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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2016
Autobauer bei GM in Brasilien kämpfen für Geld, Arbeitsplätze und ihre Rechte
von Bea Sassermann

Das Jahr 2016 fängt «gut» an: Am 18.Januar treten die Arbeiter von General Motors in São José dos Campos in Brasilien in den Streik. Es geht um die Höhe der Gewinnbeteiligung, die mit der Gewerkschaft ausgehandelt werden muss. Nach einer Woche Streik geht der Disput am 25.Januar in die Schlichtung. Am 26.Januar akzeptieren die Arbeiter das Schlichtungsergebnis und beenden den Streik. Aber es geht in São José dos Campos um mehr als Geld.
Die Arbeiter in São José sind kampferprobt, ihre Metallgewerkschaft gehört dem linken Gewerkschaftsdachverband CSP-Conlutas an. In den letzten Jahren gab es harte Auseinandersetzungen um die Arbeitsplätze. Als jemand aus der Gegend nahe dem Ruhrgebiet fühlt man sich unweigerlich an die Kämpfe bei Opel Bochum erinnert.
Ein kleiner Rückblick: Das GM-Werk in São José dos Campos, 100 Kilometer von São Paulo entfernt, wurde 1959 eingeweiht und hat zur Zeit 4684 Beschäftigte. Am Standort werden die Modelle S10 und Trailblazer sowie Motoren und Getriebe produziert.
Trotz einer Reihe von Investitionsanreizen, die General Motors von der brasilianischen Regierung erhalten hatte, kündigte das Unternehmen 2011 eine Umstrukturierung mit gravierenden Angriffen auf soziale Errungenschaften an und drohte, 2000 Arbeiter zu entlassen. Um diese Attacke abzuwehren, intensivierte die zuständige Metallgewerkschaft ihren Kampf für den Erhalt der Arbeitsplätze und für neue Investitionen am Standort.

Autobahnblockade
2012 kündigte GM die Schließung des Montagebereichs MVA an, was die Entlassung von etwa 700 Arbeiter bedeutet hätte und die Stimmung weiter anheizte. Im August des gleichen Jahres traten die Metaller in den Streik und blockierten mehr als eine Stunde lang die wichtigste brasilianische Autobahn (die Via Doutra zwischen Rio de Janeiro und São Paulo). Mit dem Protest wollten die Betroffenen die Präsidentin Dilma Rousseff auf sich aufmerksam machen, um sie dazu zu bewegen, von GM den Erhalt der Arbeitsplätze als Gegenleistung für die erhaltenen Milliarden-Subventionen zu fordern.
Aufgrund des Drucks durch Proteste, Streiks und Versammlungen der Beschäftigten und unzähliger Verhandlungen ihrer Gewerkschaft, erklärte sich GM Anfang 2013 bereit, die Produktion des Modells Classic bis Dezember des Jahres aufrechtzuerhalten. Die Firma unterzeichnete außerdem Verträge über zwei Investitionen am Standort São José: einen in Höhe von 500000 Real, den zweiten über 2,5 Mrd. Real. Letzterer wurde niemals umgesetzt, was einen Vertragsbruch den Beschäftigten gegenüber bedeutet.
Trotz dieser Vereinbarung entließ GM im März 598 Arbeiter, die sich seit sieben Monaten in einem sogenannten Lay-Off (temporäre Aufhebung des Arbeitsvertrages) befanden. Im Februar 2015 drohte das Unternehmen Lay-Offs von weiteren 798 Arbeitern oder sofortige Entlassungen an. Die Gewerkschaft antwortete mit Streik. GM gab nach und vereinbarte mit der Gewerkschaft einen dreimonatigen Kündigungsverzicht und Lay-Offs von 473 Beschäftigten.
Im August 2015 verkündete der Autobauer erneut Kündigungen für 798 Arbeiter, verschob aber seine Pläne nach einem zweiwöchigen erneuten Streik. Die Betroffenen sind für fünf Monate im Lay-Off, der Ende Januar 2016 ausgelaufen ist. Die Gewerkschaft rüstet sich für weitere Arbeitskampfaktionen. Auch andere Werke in São Caetano do Sul (São Paulo) e Gravataí (Rio Grande do Sul) sind vom Arbeitsplatzverlust betroffen. Von 2012 bis November 2015 hat der Autobauer an seinen drei Standorten 5407 Arbeitsplätze abgebaut (von 20778 auf 15371.

Streik um Gewinnbeteiligung
Anfang dieses Jahres kam es zu einer anderen wichtigen Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft und GM. Es ging um die Zahlung des zweiten Anteils der Gewinnbeteiligung aus 2015. Diese wird mit der Gewerkschaft ausgehandelt und basiert auf dem Gewinn des Unternehmens aus dem Vorjahr.
Aufgrund der vom Unternehmen vorgelegten niedrigen Zahlen für die Gewinnerwartung waren die Arbeiter am 18.Januar in den Streik getreten. Sie fordern 6405 Real, während GM nur 4250 zahlen wollte. Nach Beginn des Streiks erhöhte das Unternehmen das Angebot auf 5000 Real. Am 25.1. ging der Disput in die Schlichtung. Am 26.1. akzeptierten die Arbeiter das Schlichtungsergebnis: Gewinnbeteiligung von 5600 Real, vorzeitige Auszahlung von 50% des 13.Monatsgehalts und Bezahlung von 50% des streikbedingten Lohnausfalls. In Brasilien zahlt die Gewerkschaft, wie in den meisten Ländern, kein Streikgeld.
Die Auseinandersetzung um die Arbeitsplätze geht jedoch in die nächste Runde. Am 31.Januar lief die Lay-Off-Phase für etwa 600 Arbeiter aus und GM hat 517 Arbeiter entlassen, ohne sich mit der Gewerkschaft zu verständigen. Die Gewerkschaft hat darauf hin eine Kampagne gegen die Kündigungen ausgerufen. Sie beinhaltet Proteste im politischen Karnevalszug in São José dos Campos, eine Karawane zur Hauptstadt Brasília und Gespräche mit dem Bürgermeister, der Druck auf die Regierung wegen der Investitionsanreize machen soll.
«Im ganzen Land gibt es Entlassungen, obwohl es seitens der Regierung ein Programm zum Schutz von Beschäftigung gibt, das schon bei Mercedes und VW versagt hat.» Die einzige Möglichkeit, Arbeitsplätze zu sichern, sei eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, rief der Gewerkschaftsvorsitzende Antônio Ferreira de Barros den versammelten Arbeitern beim Karneval zu. (Stand: 17.Februar 2016.)

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