Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2016
Dänemark 2015, Regie: Thomas Vinterberg
von Angela Huemer

Der Architekt Erik besichtigt mit seiner Familie, seiner Frau Anna und seiner vierzehnjährigen Tochter Freja das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Er hat es soeben geerbt und klingt zufrieden, als er vom Makler vernimmt, dass er 1 Million Kronen dafür bekommen könnte, denn er arbeitet als Dozent, und Geld ist eher knapp. Um selber drin zu wohnen, wäre es doch viel zu groß, meint Erik. Und zu teuer. Doch seine Frau Anna und die Tochter Freja haben andere Pläne, sie überlisten Erik geradezu und beschließen dann, das große Haus mit anderen zu teilen, also eine Art Hausgemeinschaft, eine Kommune zu starten.

Wir schreiben das Jahr 1975. Eigentlich sind Anna, Erik und Freja eine glückliche kleine Familie, doch wie meint Anna, die schon lange als erfolgreiche Fernsehjournalistin arbeitet, zu ihrem Mann Erik: Du redest immer so viel, ich will aber auch mal andere reden hören, nicht immer nur dich. Sie ergreift die Initiative und ruft Ole an, einen ganz alten Freund, er ist der erste, den sie mit ins Boot holt. Geld hat er keins, aber er kennt weitere Leute, die mitmachen wollen, das Paar Steffen und Ditte zum Beispiel, die auch schon Erfahrung mit solchen Wohnformen haben. Sie ziehen mit ihrem kleinen Sohn Vilads ein, der, egal wen er trifft, erst mal jedem erzählt, dass er nur 9 Jahre alt werden wird, weil er herzkrank ist. Dazu kommen noch die lebenslustige Mona und Allon, der sensible Mann, der sich nur mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt und endlich wo ankommen will.

Selten wehte in einem Film so viel aufregender frischer Wind wie in Thomas Vinterbergs erstem großem Erfolg Festen (Das Fest). Es war der erste Spielfilm, der gemäß strengsten «Dogma»-Vorgaben gedreht wurde: Drehen nur an Originalschauplätzen, ohne zusätzliche Requisiten, Handkamera, nur original während des Geschehens vorkommende Musik etc., zehn Gebote gab es insgesamt, an die sich im Endeffekt kaum einer der Dogma-Filme wirklich hielt. Mit der Dogma-Bewegung und den Ausnahmetalenten Vinterberg und Lars von Trier nahm aber das dänische Kino (und Jahre später auch das Fernsehen) richtig Fahrt auf, begünstigt durch eine einmalig gute und effiziente Filmbürokratie.

Thomas Vinterbergs Film Das Fest, präsentiert mit Lars von Triers Idioten in Cannes 1998, war eine dramatisches Familiendrama. Auf der Geburtstagsfeier des Familienpatriarchen brechen alte Wunden auf. Kaum je wie bei diesem Film hatte ich damals das Gefühl, etwas ganz Neuartiges gesehen zu haben. Das Fest funktionierte als Film wunderbar, durch die Vorgaben hatte es jedoch auch etwas Theaterhaftes. Kein Wunder also, dass Vinterberg 2010 eine Fortsetzung von Das Fest in Form eines Theaterstücks, Das Begräbnis, für das Wiener Burgtheater schrieb. 2011 brachte er dort eine erste Fassung des aktuellen Films Kollektivet (Die Kommune) am Wiener Akademie- bzw. Burgtheater zur Aufführung.

In Das Fest geht es um eine große Familie, in Die Kommune im Grunde auch. Während Anna auf Anhieb sehr glücklich ist in dem neu entstandenen Kollektiv, merkt man Erik an, dass er sich ein wenig verloren fühlt, ihm die Aufmerksamkeit Annas fehlt. Prompt verliebt er sich in seine um vieles jüngere Studentin Emma. Er will sich nicht trennen und Anna bietet sogar an, dass Emma ins Haus einziehen kann. Eine Entscheidung mit Folgen. Anna wird von der wunderbaren Trine Dyrholm verkörpert, die auf der Berlinale völlig zurecht für ihre Leistung mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Trine Dyrholm spielt nicht Anna, sie ist Anna.

Obwohl Vinterberg seine «Dogma»-Vorgaben, die besondere Nähe des Zuschauers zum Geschehen sicher stellen sollen, längst über Bord geworfen hat, vergisst man bei Die Kommune nach einer Weile, dass man im Kino sitzt. Man wohnt einem realen Geschehen bei und fiebert mit. Vermutlich kommt diese Authentizität auch daher, dass Thomas Vinterberg selber in einer Kommune groß geworden und positive Erinnerungen daran hat, wie er in Interviews verrät. Von manchen Kritikern wurde Kollektivet als Komödie bezeichnet, das ist es auch. Die komischen und tragischen Momente gehen aber ineinander über, ganz wie im richtigen Leben.

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