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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2016
Zum Vortrag von David Rojkowski
von Kai Böhne*

Noch heute werden Propagandabilder unkommentiert zur Illustration genutzt. Der Fotohistoriker Rojkowski fordert, historische Fotos quellenkritisch zu verwenden.

Anders als Schriftdokumente offenbaren historische Fotos meist nichts über den Zeitpunkt ihrer Entstehung, über die Person und Motivation des Fotografen und über den beabsichtigten Verwendungszweck. Sind Fotografien wie Schriftdokumente zu betrachten? Eignen sie sich als historische Belege und zur Aufklärung über Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus? Diese Fragen wollten die Geschichtswerkstätten Göttingen und Duderstadt mit dem Hamburger Fotografen und Soziologen David Rojkowski klären.

Der Mitarbeiter des Magazins Leica Fotografie International referierte in den Räumen der Göttinger Dauerausstellung «Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit». Zu Beginn seines Vortrags betonte Rojkowski die zunehmende Bedeutung von Fotos in sämtlichen Lebensbereichen. Er konstatierte, heutzutage sei es in der Erinnerungskultur unmöglich, ohne Bilder zu kommunizieren. Über das Thema Zwangsarbeit mit Bildern zu sprechen, offenbare aber ein grundsätzliches Problem.

«Mit Fotografien kann man wunderbar ein Ereignis festhalten», sagt Rojkowski. «Die Zwangsarbeit war aber kein Ereignis, sondern ein jahrelanger Prozess.» Aus einzelnen Fotos lasse sich das Ausmaß der Zwangsarbeit nicht erkennen: die Deportation von Millionen von Menschen, die Willkür der Arbeitgeber, die schlechte Ernährung, die Unfreiheit und die Schwere der Arbeit.

Aus der Zeit der Zwangsarbeit existieren noch viele Fotos. Merkwürdigerweise aber kaum Fotos von der Zwangsarbeit selbst. Wer diese Fotografien als historische Quelle verwenden möchte, muss sie quellenkritisch betrachten, verlangt Rojkowski. Dabei sei zu klären, wer ein Foto gemacht habe und in wessen Auftrag. Wann und wo das Foto entstanden sei. Wer darauf abgebildet sei, zu welchem Zweck das Foto erstellt wurde und wer die gezielten oder potenziellen Adressaten seien.

Die vorhandenen Bilder gliedert Rojkowski in mehrere Kategorien. Er analysiert und erläutert Propagandafotos der Firma Schneeweiß aus dem Jahr 1942. Mit ihnen sollten Arbeitskräfte aus Osteuropa angeworben werden. Deshalb wurde mit modernen, sauberen und fortschrittlichen Arbeitsbedingungen geworben. Rojkowski spricht von «einer vorsätzlichen Verfälschung, denn diese Fotografien verhöhnen die Realität». Ein aktuelles Problem sieht er darin, dass heutige Medien oft Bilder von Propagandakompanien, die seit dem Zweiten Weltkrieg in Archiven lagern, unkommentiert zur Illustration der Zwangsarbeit und anderer Themen verwenden. «Damit übernehmen Redakteure die Bildsprache des NS-Regimes», bemerkt Rojkowski.

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatten einen Ausweis und ein Arbeitsbuch. Personen, die keine eigenen Fotos mitgebracht hatten, wurden erkennungsdienstlich fotografiert. Polnische Arbeiter hatten ein «P»-Kennzeichen zu tragen. Zivile Arbeiter aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion mussten ein «OST»-Abzeichen tragen. «Insbesondere diese Kennzeichnungen», so Rojkowski, «verleihen den abgebildeten Personen etwas Kriminelles.»

Eine weitere Kategorie bilden private Amateuraufnahmen. Die meisten dieser Bilder zeigen Menschen in ihrer Freizeit. «Diese Idylle ist trügerisch», erklärt Rojkowski. «Die Anzahl der Freizeitbilder steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Freizeit der Zwangsarbeiter.» Sie hatten nur am Sonntag frei und durften sich nur in einem kleinen Radius um ihre Arbeitsstelle bewegen.

Die letzte Gruppe von Fotos, die Rojkowski vorstellt, zeigt ehemalige Zwangsarbeiter nach deren Befreiung. Abschließend fordert der Redakteur des renommierten Leica-Fotomagazins, Fotografien zu historischen Themen wie Zwangsarbeit oder Vertreibung sollten stets mit einem erläuternden Text zu ihrem Entstehungskontext versehen werden. Denn eingefrorene Momentaufnahmen allein können nicht das komplexe Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit den Tausenden Toten, der verlorenen Jugend, den gesundheitlichen Schäden und dem Verlust von Familie und Heimat abbilden.

Am 17.Juni will David Rojkowski am gleichen Ort über zeitgenössische polnische und deutsche Fotografie und Kriegsberichterstattung während des Warschauer Aufstands von 1944 berichten.


* Der Autor ist freier Journalist für Göttinger Lokalzeitungen und linke Zeitungen.

Dauerausstellung «Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit», Godehardstr.11, Göttingen. Der Eintritt ist frei. Spenden sind erwünscht (http://zwangsarbeit-in-niedersachsen.eu).

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