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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2016
Die Folgen der Zerschlagung von ALSTOM
von Heinrich Neuhaus

Am 13.Januar 2016 ließ General Electric (GE) in Mannheim-Käfertal und an den anderen Standorten die Katze aus dem Sack: Auf einer überfüllten Betriebsversammlung verkündete der Vorstandsvorsitzende von GE-Alstom Deutschland, Alf Henryk Wulf, im Auftrag der neuen Konzernherren einen brutalen Kahlschlag.
Insgesamt 6819 Arbeitsplätze sollen in den europäischen Werken vernichtet werden. In Deutschland ist der Abbau von mehr als 1700 Stellen in Bexbach, Mainz-Kastel, Mannheim und Stuttgart geplant. Allein in Mannheim will GE 1066 Kolleginnen und Kollegen auf die Straße setzen.
Besonders betroffen ist der Power-Bereich von GE. Rund 500 Arbeitsplätze sollen in der Mannheimer Turbinenproduktion und etwa 560 weitere Stellen in anderen Abteilungen (Kraftwerksservice, Angestelltenbereiche…) wegfallen. Sowohl der Betriebsrat1 als auch die örtliche IG Metall2 kündigten harten Widerstand an. Im Anschluss an die unterbrochene Betriebsversammlung zogen rund 1200 Kolleginnen und Kollegen in einem Protestzug vom Werk zum Marktplatz in die Mannheimer Innenstadt.

Rückblick
Am 21.Juni 2014 meldete die Konzernleitung von ALSTOM Vollzug. In der Bieterschlacht um den französischen Multi hatten Siemens und sein Partner Mitsubishi Heavy Industries das Nachsehen. Der Gigant GE kam hingegen zum Zug.
Damit war die Vorgabe des ALSTOM-Hauptaktionärs Bouygues (29,4% Anteile) aus dem zweiten Halbjahr 2013 umgesetzt worden. ALSTOM, ein global agierendes Unternehmen in den Bereichen Kraftwerke (Power), Stromübertragung (Grid) und Schienenverkehrstechnik (Transport) mit rund 96000 Beschäftigten und 20,3 Mrd. Euro Umsatz (Geschäftsjahr 2013/2014), wurde in der Folge zerschlagen. Der Multimilliardär Bouygues benötigte «Cash». Er wollte seine Aktivitäten im Mobilfunkmarkt verstärken, weil sich dort mit geringerem Einsatz schnellere und höhere Profite erzielen lassen.
Patrick Kron, damals Vorstandsvorsitzender von ALSTOM, Ritter der französischen Ehrenlegion und Hauptverantwortlicher für die Probleme des Konzerns, rühmte sich bei der Bekanntgabe des Handels mit GE, er habe «seinen» ursprünglichen Plan durchgesetzt hätte. Alle wären Gewinner – ALSTOM, GE und der französische Staat. Gewinner sind jedoch vor allem GE sowie die Aktionäre und die Top-Manager von ALSTOM. Als Bonus für die jahrelange Ausplünderung des Konzerns, das kriminelle Missmanagement und die Zerschlagung von ALSTOM füllten sich letztere noch mehr ihre Taschen. Rund 4 Milliarden Euro flossen auf ALSTOM-Konten. Der Löwenanteil davon ging an Bouygues. Konzernboss Kron erhielt laut französischer Presse einen Zusatzbonus von über 4 Millionen Euro, die 2000 Konzernmanager insgesamt 60 Millionen Euro. Das war der Judaslohn für die Zerschlagung. Diese Unsummen gehören, genau betrachtet, den Beschäftigten, die durch ihre Arbeit diesen Geldsegen ermöglicht haben.
Von ALSTOM ist derzeit noch die Transportsparte übrig geblieben, die von der Straßenbahn bis zum Hochgeschwindigkeitszug TGV fast alles herstellt, was auf Schienen fahren kann. Dort sind weltweit etwa 28000 Menschen tätig, die etwa 30% des früheren Gesamtkonzernumsatzes erzeugen. Das größte Werk befindet sich in Salzgitter. Mittlerweile verdichten sich die Gerüchte, dass auch die Transportsparte nicht mehr lange in der bisherigen Form existieren wird.

