von der Redaktion
Bildergeschichten findet man in Gewerkschaftszeitungen nicht, vielen Redakteuren scheint das vielleicht zu unseriös. Die drei, die Ver.di-Mitgliederzeitung für die Beschäftigten im Gesundheitsbereich, macht da eine Ausnahme: Sie transportiert Probleme des betrieblichen Alltags über Bildgeschichten. Die SoZ-Redaktion fragte beim Mitglied der Redaktion und Autor der Bildergeschichten, Tobias Michel, nach, wie die drei dazu gekommen ist.
Für eine Autorenkonferenz im Jahr 2009 hatten wir Detlef Hensche, den Vorsitzenden der IG Medien bis 2001, eingeladen, um unsere Mitgliederzeitung drei seiner «Blattkritik» zu unterziehen. Er stieß mich in einer Nebenbemerkung auf eine fatale Tatsache: Wir berichten viel über die großen Streiks, über Heldentaten, da werden Fahnen geschwenkt. Die Mitglieder erleben ihren Alltag viel gewöhnlicher. Sie kommen sich beim Lesen klein vor. Schlimmer: Ver.di wird in ihren Augen zum Großmaul.
Wir tun uns schwer, den betrieblichen Alltag zu schildern. Die Chefs lassen uns nicht mit Kameras durch die Krankenhäuser und Heime. Und die Beschäftigten trauen sich nicht, ihre Chefs anzuschwärzen oder dem Betrieb mit Skandalen zu schaden. So haben wir begonnen, über Fotoreportagen und eben gezeichnete Geschichten beispielhaft Konflikte auszuleuchten.
Der Kampf im Betrieb, oben gegen unten und umgekehrt, wird sehr deutlich gezeigt.
Macht solche Darstellung des Klassenkampfs Probleme mit Verantwortlichen in den Führungsetagen von Ver.di? In der Redaktion ahnen wir manchmal, da sitzen die Zensurscheren eher in unseren Köpfen. Doch unsere Leserinnen und Leser werden durch ihren Gewerkschaftseintritt nicht zur betrieblichen Avantgarde. Ich muss mich also anstrengen, etwas zur Rekonstruktion des Klassenbewusstseins im Betrieb beizutragen. In dieser eher allgemeinen Form kommt es auch sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern durchaus recht.
Unsere Bildergeschichten, die den betrieblichen Alltag eher polarisierend schildern, stoßen bei den lesenden Ver.di-Mitgliedern durchaus nicht immer auf helle Freude. Die ersten Proteste kamen, als Branka, eine aktive Betriebsrätin, mit einer Zigarette dargestellt wurde. Das gehört sich nicht für Ver.di im Gesundheitswesen. Dann wurde einige nervös, als die Heldin der Geschichten, Sophie, nicht mit ihrem Mann, sondern bei einem nächtlichen Ausflug im Bett mit dem Kollegen Janek die Belastung der Nachtarbeit diskutierte. Oder wenn ein freigestelltes Mitglied des Betriebsrats Beschwerden abwiegelt: «Das schadet dem Image von Betriebsräten.» Nicht zuletzt aber kommt die Vorgesetzte, Frau Meise, bei uns zu schlecht weg, zumindest in der Augen der Ver.di-Mitglieder, die selber auf dem Weg nach oben sind.
Last but not least: Solche farbigen, ganzseitigen Bildergeschichten machen sich auf dem Bildschirm von Smartphones ganz schlecht. Darum ist die nächste Folge von «Sophie» sogar doppelseitig!
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