von Katja Kipping*
Seit Anfang Februar dürfen die Abgeordneten des Bundestags jeweils zwei Stunden lang Einblick in die Dokumente über das Transatlantische Freihandelsabkommen nehmen, dem sie im Bundestag zustimmen sollen. Katja Kipping hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht und über ihre Erfahrungen berichtet.
In puncto TTIP, dem Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, wird Geheimniskrämerei groß geschrieben. Die Verantwortlichen scheuen das Licht der Öffentlichkeit. Zu gern hätte ich alle Interessierten in die Lage versetzt, sich selber eine Meinung über den bisherigen Vertragstext zu bilden. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der ja laut für das TTIP wirbt, hat nun Anfang Februar in seinem Ministerium einen Leseraum eingerichtet. Abgeordnete des Bundestags können jeweils zwei Stunden lang Einblick nehmen in die Dokumente, über die bereits Einigkeit besteht.
Eine Freundin, die politisch interessiert ist, fragte mich am Vortag, ob sie nicht auch mal mit mir in den Leseraum könne. Ich musste verneinen. Nach langem und zähem Ringen mit der Bundesregierung dürfen die Abgeordneten den Text nun wenigstens lesen, aber nur sie. Wir dürfen nicht einmal sicherheitsüberprüfte Fachreferenten mit in den Leseraum nehmen. Vor Bürgerinnen und Bürgern, die am Ende die Folgen ausbaden müssen, soll der Text sogar komplett geheim gehalten werden. Transparenz sieht anders aus!
Parlamentarische Kontrolle – ein Gnadenrecht
Allein das Prozedere der Anmeldung für den Leseraum ist entlarvend. Danach bekam ich Belehrungen zugesandt. Aus den Merkblättern erfuhr ich, dass die Nutzungsmodalitäten für den Leseraum zwischen der Europäischen Kommission und den USA ausgehandelt wurden. Das muss man sich vergegenwärtigen: Das Abkommen ist noch nicht unterzeichnet und schon bei der Erarbeitung dürfen die einzelnen Länder nicht selbst entscheiden, wer und wie die Vertragsunterlagen lesen darf.
Bezeichnend für die Einstellung zur Demokratie, die hinter TTIP steht, ist folgender Auszug aus den Besucherregeln: «Sie [also alle Abgeordneten, die wie ich den Leseraum aufsuchen wollen] nehmen zur Kenntnis und akzeptieren, dass Ihnen mit der Gewährung von Zugang zu TTIP-Schriftstücken ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird.»
Bisher dachte ich ja, es wäre das Recht von gewählten Abgeordneten, Informationen zu erhalten. Die TTIP-Unterhändler hingegen (wer hatte sie noch mal legitimiert?) meinen, sie würden großzügigerweise Zugang gewähren. Zugang als Ausdruck besonderen Vertrauens. Dachte, wer immer das aufgeschrieben hat, wir Abgeordneten würden uns geschmeichelt fühlen? Ich fühle mich eher an ein absolutistisches Politikverständnis erinnert. Zugang gewähren und Vertrauen entgegenbringen – wer von demokratischen Selbstverständlichkeiten überzeugt ist, verwendet eine andere Sprache.
Am Dienstag, dem 2.Februar, war es soweit. Ich war für den Leseraum angemeldet. Ein Wachmann nahm mich in Empfang, führte mich durch die Schleuse und bat mich, Tasche und Jacke wegzuschließen. Er achtete darauf, dass ich kein Handy und keine Kamera mit in den Leseraum nahm, dann klopfte er an eine Tür. Inzwischen stieg auch bei mir die Spannung, was ich wohl entdecken würde, wenn so viel Geheimniskrämerei betrieben wird. Der Raum selber war unspektakulär. Es gab acht Computerarbeitsplätze, ich durfte mich nur an den mir zugewiesenen setzen. Eine freundliche Dame saß mit im Raum. Sie ließ mich die Besucherregeln unterschreiben. Ohne Unterschrift kein Zugang, also unterschrieb ich. In einer Ecke standen Thermoskannen mit Kaffee und ein Teller mit Plätzchen. Doch auch mit mehr Koffein und Zucker im Blut wäre es unmöglich gewesen, die rund 300 Seiten in zwei Stunden vollständig durchzuarbeiten.
Futter für gewiefte Wirtschaftsanwälte
Nun ist schon oft kritisiert worden, dass die Texte nur in Englisch vorliegen. Nicht jeder Abgeordnete ist mit Englisch als aktiver Zweitsprache aufgewachsen. Ich stellte mir für einen Moment vor, was los wäre, wenn den US-Senatorinnen und -Senatoren nur Einblick in den französischen Text gewährt bekämen. Soweit zur gleichen Augenhöhe zwischen den Verhandlungspartnern. Im Raum lagen zwar Wörterbücher, jedoch gab es keinen Internetzugang und damit keinen Zugang zu einer Übersetzungs-App. Was die Übersetzung von juristischen Fachbegriffen nicht gerade erleichterte.
