von Steffen Stierle*
Raus aus der EU oder die EU von innen reformieren? Diese Debatte hat nach der erzwungenen Kapitulation der griechischen Regierung im Sommer letzten Jahres in der Linken mächtig an Fahrt aufgenommen. Die SoZ dokumentiert in lockerer Reihenfolge unterschiedliche Standpunkte.
Frieden, Wohlstand, Demokratie. Mit diesen Versprechen wurden über Jahrzehnte große Mehrheiten für die Europäische Integration, einschließlich der Euro-Einführung, gewonnen. Doch spätestens seit den späten 80er Jahren läuft das Projekt endgültig in die entgegengesetzte Richtung: Gemeinsamer Binnenmarkt, Stabilitäts- und Wachstumspakt, EZB-Statuten, Euro und Lissabon-Vertrag bilden einen Rahmen, in dem nur neoliberale Politik möglich ist. Die EU steht mittlerweile vor allem für Sozialabbau, Lohn- und Steuerdumping, kostspielige Bankenrettungen, mächtige Technokraten, machtlose Parlamente, Abschottung und Aufrüstung.
Wenn es noch einen praktischen Beweis dafür bedurft hätte, dass in der Eurozone kein alternativer Ansatz zulässig ist, dann hat ihn die griechische Regierung im Sommer 2015 geliefert: Auf den Versuch, die Kürzungspolitik der Troika zu beenden und die Wirtschaft durch öffentliche Investitionen anzukurbeln, reagierten EZB und Eurogruppe mit einer deutlichen Machtdemonstration. Der Geldhahn wurde zugedreht und die griechische Volkswirtschaft ins Koma geschickt, bis die Regierung kapitulierte. Seither setzt die «Regierung der radikalen Linken» ein Programm um, das u.a. drastische Rentenkürzungen, eine Erleichterung von Zwangsräumungen und ein gigantisches Privatisierungspaket beinhaltet. Ob konservativ, sozialdemokratisch oder linksradikal: Im Europa von heute macht das keinen Unterschied mehr.
Derlei Beweise für den neoliberalen, antidemokratischen Charakter der Eurozone hat es auch früher und später gegeben. Man denke an die Erpressung der zypriotischen Regierung, die 2013 in der Unterzeichnung eines vollkommen destruktiven Programms mündete, oder den Druck, den die EU-Kommission gegenwärtig auf die Mitte-Links-Regierung in Portugal ausübt. Doch der Fall Griechenland war besonders eindrucksvoll und hat eine breite Strategiedebatte in der europäischen Linken ausgelöst. Der Kern der Erkenntnis: Wenn im EU/Euro-Rahmen nur neoliberale Politik möglich ist, dann müssen sich Linke gegen diesen Rahmen stellen.
Linke Suchprozesse in der Eurofrage
In vielen Parteien, Bewegungen, Gewerkschaften und akademischen Kreisen gibt es seither unter Labels wie Plan B oder Lexit (linker Exit) breite Debatten um die Überwindung des Euro. In vielen Ländern sind neue linke Gruppen entstanden, um sich gegen den Euro zu engagieren. Auch internationale Koordinationsstrukturen entstehen nach und nach.
So gab es im Januar und Februar 2016 in Paris und Madrid internationale Konferenzen, die vor allem aus dem Spektrum linker Parteien organisiert wurden und sich mit Alternativen zum Euro befassten. Weitere solcher Konferenzen sind in Berlin und Rom geplant.
In Deutschland ist im Spätjahr 2015 ein neuer Zusammenhang entstanden, in dem Gewerkschafter, Parteileute, Aktivisten und Wissenschaftler zusammenkommen, deren gemeinsame Basis die Ablehnung des Euro ist. In Österreich führt Attac eine breite Debatte über die Neuausrichtung der EU-Position. Zudem gibt es dort seit längerem eine Gruppe namens Euro-Exit, an deren Arbeit es mittlerweile viel Interesse gibt und die sich wiederum mit Salir del Euro in Spanien, der Anti-Euro-Partei LAE in Griechenland und anderen vernetzt. Der regierungstragende portugiesische Bloco de Esquerda (Linksblock) bewegt sich zunehmend auf eine Anti-Euro-Position zu. In Frankreich haben 80 renommierte Ökonomen einen Aufruf unterzeichnet, der offen den Bruch mit den europäischen Verträgen vorschlägt. In Großbritannien gibt es nun eine linke Kampagne, die darauf abzielt, beim Referendum im Juni gegen die EU-Mitgliedschaft zu stimmen. Das sind nur einige Beispiele, anhand derer man sehen kann, dass rund um die Euro-Kritik gerade einiges in Bewegung ist.**
Vielschichtige Lexit-Debatten
In dieser komplexen Gemengelage läuft nun die Suche nach Konzepten und Strategien – nach einem Plan B. Im folgenden werden einige zentrale Diskussionspunkte dargestellt.