Der US-Multi
GE hat bereits damit begonnen, sowohl die von ALSTOM erworbene, konventionelle Energiesparte als auch die von dem US-Konzern de facto beherrschten Gemeinschaftsunternehmen mit ALSTOM einem brutalen Gewinnmaximierungsplan unterwerfen. Dadurch soll der Kaufpreis schnellstmöglich wieder hereinholt werden. GE hat absolut kein Verständnis für «Profit-Hemmnisse» wie aktive Betriebsräte oder eine wirksame Tarifbindung.
GE ist einer der größten und profitabelsten Mischkonzerne der Welt. Der US-Multi ist unter anderem in den Bereichen Energie, Finanzierung, Gesundheit, Luftfahrttechnik und Transport aktiv. GE war in den Jahren von 2001 bis 2005 laut Financial Times Global 500 das teuerste börsennotierte Unternehmen der Welt.
Rund 300000 Beschäftigte, davon etwa 80000 in Europa, erzeugen in über 100 Ländern laut Capital vom 22.Mai 2014 einen Jahresumsatz von rund 147,5 Milliarden US-Dollar (2013) und einen ausgewiesen Nettogewinn von rund 24,6 Milliarden Dollar. In Deutschland ist GE an mehr als 70 Standorten mit rund 7500 Beschäftigten vertreten. Energie, «Grüne» Technologien, Medizintechnik, Forschung und Entwicklung sowie Finanzdienstleistungen sind hierzulande die hauptsächlichen Geschäftsfelder.
Die US-Konzernikone vollzieht einen ständigen Wandel ihrer Strukturen. Hunderte Fusionen und Unternehmensübernahmen wurden allein in den letzten Jahren gezählt.
Maßgeblich geprägt wurde General Electric in seiner jetzigen Form von John Francis «Jack» Welch jr., der 20 Jahre lang als Vorstandsvorsitzender amtierte. Welch ließ sich 1999 vom Wirtschaftsmagazin Fortune zum «Manager des Jahrhunderts» küren. Unter seiner Führung wuchs der Konzernumsatz von 27 Mrd. US-Dollar (1981) auf 130 Milliarden (2001). Während der Jahresgewinn sich versiebenfachte, verringerte sich gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten von 400000 auf 300000. Diese Politik brachte Welch auch den Beinamen «Neutronen-Jack» ein.
Welch galt als radikaler Vertreter des shareholder value, das heißt der Orientierung ausschließlich an den Interessen der (Haupt-)Aktionäre. Er erfand die «Diktatur der Zahlen» als Prinzip der Unternehmensführung. Seine Strategie war simpel: Reparieren, Verkaufen oder Schließen («Fix it, sell it or close it»). Unternehmensteile mit zu geringer Marge werden geschlossen oder verkauft, wenn sie nach zwei Jahren nicht die vorgegeben Zahlen erreichen. Andererseits werden profitablere oder mehr Gewinn versprechende Geschäfte zugekauft. Für die GE-Beschäftigten stellte Welch die «20-70-10-Regel» auf: Die «besten 20%» – die «Stars» – werden mit Boni belohnt. Die 70% in der Mitte werden so gut wie möglich gefordert und gefördert. Die «schwächsten» 10% – verächtlich «Lemons» (Zitronen) genannt – werden entlassen.
Im Frühjahr 2009 bezeichnete Welch übrigens unter dem Eindruck der «Finanzkrise» das Shareholder-value-Konzept als «dumme Idee». Sein Nachfolger Jeffrey Immelt hat mittlerweile die GE-Finanzsparte zurechtgestutzt und den Konzern wieder auf industrielle Bereiche konzentriert. Aber Welchs Strategie der «Diktatur der Zahlen» verfolgt auch er weiter. Vor einigen Monaten hat GE deshalb z.B. seine traditionelle Haushaltsgerätesparte abgegeben.

«Union Busting»
Durch die Zerschlagung von ALSTOM werden gewissermaßen nebenbei auch die bisherigen Interessenvertretungen der Beschäftigten auf europäischer und nationaler Ebene erledigt. GE hat bereits entsprechende unternehmenskonforme «Interessenvertretungs»strukturen vorbereitet, um die Tradition der gewerkschaftlichen Gegenmacht bei ALSTOM reibungslos «integrieren» zu können.
Zudem hatte das deutsche ALSTOM-Management auf Geheiß der Pariser Konzernzentrale die hierzulande bis 2016 geltenden Standortsicherungs- und Beschäftigungsgarantien für Ende 2014 gekündigt. Bereits vorher waren auf Befehl der Konzernleitung zahlreiche Restrukturierungspläne ausgearbeitet worden. Sie strebten im Power-Bereich von ALSTOM massiven Arbeitsplatzabbau bis hin zu Betriebsschließungen an.
«Dedicated to Excellence» (D2E, «Spitzenleistung verpflichtet») wurde dieses – natürlich als «alternativlos» propagierte – Kahlschlagprogramm des Top-Managements getauft. D2E-Anstecknadeln am Sakko gehörten seitdem zur Pflichtausstattung eines guten ALSTOM-Managers.

