später dann nur noch 20% über den Euro-6-Werten liegen dürfe. Dagegen leisteten einige EU-Länder Widerstand, darunter, wie schon immer gehabt, Deutschland. Der Kompromiss sieht einen sogenannten «Konformitätsfaktor» vor. Er legt fest, wie weit die Emissionen beim Fahren auf der Straße von den Laborwerten abweichen dürfen, um trotzdem noch den EU-Abgasvorschriften zu genügen.
Um die Höhe dieses Faktors fanden hinter den Kulissen natürlich heftige Einflussnahmen statt. Der Rechtsausschuss des Parlaments hatte grundsätzliche Bedenken gegen die «Konformitätsfaktoren». Ein Grenzwert, der mit einem Faktor multipliziert wird, sei ein anderer Grenzwert. Das Parlament knickte ein. Mit den Stimmen der Christdemokraten und Abweichlern aus anderen Fraktionen wurde am Mittwoch die Zurückweisung des Kompromissvorschlags im Parlament abgelehnt. Damit sind die «Konformitätsfaktoren» Gesetz. Statt wie von der Kommission verlangt höchstens 1,6 (= 60%) beträgt der Konformitätsfaktor nun 2,1 oder 110% zu Anfang. Erst 2020 soll dieser Faktor entfallen und ein Wert von 50% erlaubt sein.
Damit hat die Autolobby vor allem aus Deutschland mal wieder ihre Macht bewiesen. Statt die technischen Bedingungen wie in Kalifornien zu schaffen, was Geld gekostet hätte, wurde erneut auf die «Pflege der Landschaft» gesetzt.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, erklärt auf der Homepage des Verbands: «Die heutige denkbar knapp ausgefallene Entscheidung wird sich als Pyrrhussieg für die Autokonzerne herausstellen. Die Folge werden Fahrverbote auch für neue Diesel-Pkw in allen größeren Städten Europas sein, in denen derzeit jährlich zehntausende Menschen an den Dieselabgasen vorzeitig sterben. Wir erleben einmal mehr Luftreinhaltung absurd: Während die Autokonzerne nach dem VW-Skandal in die USA auch auf der Straße saubere Diesel-Pkw ausliefern, sollen dieselben Neuwagen in Europa viermal mehr NOx-Emissionen ausstoßen dürfen.»
Siehe auch das Interview mit dem Experten Axel Friedrich, der den International Council for Clean Transportation betreibt und den VW-Skandal aufdecken half (www.klimaretter.info/mobilitaet/hintergrund).
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