Plan B – Ergänzung oder Ersatz?
Nachdem die SYRIZA-Regierung trotz des deutlichen Nein im Referendum vom 5.Juli 2015 ein neues Troika-Programm akzeptierte, wurde viel argumentiert, dass ihr die Verhandlungsmasse fehle. Sie habe sich erpressbar gemacht, weil sie auf einen Euro-Ausstieg nicht vorbereitet war und daher sämtliche Bedingungen der Gläubiger schlucken musste. Deshalb brauche man einen Plan B – nicht um ihn umzusetzen, sondern um eine glaubwürdige Drohkulisse aufzubauen, um Plan A durchzusetzen. Sprich: den Euro so zu verändern, dass er mit einer nicht neoliberalen Politik vereinbar wird.
Demgegenüber steht die Position, dass der Euro grundsätzlich Spielräume für eine antineoliberale Politik zerstört und das auch nicht geändert werden kann. Schließlich ist der Euro nicht nur ein Werkzeug zur Erpressung von Krisenländern, sondern vielmehr zentrale Ursache für wirtschaftliche Ungleichgewichte und die daraus folgende Kürzungs- und Liberalisierungspolitik. Zuerst traf das Deutschland, den kranken Mann Europas, der durch Hartz IV, Leiharbeit etc. auf die Kapitalabwanderungen gen Süden reagierte. Nun trifft es den Süden, der zu einer radikalen Kürzungsagenda gezwungen wird.
Nur eine ökonomische Frage?
Viele Lexit-Verfechter entstammen der Ökonomenzunft und argumentieren schon seit Jahren, dass der Euro nicht funktionieren kann, solange er nicht mit einer gemeinsamen Schuldenhaftung, Lohnkoordination, einer EZB-Staatsfinanzierung o.ä. einhergehe. Man müsse ihn deswegen durch ein besseres Währungssystem ersetzen.
Die ökonomische Analyse überzeugt. Doch politisch betrachtet funktioniert der Euro. Er funktioniert als Werkzeug zur Durchsetzung von Steuer- und Lohndumping, von Sozialabbau und Privatisierungen. Es ist sinnvoll davon auszugehen, dass die Fehlkonstruktion des Euro nicht durch die ökonomische Inkompetenz der politischen Eilten und ihrer Berater zu begründen ist, sondern durch das Interesse der Mächtigen, Sozialstaaten kaputt zu machen, Löhne zu drücken und Steuergelder in die Großbanken umzuverteilen.
So gesehen muss man das Thema breiter anlegen: Letztlich geht es um die Demokratie. Die Zwänge des Euro-Regimes führen nicht nur zu neoliberaler Politik, sondern auch dazu, dass selbige gegen demokratische Entscheidungen immun wird. Auch das wurde mit dem Nein und der darauf folgenden Erpressung in Griechenland besonders deutlich. Der Lexit ist daher weit mehr als nur eine Angelegenheit für ökonomische Fachzirkel.
First we take the Euro, then…?
Trotzdem ist es gut, dass man sich – wenn auch mit unterschiedlichen Motiven – erstmal einig darüber ist, dass der Euro weg muss. Doch dann kommt die nächste Frage: Wie hält man es mit der EU?
Die Anti-Euro/Pro-EU-Argumentation geht so: Die besagten, akut krisenverschärfenden Ungleichgewichte sind Folge des Euro. Wäre man ihn los, könnte man die Währungen wie früher gegeneinander auf- und abwerten und so den Abwärtswettlauf bei Löhnen, Steuern und Sozialleistungen beenden. Zudem brauche man die EU, damit man in der globalisierten Welt überhaupt noch eine Stimme hat, die gehört wird.
