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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2016
Gewerkschaftsrat beschließt Priorität für Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplung
dokumentiert

Ohne die Beschäftigten in der Energiewirtschaft ist ein Umsteuern in der Energiepolitik, das diesen Namen verdient, nicht machbar. Es ist deshalb von großer Bedeutung, was die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di dazu diskutiert und beschließt.

Dem letzten Bundeskongress von Ver.di (20.–26.September 2015) lag ein Leitantrag des Gewerkschaftsrats zur Energiepolitik vor, der auf nicht absehbare Zeit auf Braun- und Steinkohle setzt. In dem Leitantrag hieß es dazu: «Fossile Energieträger werden für die Übergangszeit als Brennstoff benötigt, um die Versorgungssicherheit mit Strom herzustellen.

Für die Umgestaltung hin zu einer CO2-armen Energieerzeugung werden, wie dargestellt, auch in den kommenden Jahrzehnten weiterhin flexibel einsetzbare Kraftwerke mit ihren hochqualifizierten Arbeitsplätzen benötigt, die möglichst hocheffizient Strom erzeugen können. Dazu gehören in der Bundesrepublik Deutschland die Braun- und Steinkohlekraftwerke, die zusammen zur Zeit die Hälfte der Stromerzeugung ausmachen, wo immer möglich, mit Kraft-Wärme-Kopplung.»

Dazu gab es einen Änderungsantrag, der forderte, den letzten Satz zu streichen und durch ein Bekenntnis zu Gaskraftwerken und Kraft-Wärme-Kopplung zu ersetzen. Der Änderungsantrag konnte aus Zeitgründen nicht mehr beraten werden.

Gegen den Leitantrag formierte sich nach dem Kongress verstärkt Widerstand. Ende Oktober starteten klimaaktive Ver.di-Mitglieder aus Norddeutschland und der Lausitzer Braunkohle-Tagebau-Region um Cottbus einen Offenen Brief an den Gewerkschaftsrat mit dem Titel «Klima Retten! Ver.di’s ‹Pro-Kohle-Kurs› endlich beenden!» In ihm wird der Gewerkschaftsrat aufgefordert, den Änderungsantrag zum Leitantrag, der dem Bundeskongress vorlag, zu beschließen und den umstrittenen Satz von der Braun- und Steinkohle als Übergangstechonologie zu streichen. Der Brief trägt inzwischen über 4500 Unterschriften von Ver.di-Mitgliedern (Stand: 21.3.).*

 

Der Offene Brief

In dem Offenen Brief heißt es:

«Die wesentlichen Forderungen des Änderungsantrags sind:

  1. Der Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Braunkohleverstromung ist schnellstmöglich zu vollziehen. Dieser Strukturwandel muss aktiv gestaltet werden und darf nicht zulasten der Arbeitnehmer gehen.
  2. Die Erschließung neuer Tagebaue muss unterbleiben, bereits bestehende Tagebaue sind auf den Prüfstand zu stellen.
  3. Flexiblen Gaskraftwerken ist Vorrang einzuräumen.

Dieser Änderungsantrag war auf dem vergangenen Ver.di-Bundeskongress im September 2015 in Leipzig auf der Tagesordnung, er wurde aber aus Zeitgründen nicht mehr behandelt.

Daher seid ihr als höchstes Beschlussgremium zwischen den Bundeskongressen beauftragt, unseren Änderungsantrag auf einer der nächsten Tagungen des Gewerkschaftsrats zu behandeln… Mit Blick auf das in diesen Wochen auf Bundesebene laufende Gesetzgebungsverfahren zu den besonders schädlichen Kohlekraftwerken ist ein klimafreundliches Signal unserer Gewerkschaft dringend erforderlich.

Nach Paris müssen Taten folgen! Das Klima wartet nicht! […]

Warum ist das wichtig?

Wir sind die letzte Generation, die einen katastrophalen Klimawandel noch aufhalten kann!

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di positioniert sich seit mehr als einem Jahr eindeutig gegen den Kohleausstieg. Damit verhindert er eine klimafreundliche Politik unserer Gewerkschaft. Seit Ostern 2015 bekämpft Frank Bsirske öffentlich die von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geplante Klimaabgabe für alte Kohlemeiler. Er setzt sich insbesondere für den Erhalt des Braunkohletagebaus ein.

Als Reaktion unterstützen namhafte, oft gewerkschaftsnahe Professoren von Energie-, über Wirtschaftswissenschaft bis Sozialökonomie die Pläne von Sigmar Gabriel, ebenso 80 große und kleine Stadtwerke. Zahlreiche entsetzte Ver.di-Mitglieder wenden sich persönlich an den ‹lieben Kollegen Frank›. Eine der Protestmails bringt es in einer Campact/WeAct-Aktion des Kollegen Hendrik Huyskens auf immerhin gut 11000 Unterschriften von Ver.di-Mitgliedern.

Aber Frank Bsirske darf gegen den Klimaschutz arbeiten. Er steht tatsächlich in Übereinstimmung mit der Ver.di-Beschlusslage, nachzulesen in der Dokumentation der Beschlüsse vom Bundeskongress 2011. Dort, unter H001, findet sich zwischen viel Positivem zum Klimaschutz auf Seite 448 ein klares Bekenntnis zur Kohle, und zwar unbefristet auf Jahrzehnte. […]

Wir meinen, ein Bekenntnis zur Kohle auf Jahrzehnte – also ohne Befristung – geht auch für eine Gewerkschaft im Jahre 2016 nicht mehr. Für das Festhalten an der Kohle gibt es in Deutschland keine Mehrheit mehr, schon gar nicht für Braun- und Steinkohlekraftwerke auf Jahrzehnte. Die Alternativen sind da und bieten zukunftsfähige Arbeitsplätze, ohne die Lebensgrundlagen für uns alle zu gefährden. […]

Kohlekraftwerke tragen besonders stark zum Klimawandel bei. Sie sind ersetzbar. Also handeln. Ohne dies kann Deutschland seine Verpflichtungen zum Klimaschutz nicht erfüllen.»

 

Der Beschluss, den der Gewerkschaftsrat im März verabschiedet hat, verweist nun deutlicher als bisher auf die Bedeutung der Energiewende und schreibt den fossilen Energieträgern eine Übergangs- und Vorhaltefunktion zu. Dem Betrieb von modernen Gaskraftwerken und der Kraft-Wärme Kopplung wird eindeutig Priorität eingeräumt. Dem Ausstieg aus der Braunkohleförderung wird allerdings keine zeitliche Frist gesetztund auch die Forderung, keine neuen Tagebaue zu erschließen, hat der Gewerkschaftsrat nicht übernommen.

 

*https://weact.campact.de/petitions/klima-retten-ver-di-s-pro-kohle-kurs- endlich-beenden.

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