von der Redaktion
Die weltoffene Stadt Köln, die sich so entsetzt zeigt über die Ereignisse der Sylvesternacht, leistet es sich, inmitten der Flüchtlingkrise die Stelle der Sozialdezernentin, die für Flüchtlinge zuständig ist und seit der Wahl von Henriette Reker zur Oberbürgermeisterin vakant ist, nicht zu besetzen. Ihre Funktion wird derzeit von der Stadtkämmerin wahrgenommen. Nimmt es da wunder, dass die Zustände in Kölner Flüchtlingsunterkünften unhaltbar sind?
Am 17.Februar, wandten sich die Geflüchteten aus der Turnhalle Westerwaldstraße im Stadtteil Humboldt-Gremberg mit zwei Offenen Briefen an die Öffentlichkeit (nachstehend veröffentlichen wir einen davon). Sie klagen darin über Hunger, den völligen Mangel an Privatsphäre, Dreck und Nötigung. Die Briefe wurden einem Vertreter des Bundesamts für Migration übergeben. Betreuungsträge der Unterkunft ist das Deutsche Rote Kreuz.
Einen Tag später wurde bekannt, dass die Security sexuelle Übergriffe an den Flüchtlingsfrauen begangen hatten; zwei Frauen erstatteten daraufhin Anzeige. Die zwei Security-Beamten sind Mitarbeiter eines Subunternehmens aus Essen, das für das Unternehmen Adlerwache arbeitet, das für die Bewachung von Flüchtlingsunterkünften zuständig ist. Sie waren in der Westerwaldstraße für den Brandschutz und die Sicherung der Fluchtwege zuständig. Brandschutzhelfer dürfen auf keinen Fall als Wachpersonal eingesetzt werden, heißt es aus der Stadtverwaltung. Die Polizei hat sofort eine Ermittlungsgruppe eingesetzt.
Am 20.2. versammelten sich etwa 100 Menschen auf dem Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs, um unter dem Motto «Dignity for refugees! Nein zu unwürdiger Unterbringung von Flüchtlingen in Köln!» die Proteste der Geflüchteten aus dem Lager in der Westerwaldstraße 92a zu unterstützen.
Während die Stadt Köln in ihrer Stellungnahme vom 19.Februar die Vorwürfe aus den offenen Briefen abwies und relativierte, verwies der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, auf die allgemein skandalöse Lage der Geflüchteten in ganz Deutschland und betonte, dass der aktuelle Fall in Köln kein Einzelfall sei. Er ging sogar so weit zu sagen, man könne davon ausgehen, dass «sexuelle Übergriffe und Grenzverletzungen in allen Flüchtlingsunterkünften in Deutschland passieren – und zwar gegenüber Kindern und Jugendlichen und auch gegenüber Frauen».
Offener Brief
An die Öffentlichkeit und an die zuständigen Stellen über die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft Westerwaldstraße (Humboldt-Gremberg)
Wir, Flüchtlinge aus der Turnhalle in der Westerwaldstraße 92a in Köln-Humboldt-Gremberg, richten diesen offenen Brief an die Öffentlichkeit und die zuständigen Stellen, um auf die absolut inakzeptablen Bedingungen, unter denen wir hier leben müssen, aufmerksam zu machen.
Wir fordern hiermit eine sofortige Veränderung dieser Bedingungen. Wir können so nicht mehr weiter leben! Für uns ist diese Turnhalle, die seit Dezember als Massenunterkunft für Flüchtlinge dient, keine Notunterkunft. Sie ist ein Gefängnis.
Wir sind Familien aus verschiedenen Nationalitäten. Unter uns sind schwangere Fraune, Kinder und Neugeborene. Wir sind hier zusammengepfercht mit Hunderten Mneschen in einem einzigen Raum, ohne Abtrennungen und Privatsphäre. Es ist dreckig und es gibt kaum sanitäre Einrichtungen.
Wir hungern und werden mangelernährt. Uns werden dringend notwendige Operationen und medizinische Versorgungen verweigert. Und als wäre das alles nicht genug, sind die «Securities» in dieser Turnhalle Schwarzarbeiter, die sich uns gegenüber als Mafianetzwerk bezeichnen.
Wir haben uns immer wieder bei dem Management der Unterkunft über diese Zustände beschwert, ohne dass sich irgendetwas verändert hat.
Stattdessen wird uns sogar verboten, die Stadt zu verlassen, und unser Besuch wird eingeschränkt. Niemand von uns hat bisher einen Termin zu einer Erstanhörung bekommen. Wir sind hier verlassen und eingesperrt und haben keine Perspektive auf ein Ende dieser Situation.
Wir haben alle unter den Kriegen wie in Syrien und Afghanistan gelitten und haben den Terror dort erlebt. Die meisten von uns haben vor ihrer Flucht Folter erlebt und haben noch nicht verheilte Wunden davon. Als wir hierher gekommen sind, waren wir geschockt, unter welchen grauenvollen Bedingungen wir hier leben müssen. Wir können arbeiten, wir können studieren, wir wollen uns ein Leben aufbauen!
Manche von uns weinen jeden Tag ohne Unterbrechung. Manche sagen, sie würden lieber in Syrien sterben, als unter solchen Bedingungen leben. Manche von uns würden am liebsten ihrem Leben ein Ende setzen.
Wir wollen endlich in Frieden leben, arbeiten, zur Schule und Universität gehen und uns wieder ein Leben aufbauen! Wir fordern, dass wir endlich unser Recht bekommen, in Deutschland zu bleiben!
Wir fordern dezentrale Unterbringung in Wohnungen! Wir fordern, dass diese «Unterkunft» geschlossen wird, sodass hier nie wieder jemand eingesperrt sein muss! Wir fordern unser Recht auf medizinische Versorgung!
Wir fordern unser Recht, Köln zu verlassen und Besuch zu empfangen!
Wir fordern, dass die in der Westerwaldstraße 92a «arbeitenden» Mafiastrukturen sowie die verantwortlichen Personen inklusive der Leitung der Security und des Managements sofort aus der Turnhalle entfernt werden!
Dignity for Refugees! Für Bleiberecht und menschenwürdige Unterbringung
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