Aber auch diejenigen Abgeordneten, für die die Lektüre englischer Vertragstexte kein Problem ist, standen vor einem Problem. Bei vielen Formulierungen kann man ohne juristische Kommentarliteratur nur ahnen, welches Potenzial in ihnen steckt.
Um das einmal an einem Beispiel zu verdeutlichen, das ich ausdrücklich nicht im Leseraum gesehen habe, sondern in einem Insiderbericht aus Brüssel im Vorfeld las. Demnach sicherte die US-Seite der EU zu, die Möglichkeit, «science-based regulations» zu beschließen, solle keineswegs eingeschränkt werden. Als unvoreingenommener Mensch glaubt man da erst einmal, dass damit weiter die Möglichkeit besteht, innerhalb der EU gewisse Formen von Gentechnik einzuschränken. Aber die USA halten große Teile der europäischen Lebensmittelstandards für nicht «science-based», als nicht für wissenschaftlich basiert. Eine findige Wirtschaftskanzlei könnte unter Berufung auf die genannte Klausel erfolgreich Rechtsstreite gegen Lebensmittelstandards führen. Um die Brisanz der Formulierungen genau einschätzen zu können, müssten wir Abgeordneten also nicht nur den Text in Gänze kennen, sondern auch jede Formulierung von internationalen Wirtschaftsanwälten prüfen lassen. Nur leider dürfen genau jene uns eben nicht begleiten. Bei so mancher Formulierung bräuchte es nicht einmal viel Fantasie um zu erahnen, wie gewiefte Wirtschaftsanwälte auf diese Bezug nehmen können – zum Nutzen von großen Konzernen.
Was ich NICHT gelesen habe
Da Sigmar Gabriel behauptet, das TTIP würde vor allem den mittelständischen Unternehmen in Deutschland zugute kommen, war ich natürlich gespannt auf das Dokument zu den kleinen und mittleren Unternehmen. Nun darf ich ja nichts über den Text sagen, den ich am Computer gelesen habe. Aber ich habe nicht unterschrieben, nichts darüber zu sagen, was ich NICHT gelesen habe. Also: Ich habe nichts gelesen, was auch nur ansatzweise diese Behauptung Gabriels unterstützt.
Ganz so überraschend ist das nicht. In einem bereits vor einiger Zeit geleakten Ratsdokument steht schließlich recht unverblümt, was das Hauptziel der EU-Verhandler ist: Zugang zu Großaufträgen der öffentlichen Hand in den USA zu bekommen. Die komplizierten Vergabeverfahren sind hier wie dort in der Regel kein Tummelplatz für Kleinunternehmen.
In den zwei Stunden im Leseraum war es natürlich unmöglich, alle Dokumente zu lesen. Als ich Bilanz zog, stellte ich aber fest, dass ich nichts gelesen habe, was nur einen meiner bisherigen Kritikpunkte an TTIP in Frage stellt. Ich habe nichts gelesen, was meine Sorge, die US-Seite wolle vor allem den öffentlichen und kommunalen Unternehmen das Leben schwer machen und bessere Bedingungen für international agierende Konzerne im Kampf um öffentliche Ausschreibungen haben, gemildert hat. Ich habe nichts gelesen, was meine Sorge verringert, dass die EU-Unterhändler bereit sind, für die Aussicht auf lukrative Aufträge für europäische Großkonzerne Umwelt- und Sozialstandards zu opfern.
Ich habe nichts gelesen, was mich veranlasst, meine zuvor geäußerte Kritik zurückzunehmen, Verbraucherschutz spiele bei TTIP nur eine Rolle, wenn es gilt, den freien Wettbewerb als die höchste Form des Verbraucherschutzes zu lobpreisen.
Fehler über Fehler
Ich hoffe, ich verrate kein Staatsgeheimnis, wenn ich meiner Verwunderung Ausdruck verleihe, dass die Dokumente nur so vor Rechtschreibfehlern strotzen. So wurde das Wörtchen «and» häufig als «andd» geschrieben, der Artikel «the» erschien als «teh». Entweder die Unterhändler arbeiten schludrig oder es handelt sich hierbei um eine der berühmten Sicherheitsmaßnahmen: Falls jemand trotz Kameraverbot Fotokopien vom Bildschirm machen sollte, will man anhand der extra eingefügten Fehler nachvollziehen können, wer die Seiten geleakt hat.
Es ist bezeichnend, wieviel Aufwand das Wirtschaftsministerium betreibt, den bisherigen Text geheim zu halten. Offensichtlich hat es allen Grund dazu. Denn wer Verhandlungen im Sinne von mehr Umweltschutz, mehr Verbraucherschutz und besseren Arbeitsnormen im Sinne der Beschäftigten führt, der muss sich vor Transparenz nicht fürchten. Wer sich hingegen am Ausverkauf der Demokratie beteiligt, scheut das Licht der Öffentlichkeit. Wenn die Unterhändler und Sigmar Gabriel wirklich überzeugt wären von TTIP, könnten sie es ja für alle zugänglich ins Netz stellen.
*Katja Kipping ist Vorsitzende der Partei DIE LINKE und Mitglied des Bundestags (www.linksfraktion.de).
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