Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2016
– wichtiger denn je!
von gruppe denk.radikal.feministisch, Köln

Wir sind eine feministische FrauenLesbengruppe, die seit einigen Monaten einen Ort in Köln anbietet, an dem Diskussionen und Veranstaltungen zu aktuellen politischen Themen aus feministischer Sicht stattfinden. Nicht zuletzt die Geschehnisse um den 31.12.15 in Köln zeigen deutlich, dass selbstorganisierte, separate Orte wichtig und notwendig sind.
Was passierte in der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof? Frauen* wurden bedrängt, eingekreist, sexistischen Übergriffen ausgesetzt, gedemütigt und bestohlen von überwiegend jungen Männern. Es schien einen organisierten Rahmen zu haben. Tage später wird bekannt, dass in derselben Nacht ähnliches in Hamburg, Düsseldorf usw. passiert war. Die Medien reagierten erst Tage nach Silvester mit dicken Schlagzeilen: «Eine Gruppe von 1000 Männern», «Täter aus Nordafrika», «Um zum Zug zu kommen, ging es durch die Hölle», «schnelle Ausweisung krimineller Ausländer».
Es sollen hier keine weiteren rassistischen Zuschreibungen und Übertreibungen wiederholt werden, die Tatsache, dass Männer Frauen in massivster Weise bedroht und angegriffen haben, hat nichts mit deren Herkunft zu tun. Gewalt gegen Frauen* findet statt, auf öffentlichen Silvesterpartys in Deutschland ebenso wie auf dem Tahrirplatz in Ägypten oder bei den Gezi-Protesten in Istanbul. Vergewaltigende Männer sind vergewaltigende Männer, egal wo. Wir wissen als Frauen* nur zu gut, dass der öffentliche Raum ein zutiefst frauenfeindlicher ist. Die Männergewalt an Frauen und Mädchen ist Bestandteil des strukturellen Sexismus, der sich im Alltagsleben wiederfindet: in den Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften für Frauen, in Bildungs- und Berufsverboten, Zwangsehen, Genitalverstümmelung, niedrigen Frauenarbeitslöhnen, geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung, Abtreibungsverboten u.a.m.
Sexismus als Ideologie lehrt Frauen, sich schuldig und schmutzig zu fühlen, «geduldig» und stumm zu bleiben. Wenn wir sexistische Gewalt benennen, werden wir als lächerlich, gewalttätig oder prüde bezeichnet. Von klein auf wird uns erklärt, dass wir uns vor dem «Unbekannten» und «Fremden» fürchten und beim «eigenen Mann» Schutz suchen sollen. Aber wir sind niemandes Besitz. Wir wollen nicht beschützt, betreut oder eingesperrt werden. Sexualisierte Übergriffe kennt jede Frau in diesem Land und wir wissen, dass alle drei Minuten eine Frau in der BRD vergewaltigt wird und zwar zu über 80% von Bekannten, Verwandten, (Ex-)Partnern – dies passiert zuhause, in den eigenen vier Wänden.