Andererseits: Nicht nur der Euro ist zur Durchsetzung neoliberaler Politik konzipiert. Ob Stabilitätspakt, Binnenmarkt oder Lissabon-Vertrag: Im gesamten EU-Konstrukt wird deutlich, dass es genau darauf gemünzt ist. Der Euro-Exit kann daher nur ein erster Schritt sein. Wer antineoliberale Politik will, muss bereit sein, auch die EU zu verlassen.
Aber wie ist es mit Europas geeinter Stimme in der Welt? Nun, die EU nutzt diese Stimme vor allem, um die radikal-neoliberale Agenda weltweit voranzutreiben, ob mit Handelsabkommen oder Militäreinsätzen. Weniger Europa kann der Welt nicht schaden. Und den Norwegern, Isländern und Schweizern hat der Verzicht auf globales Gewicht auch nicht geschadet. Im Gegenteil.
Ausstiegskriterien
Unbeschadet dieser Diskussion ist es sinnvoll, den Euro-Exit in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich ist hier die politische Auseinandersetzung akut. Der Euro ist die Basis der brutalen Troika-Interventionen und der weitreichenden Reformpläne für die nächsten Jahre. Trotzdem gibt es immer noch Linke, die die Exit-Forderung ablehnen. Sie befürchten, dass der Ausstieg ins Chaos führe und alles noch viel schlimmer werde.
Manche vertreten sogar die These, dass ein Ende des Euro zu militärischen Auseinandersetzungen in Mitteleuropa führen würde. Um solcherlei Sorgen abzubauen ist es wichtig, die Ausstiegsszenarien zu konkretisieren.
In den Debatten geht man davon aus, dass Exit-Strategien von Land zu Land unterschiedlich ausgestaltet werden müssen. Während zum Beispiel die Griechen sehr vorsichtig sind, weil sie als kleine Ökonomie mit eigener Währung leicht zum Spekulationsobjekt der Finanzmärkte werden könnten und sich durch die massive Abwertung Importe verteuern würden, findet in der französischen Linken ein recht selbstbewusster Exit-Diskurs statt. Dort ist man überzeugt, mächtig genug zu sein, um die anderen zu einem kooperativen, koordinierten Ausstiegsplan zu zwingen. Schließlich könnte der unkoordinierte Abzug der zweitgrößten Euro-Ökonomie die gesamte Währungsunion zum Kollabieren bringen.
Allgemein lässt sich festhalten, dass der Exit umso einfacher ist, je größer und produktiver die eigene Ökonomie ist. Zudem ist es wichtig, loyale Institutionen im Inland zu haben (was eine linke Regierung nicht automatisch annehmen kann) und eine externe, zumindest mittelgroße Zentralbank, die die Währung stützt. Das muss nicht unbedingt die EZB sein. Infrage kommen auch Kooperationen mit anderen Währungsräumen.
Auch eine Kooperation zwischen (Ex-)Euro-Ländern, die sich vom Neoliberalismus abwenden wollen, könnte hilfreich sein. Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien dürften durchaus die Kraft haben, kleinere Exit-Länder zu stabilisieren. So entstünden zugleich interessante Bündnisoptionen für ein alternatives Integrationsprojekt.
Ein perfektes Szenario gibt es allerdings nicht. Kein Exit ist ohne Nachteile, Unwägbarkeiten und Risiken. Niemand behauptet, dass der Ausstieg ein Spaziergang wäre. Nur zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass er vielerorts zur Grundvoraussetzung dafür geworden ist, demokratische Entscheidungen wieder zu respektieren und den neoliberalen Kurs, der immer mehr Menschen in Armut und Elend treibt, verlassen zu können.
EWS 2.0 und Parallelwährungen
Neben solch allgemeinen Exit-Überlegungen gibt es einige konkrete Konzepte für Alternativen zur Gemeinschaftswährung. So wird in Deutschland zuletzt viel darüber diskutiert, das Europäische Währungssystem (EWS) wiederzubeleben. Die Euroländer sollen wieder zu nationalen Währungen zurückkehren, diese aber anhand eines Wechselkurskorridors von +/–15% aneinander koppeln und regelmäßig auf politischer Ebene Angleichungen beschließen, die Ungleichgewichte verhindern. So wurde das auch vor der Euro-Einführung gemacht.
