von Angela Huemer
Am 11.Mai 2011 beschloss der Europarat die sog. Istanbuler Konvention, ein Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Insgesamt haben sie 38 Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichnet; ratifiziert und in Kraft getreten ist sie seither in 21 Staaten – nicht in Deutschland.
Seit Anfang des Jahres haben nun auch die Regierungen Deutschlands, Österreichs und Großbritanniens Verschärfungen im Sexualstrafrecht beschlossen. In Großbritannien gilt nun auch kontrollierendes und Zwang ausübendes Verhalten im häuslichen Bereich als Straftatbestand.
Österreich
Folgender Fall machte 2012 in Graz Furore: Eine Radfahrerin wird von einem Radfahrer hinten angefahren, meint «oh, Frau mit knackigem Hintern, darf ich mal anfassen». Die Frau reagiert mit einem «Sicher nicht» und einer Ohrfeige. Die läßt sich der Mann – bereits wegen ähnlicher Vorkommnisse amtsbekannt – nicht gefallen und schlägt mit der Faust zurück. Es gibt viele Zeugen, der Fall kommt vor Gericht, es erfolgt keine Verurteilung, weil keine «geschlechtliche Handlung» vorgelegen hat. Frauen demonstrierten, es gab eine Debatte und Bemühungen um Gesetzesreformen – besonders der alsbald als Po-Grapscher-Paragraf definierte Passus wurde heftig diskutiert.
Der Nationalratsabgeordnete Marcus Franz, bis Juni 2015 Teil der Partei Team Stronach, dann ÖVP, jetzt politisch heimatlos (weil er sich abfällig über Merkels Kinderlosigkeit geäußert hatte) meinte in einem Tweet: «Ob der Popsch hält was der Blick verspricht, das erfahren zu wollen wird nun bestraft.» FPÖ-Chef Heinz Christian Strache zeigte sich ebenso besorgt: «Wenn zärtliche Berührungen nicht mehr möglich sind, frag ich mich, wie wir in Zukunft zueinander finden.»
Seit dem 1.1.2016 ist der nach §218 StGB bereits bestehende Straftatbestand der sexuellen Belästigung ausgeweitet, nun kann bestraft werden, «wer eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt», gemäß Erläuterungen zählen dazu Oberschenkel und Po. Auch die Regelung zur Vergewaltigung wurde verschärft: Nunmehr ist strafbar, wer mit einer Person «gegen deren Willen, [oder] unter Ausnützung einer Zwangslage oder nach vorangegangener Einschüchterung den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung» vornimmt. Ende Januar zitierte die Kärntner Zeitung einen Polizeisprecher mit der Aussage: «Es zeigt sich, dass diese Gesetzesänderung notwendig war», es gäbe bereits Anzeigen.
Großbritannien
Ein seit dem 1.Januar gültiges Gesetz macht dank eines urbritischen Radio-Dramas, The Archers, Furore. Das neue Gesetz richtet sich gegen «coercive behaviour», kontrollierendes, zwangausübendes Verhalten im häuslichen Kontext. Strafbar ist über längeren Zeitraum ausgeübte Isolierung, Demütigung, Herabsetzung, Angsteinflößung des Partners. Das Strafmaß beträgt bis zu fünf Jahren Haft.
Das Radiodrama The Archers ist seit nunmehr 65 Jahren so etwas wie eine britische Institution. Begonnen hat es als dramatisiertes Ratgeberprogramm für die ländliche Bevölkerung. Täglich um 19 Uhr erwarten die Hörer etwas Abwechslung, humorig, tiefgründig, jedoch nie übermäßig dramatisch. Zur Zeit ist das anders, denn seit Monaten erzählen die Macher in brillanter Weise, äußerst realistisch und in «real time» die Geschichte von Helen Titchener (geb. Archer) und ihren Mann Rob.
Helen war eine unabhängige alleinerziehende junge Frau, die den Laden am Biobauernhof ihrer Eltern betreibt und Käse herstellt. Rob war bei den Hörern bald unbeliebt durch unfaires Cricketspiel, gewalttätiges Verhalten bei der Fuchsjagd und zunehmend kontrollierendes Verhalten Helen gegenüber. Nach seiner Scheidung heirateten Rob und Helen auf einem Wochenendausflug, Ende August wurde eine Vergewaltigung angedeutet, kurz darauf war Helen schwanger. Seither intensiviert sich Robs kontrollierendes Verhalten, er isoliert Helen von Freunden und Familie, wenn was schief geht, ist sie schuld, ständig fordert er sie auf, sich zu schonen, und er manipuliert Henry, Helens kleinen Sohn.
Für viele Archers-Hörer ist das nahezu unerträglich, in Foren, Blogs, auf Facebook etc. wird seit Monaten heftig diskutiert, viele fragen sich, warum die Umgebung nichts mitbekommt (außer einer Freundin von Helen) und wie das denn in so einer idyllischen Landgemeinde möglich sein soll. Viele berichten aber auch von eigenen Erfahrungen dieser Art. Nach der Folge am 11.März, als Rob handgreiflich wurde, ist nun auf der Internetseite der Sendung eine Hilfshotline veröffentlicht. Anfang Februar initiierte ein Hörer spontan einen Helen Titchener (née Archer) Fund, der einer Frauenhilfsorganisation zugute kommt – mehr als 70000 Pfund wurden bereits gespendet. Und: Die Zahl der Anrufe bei der Hotline ist um 17% gestiegen, besonders im ländlichen Bereich suchen mehr Frauen Hilfe.
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