Gewalt und Krieg
Wir waren über die Massivität der Angriffe an Silvester schockiert, den betroffenen Frauen gehört unsere Solidarität. Doch wir müssen die öffentliche Berichterstattung und die Reaktionen von Politikern aufs schärfste kritisieren. Sie machen rassistische Politik mit der erlebten Gewalterfahrung jeder einzelnen Frau* und das lassen wir nicht zu. Wir kennen die Situation, dass unser Schrei gegen die sexualisierte Gewalt nicht gehört wird, und jetzt verstärkt sich der Angriff gegen die Frauen*, in dem sie für die Ausgrenzung von hier Geflüchteten missbraucht werden. Die Verschärfungen in der Asylgesetzgebung, das Verbarrikadieren der Balkanroute und die Militäreinsätze an den EU-Außengrenzen helfen nicht gegen Sexismus und Patriarchat. Im Gegenteil trifft diese Politik Frauen* am härtesten. Sie finden keinen Schutz auf der Flucht und sind die Hauptleidtragenden der herrschenden Machtpolitik weltweit.
Dieser Staat ist mitverantwortlich für die ständige Reproduktion von maskuliner Gewalt.
Die patriarchale Macht hält sich u.a. mittels Krieg über Wasser, Kriege unterschiedlicher Intensität. Militärische Kriege in Afghanistan, Syrien, Mali und dem Nahen Osten finden mit Beteiligung der Bundeswehr statt und ein Widerstand dagegen ist wenig sichtbar. Diese Kriege zertrümmern soziale Strukturen. Strukturen, in denen Frauen sich einen Raum an gesellschaftlicher Teilhabe erobert haben, brechen weg. Marodierende Männerbanden brutalisieren den Alltag und verhindern die Teilhabe der Frauen und Mädchen am öffentlichen Leben, sie gehen nicht mehr auf die Straße, nicht in die Schule etc. Der Krieg des «demokratischen» Westens intensiviert und zementiert diesen Ausschluss. Die Gewalt globalisiert sich, sie kommt zurück, mit deutschen gewalttätigen Soldaten, mit den traumatisierten geflüchteten Männern aus den Kriegsgebieten.
Kein Krieg führender Staat übernimmt dafür die Verantwortung. Im Gegenteil, Merkel fährt zum türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, stützt mit Geld und der Stationierung von Kampfjets die reaktionäre Kriegspolitik gegen die organisierten Kurdinnen und Kurden und erkauft sich damit die Festung Europa, die die Flüchtenden aus Syrien und anderen Kriegsgebieten polizeilich/militärisch bekämpfen soll.
Der Innenminister von NRW fordert Frank-Walter Steinmeier auf, nach Marokko zu fahren und den König zu drängen, die jungen marokkanischen Männer wieder aufzunehmen, die abgeschoben werden sollen. Sie hatten im vergangenen Jahr zu Tausenden Marokko verlassen, weil es keine Perspektive im Land gibt und jede kritische Meinungsäußerung repressiv beantwortet wird. Jetzt versuchen sie, in Deutschland zu überleben, häufig mit Kleinkriminalität. Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zwischen Deutschland und Marokko sind ungetrübt, egal wieviele politische Gefangene es gibt, und egal, ob sich Wenige bereichern und die Bevölkerung völlig verarmt. Alles dient dem Erhalt der globalen Ausbeutungsverhältnisse und der Logik patriarchaler Macht.
Der militärisch-industrielle Komplex nimmt weltweit an Bedeutung zu, Männergewalt wird darin gefördert, ob als Soldat, als Privatarmist, als private Sicherheitskraft, als Polizist oder Bandenmitglied.
Der Krieg nach außen hat sein Pendant im Krieg nach innen. In vielen Staaten des Westens regiert der Ausnahmezustand, in den USA seit dem 11.September 2001, in Frankreich seit den letzten Anschlägen von Paris. Wir wissen, dass damit eine Entrechtung und Zerstörung ziviler Strukturen einhergeht und die Repression unsere Sicherheit als FrauenLesben bedroht.
Gewalt wird permanent reproduziert, in den Kriegen, im Alltag, in der patriarchalen Familienstruktur, in der Heteronormativität.

Organisieren wir uns
Der Kampf gegen das Patriarchat ist uns enorm wichtig. Schauen wir in die Erstunterbringungslager in der Stadt Köln. Organisationen wie Zartbitter, Organisationen von geflüchteten Frauen und antirassistische Gruppen forderten schon vor Jahrzehnten Mindeststandards für den Schutz vor sexualisierter Gewalt in Erstunterkünften. Mädchen und Frauen* sind in den oft nicht abschließbaren sanitären Einrichtungen sexualisierter Gewalt ausgesetzt, nachts werden sie bedrängt und auch vergewaltigt, von Männern des Wachpersonals, aus Mafia-Strukturen außerhalb der Einrichtungen, möglicherweise auch von geflüchteten Männern.
Aktuell haben sich geflüchtete Frauen* aus einer Erstaufnahmeeinrichtung, d.h. einer Turnhalle, wo es keine geschützten Räume für Frauen gibt, getraut, sexualisierte Gewalt zur Anzeige und in die Öffentlichkeit zu bringen. In diesem Fall klagen sie das Wachpersonal an (siehe auch Seite 15).
Wie ernst können wir den Aufschrei von Köln nehmen, wo bleibt er jetzt? Wo bleibt er bei 1027 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte in 2015? In 13 Fällen ermittelt das BKA wegen Sprengstoffexplosionen, 121 sind Brandanschläge, die Aufklärungsrate liegt bei 27% – unvergleichbar schlecht. Das ist kein Zufall.
Der Aufschrei von der Silvesternacht dagegen wird für einen weiteren Rechtsruck genutzt. Auf Internetforen riefen Männer zu Bürgerwehren auf und verunsicherten die Altstadt mit der Ideologie, «die weisse deutsche Frau» zu schützen. Sie versuchen, an den Verunsicherungsgefühlen von Menschen anzuknüpfen und einen Sicherheitsdiskurs zu führen. Gleich nach den Vorfällen versuchten Feministinnen, dem etwas entgegenzusetzen und verteilten Flyer rund um den Bahnhof, Aufkleber waren überall zu finden, auf denen Frauen* sich diese Bevormundung verbieten und der rechten Gesinnung eine Absage erteilten. Nicht mit unserer Stimme, nicht in unserem Sinne wird hier Politik gemacht.
Nehmen wir unsere Verteidigung selbst in die Hand. Organisieren wir uns gegen den Krieg in Syrien, in Nordkurdistan, gegen die rassistischen Angriffe und den sexistischen Alltag.

Wir rufen auf zur bundesweiten feministischen Demo am 12.März um 13 Uhr in Köln am Dom, Roncalliplatz. Es wird einen großen Frauen Lesben Trans- und Intersexuellen-Block geben, bunt, vielfältig und entschlossen.
*Frauen – cis- & trans-Frauen, sowie inter- & genderqueere Menschen, die ähnliche Erfahrungen wie Frauen machen.

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