Der Clou: Dieses System existiert bereits, Dänemark ist heute das einzige Mitglied. Diese Mitgliedschaft verpflichtet die EZB zu Interventionen, wenn Krone und Euro sich zu weit auseinanderbewegen. Das gibt Dänemark einerseits Stabilität, ermöglicht aber andererseits auch flexible Angleichungen an verschiedene wirtschaftliche Entwicklungen.
Man ist sich jedoch einig darüber, dass das EWS reformiert werden müsste, um den heutigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Vorgeschlagen wird u.a. die Sanktionierung von übermäßigen Exportüberschüssen, um die Ungleichgewichte im Zaum zu halten. Zu klären wäre auch, ob die EWS-Lösung im Zweifelsfall auch von einer linken Regierung einseitig erzwungen werden könnte oder ob die Kooperation aller notwendig wäre. Davon hängt ab, wie realistisch der Ansatz ist. Europarechtlich betrachtet kann jeder EU-Mitgliedstaat am EWS teilnehmen. Ob man aber den Euro verlassen und in der EU bleiben kann, wäre zu klären.
Eine andere Idee, die vor allem in Italien diskutiert wird, ist die Einführung von Parallelwährungen. Dabei handelt es sich nicht um eine Exit-Strategie im engeren Sinne. Der Euro würde nicht abgeschafft, sondern um nationale Währungen ergänzt. Eine linke Regierung könnte die Parallelwährung etwa durch Gehaltszahlungen im öffentlichen Dienst und Sozialleistungen in Umlauf bringen und sie zur Begleichung der Steuerschuld akzeptieren. So würde man ein Stück geldpolitischer Souveränität zurückgewinnen. Man könnte Spielräume für gezielte Investitionen schaffen, die die Kürzungspolitik der EU kontern. Der Charme besteht darin, dass man nicht unbedingt auf die Kooperation der anderen angewiesen wäre, was die Sache realistischer macht.
Auf der anderen Seite wird man den Euro so nicht los. Die neoliberalen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts, des Fiskalpakts, der Bankenunion etc. würden weiterhin gelten und politische Spielräume jenseits des Neoliberalismus eingrenzen. Zudem scheint fraglich, ob EU-Kommission, EZB und mächtige, weiterhin neoliberal regierte Euroländer dies ohne Gegenoffensive hinnehmen würden.
Die Diskussion: Komplex, unvermeidbar und wichtig
Festhalten lässt sich: Wir haben es mir einer komplexen, vielschichtigen Debatte zu tun, die unvermeidbar ist und vielerorts zielführend, kompetent und konstruktiv geführt wird. Dass dies heute möglich ist, ist ein Meilenstein im Widerstand gegen die neoliberale EU-Integration und die Krisenpolitik der letzten Jahre. Sie trägt der Erkenntnis Rechnung, dass man es mit einem neoliberalen, autoritären Projekt zu tun hat, das nicht verändert werden kann. Nachdem zahlreiche Initiativen à la «Europa geht anders» ins Leere gelaufen sind, ist diese strategische Neuausrichtung von herausragender Bedeutung.
Zugleich bedeutet der Beginn dieser Debatte einen wichtigen Schritt zum Stopp des besorgniserregenden Aufstiegs rechter und rechtsextremer Kräfte. Le Pen, AfD & Co. hatten das Feld der Eurokritik bislang für sich allein. Während die Linke nur visionäre Formeln von einem anderen Europa anzubieten hatte, von denen niemand zu sagen vermochte, wie sie vom Wunschdenken zur Realität werden könnten, hatten die Rechten von Anfang an klare – und zugleich reaktionäre, menschenfeindliche – Antworten auf die immer breitere Ablehnung von Euro und EU. Es ist sehr gut, dass sich das nun ändert!
* Steffen Stierle ist Ökonom mit Schwerpunkt auf Politische Ökonomie der Europäischen Integration, Attac-Aktivist, Mitinitiator des europäischen Lexit-Netzwerks und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag.
** Siehe dazu folgende Webseiten: Plan-B-Konferenz Paris: www.euro-planb.eu; Plan-B-Konferenz Madrid: http://planbeuropa.es; Euroexit Österreich: www.euroexit.org.
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