von Stefanie Kron, Massimo Perinelli*
Auf dem Hamburger Kampnagel wurde Ende Februar über Selbstorganisierung von und Solidarität mit Flüchtenden diskutiert.
Aus den verschiedensten Unterkünften, Camps und Lagern in der Bundesrepublik und dem europäischen Ausland – darunter London, Calais, Lampedusa, Paris, Lesvos und Thessaloniki – kamen vom 26. bis 28.2. mehr als 1500 Menschen in dem Hamburger Theater Kampnagel zur dreitägigen «International Conference of Refugees and Migrants» zusammen. Der nahezu perfekt organisierte Event war eine der bislang größten Konferenzen der europäischen Bewegung von Geflüchteten.
Mit Hilfe von Einzelpersonen, kollektiven Unterstützerstrukturen, Zuschüssen mehrerer Stiftungen (darunter der Rosa-Luxemburg-Stiftung) sowie einer erfolgreichen Crowd-Funding-Kampagne im Vorfeld konnten die zahlreichen Veranstalter allen Teilnehmenden die Fahrtkosten erstatten, sie kostenlos unterbringen und rund um die Uhr verpflegen. Zudem gab es einen Shuttle-Service vom Hauptbahnhof nach Kampnagel und eine professionelle Kinderbetreuung; das Bla-Kollektiv ermöglichte die Übersetzung aller Veranstaltungen in sieben Sprachen sowie in internationale Gebärdensprache.
Nicht zuletzt stand eine juristische Begleitung bereit, um eventuelle Probleme auf dem Weg der Refugee-Aktivisten nach Hamburg aufzufangen, wie Fragen der Residenzpflicht und Polizeiaktionen des racial profiling. Daneben bot die studentische Refugee Law Clinic eine umfangreiche rechtliche Beratung für Geflüchtete an.
Das dichte dreitägige Programm wurde mehrheitlich von den teilnehmenden Gruppen, Organisationen und Aktivisten unter den Geflüchteten selbst organisiert und bespielt, darunter Paneldiskussionen, Workshops, Konzerte und Film-Screenings.
Nur einige wenige antirassistische Aktivisten aus Deutschland – darunter auf Asylfragen spezialisierte Juristen sowie Vertreteren von Watch-the-Med, einem transnationalen Netzwerk von migrantischen und migrationsorientierten Gruppen und Einzelpersonen, die ein Alarmtelefon für Flüchtlinge in Seenot betreiben – waren als Moderatoren oder Referenten vertreten.
Programm und Teilnehmer
Insgesamt fünf große Podiumsveranstaltungen, die jeweils von bis zu 500 Menschen besucht wurden, behandelten die aktuell anstehenden Themen wie die Politik der Migrationsabwehr und des Grenzschutzes, aber auch die Kämpfe der Migration an den europäischen Außengrenzen; die Verschärfung der deutschen Asylgesetzgebung sowie Debatten um Selbstorganisierung und Solidarität.
Wichtig für einen Großteil der Teilnehmenden waren sicherlich auch die etwa 30 kleineren Workshops etwa zur Geschichte der Refugee-Bewegungen, zu Gewalt und Sexismus gegen geflüchtete Frauen, urbane Kämpfe undokumentierter Menschen, das Verhältnis zu den Supporterstrukturen, alternative Medien etc. Hier konnten sich die Anwesenden direkter miteinander über Probleme, Herausforderungen und Erfahrungen austauschen und Strategien politischen Handelns entwickeln.
In vielen Workshops stand die Frage im Mittelpunkt, wie ein Leben gegen die gegenwärtigen rassistischen Ausgrenzungsmechanismen organisiert werden und den zukünftig Kommenden die Migrationsrouten offen gehalten werden können.
In den Workshops wurde auch versucht, breitere Bündnisse zu schmieden, etwa zwischen den teilweise noch sehr stark voneinander getrennt agierenden, etablierteren migrantischen Communities und den erst kürzlich angekommenen Geflüchteten.
Insgesamt bildeten Menschen aus dem subsaharischen Afrika, die heute in Europa leben, die Mehrheit der Konferenzteilnehmer. So fiel, neben «Lampedusa in Hamburg», die starke Präsenz von Aktivisten der «Coalition Internationale des Sans Papiers et des Migrants» (CISPM) auf. Die CISPM organisiert und vernetzt in Italien, Frankreich und Deutschland vor allem migrantische Gruppen aus dem subsaharischen Afrika, wie etwa die Initiative «Voix des migrants» in Berlin.
Ebenso waren Aktivisten aus Nordafrika, Afghanistan, Syrien sowie zahlreiche Roma dem Aufruf zur Konferenz gefolgt. Und nicht zuletzt waren Vertreter der Flüchtlingsmobilisierungen der 2000er Jahre, wie «The Voice» und die «Karawane» und sogar viele Migranten nach Hamburg gekommen, die teilweise schon in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben.
Selbstorganisation
Wütende Entschlossenheit, aber auch Aufbruchstimmung prägten die Stimmung während des Wochenendes, die Notwendigkeit der Kooperation und Solidarität war stärker spürbar als das Bedürfnis, das Trennende hervorzuheben und sich voneinander abzugrenzen.
Dabei gab es Konflikte, die keine schnelle Lösung erahnen lassen: Hierzu gehören die notorisch ausweglos erscheinende Rechtlosigkeit der Lampedusa-Flüchtlinge sowie die immensen strukturellen Ungleichheiten zwischen den Sans Papier – sehr oft aus dem subsaharischen Afrika – und den Flüchtlingen aus Syrien und Irak mit vergleichsweise guten Aussichten auf Asyl.
Ein weiterer Konflikt betrifft Hierarchien und ungleiche Möglichkeiten der politischen Arbeit. Hier geriet insbesondere die Rolle der (nicht nur) deutschen oder weißen Organizer in die Kritik, die zwar außer mit Dienstleistungen auf der Konferenz selbst wenig in den Vordergrund traten, im Vorfeld aber durch ihre Verbindungen und auch ihre jahrelangen Praxis viel für die Refugee-Bewegungen möglich gemacht hatten. Zwar ging es auch in diesen Debatten um Benennung und Problematisierung, gleichwohl ohne Trennungen zu fordern und Spaltungen hervorzubringen. So war die Konferenz zwar Ausdruck der Bedingungen gesellschaftlicher Ungleichheiten, zugleich aber eine gelungene Intervention, diese Ungleichheiten in Frage zu stellen, neue Bündnisse einzugehen und sich als gut organisierte Geflüchtete im Kampf um Würde und Rechte sichtbar zu machen.
* Quelle: www.rosalux.de/news/ 42180; von der Redaktion gekürzt.
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