Widerstand
Gegen die Abbaupläne von ALSTOM regt sich seit 2014 vielfältiger, auch in der Öffentlichkeit wahrnehmbarer Widerstand. Zum Beispiel Ende April 2014, als in der Mannheimer ALSTOM-Fabrik ein scharfer Konflikt um den Abtransport von Turbinenbauteilen in einer mehrtägigen Torblockade eskalierte. Zahlreiche Protestdemonstrationen und Kundgebungen folgten.
Bei ALSTOM mündete der heftige Streit zwischen Management und Konzernbetriebsrat um die Kündigung der Beschäftigungs- und Standortsicherungen und die «Restrukturierungspläne» im Kraftwerksbereich dann in eine Art Stellungskrieg. Der Versuch, über eine Einigungsstelle zu einer Konfliktlösung zu gelangen, scheiterte. Der Abbruch des Verfahrens war ein Alarmsignal. Das ALSTOM-Management bereitete offensichtlich Betriebs- bzw. Bereichsschließungen mit betriebsbedingten Kündigungen in enger Abstimmung mit den neuen Konzernherren vor. Die Schließung des Neumarker Kesselbauwerks im letzten Jahr war nur der erste Schritt.
Reale Auswirkungen hatten auch die «Befriedungsversuche» des Managements gegenüber den Belegschaften und ihren Interessenvertretungen. Eine Beratungsfirma namens Hoss steuerte die Angriffe mit gezielten Einschüchterungs- und Spaltungsmanövern. Es gab Attacken gegen Wortführer der Interessenvertretungen bis hin zur Körperverletzung. Zweitens missachtete das Management die Rechte der Betriebsräte aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Und drittens waren immer mehr koordinierte Bestrebungen der Geschäfts-und Bereichsleitungen zu registrieren, die Belegschaften von ihren Betriebsräten zu trennen. Diesem Zweck dienten z.B. vorab terminierte «Belegschaftsinformationen» der Geschäftsleitung, um die Beschäftigten im Sinne des Managements zu beeinflussen und sie vom Besuch der angekündigten Betriebsversammlungen abzuhalten.
Insbesondere nach dem Konflikt Ende April 2014 – Nichtinformation des Betriebsrats über den Abtransport von Turbinenteilen aus dem Käfertaler Werk – verstärkte die Geschäftsleitung den Druck. Sie warf der Mannheimer Interessenvertretung zu Unrecht vor, keine Betriebsratsinformationen durchgeführt, sondern «Blockaden» und «wilde Streiks» organisiert zu haben.

«Faire Chance»?
Am 1.November 2015 wurde der formelle Übergang der konventionellen Energiesparte von ALSTOM zu GE wirksam. Die EU-Kartellbehörde hatte dafür grünes Licht gegeben, allerdings mit der Auflage, den Bereich schwere Gasturbinen an den italienisch-chinesischen Konkurrenten Ansaldo zu verkaufen. Diese Entscheidung schwächt besonders das Mannheimer Werk.
Die Forderung des Betriebsrats, eine «faire Chance» unter dem neuen Eigner zu erhalten, wurde von GE mit dem oben skizzierten Kahlschlagprogramm beantwortet. Nach über 30 Jahren Kampf gegen Arbeitsplatzabbau müssen die Käfertaler Kolleginnen und Kollegen ihr altes Motto «Résistance – Widerstand!» neu beleben.
In diesem Sinn hat die Mannheimer IGM-Vertrauenskörperleitung von GE ein Überbetriebliches Solidaritätskomitee Rhein-Neckar3 initiiert. Diesem regionalen Bündnis für gegenseitige Unterstützung schließen sich immer mehr betriebliche und gewerkschaftliche Strukturen aus verschiedenen Branchen an.
Vor allem aber sind die GE-Belegschaften, ihre IGM-Vertrauenskörper und Betriebsratsgremien gut beraten, sich stärker als bisher gemeinsam im Konzern zu wehren. Ziel sollte die Durchsetzung des vom Betriebsrat noch 2014 geforderten Schutzschirms für die Arbeits- und Ausbildungsplätze sein – in Deutschland und international.

1. www.resistance-online.eu.
2. www.mannheim.igm.de.
3. www.solidaritaet-rhein-neckar.de.

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