von Angela Klein
Kein Zweifel. Die Massenflucht der letzten Monate nach Europa hat die Linke kalt erwischt, während Rechte und Rechtsextreme darin ihre Chance gesehen haben, das politische Klima in Deutschland massiv nach rechts zu drücken: die Bundeskanzlerin hat die angeblich verpönten «Obergrenzen» durch die Hintertür der Türkei nun doch eingeführt, der kühne Satz «Wir schaffen das», der zu einem regelrechten Aufbruch in einem Teil der Bevölkerung geführt hatte, wurde schrittweise ersetzt durch die Einschränkung «Wir schaffen das nicht ohne die Türkei und die EU». Gab es im Sommer Elan und Zuversicht, wurde im Herbst der Ängstlichkeit und dem engstirnigen Schauen auf den vermeintlichen eigenen Vorteil der Weg geebnet. Merkel hält nur noch in der Phrase Abstand zu Seehofer, aber dafür hat sie die Schleusen nach rechts weit geöffnet und einer rechtsextremen Partei erlaubt, sich als Ansprechpartner aller Chauvinisten zu etablieren. Das kann sie teuer zu stehen kommen.
Kein Zweifel. Solange die Fluchtbewegung alle anderen Fragen überlagert (und daran haben auch die Medien einen Anteil), solange hat die AfD leichtes Spiel, die Flüchtlinge zum Sündenbock zu machen. Ohne die Flüchtlingsdebatte wären die Werte für die AfD bei den letzten Landtagswahlen nicht so hochgeschnellt. «Dieser Diskurs muss sich ändern», meint der AfD-Kenner Andreas Kemper, «erst dann kann der AfD das Wasser abgegraben werden. Die Flüchtlingsfrage ist aber ganz zentral eine Verteilungsfrage, die sich auch unabhängig von den Flüchtlingen stellt.»
Das ist leichter gesagt als getan. Aus zwei Gründen:
– Erstens tauchen die Flüchtlinge die vielfachen sozialen Defizite in diesem Land in ein neues, grelles Licht: Auf einmal wird bewusst, dass es mit der Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht so weiter gehen kann, wenn es nicht zu groben gesellschaftlichen Verwerfungen kommen soll. Wie aber sollen Probleme, die wir seit Jahrzehnten vor uns herschieben, leichter zu lösen sein, wenn sie von einer Personengruppe aufgeworfen werden, die als zusätzliche Konkurrenz wahrgenommen wird?
– Zweitens haben Fluchtbewegungen ihre Ursache in der kapitalistischen Globalisierung und den sozialen, militärischen und ökologischen Verwerfungen, die daraus folgen. Nicht alle diese Probleme sind im nationalen Maßstab zu lösen, eine Globalisierung der Kämpfe, von unten, ist aber höchstens in Ansätzen erkennbar.
Man könnte vor der schieren Größe der Herausforderung in Resignation verfallen – wäre da nicht die Helfebewegung, die vormacht, wie man aus der Schockstarre herauskommt: durch Tun, und zwar das Nächstliegende: Helfen. Weil es die Menschlichkeit gebietet. Punkt.
Natürlich stößt diese Bewegung an Grenzen: weil die Nachbarn die Schotten dicht machen, weil nicht genügend Geld und Personal da ist, weil die öffentliche Verwaltung ihre Kapazitäten in den vergangenen Jahren, wo der «schlanke Staat» Dogma war, zusammengestrichen hat, «bis es quietscht». Doch diese Grenzen verweisen nur auf, dass die Bewegung politischer werden muss. Was dafür der nächste Schritt sein kann, soll auf einem «Gegengipfel» im Juni in Leipzig besprochen werden. Die Einladung dazu (siehe S.21) verspricht, dass dort tatsächlich der Versuch unternommen werden soll, den nächsten Schritt ausgehend von den konkreten Problemen zu formulieren, mit denen die Helferbewegung konfrontiert ist – und nicht ausgehend von Utopien, die Linke in die Flüchtlingsbewegung hineinfantasieren. Wenn das gelingt, könnte die Linke vielleicht in die Lage kommen, nicht nur Gleichgesinnte anzusprechen, sondern die große Zahl derer, die zunächst nur helfen wollen, aber genau durch diesen Impuls in Konfrontation zur herrschenden Politik und zu den Rattenfängern der AfD geraten.
Zum «Hineinfantasieren» nur ein Beispiel: In einer Erklärung zur «neu gestellten sozialen Frage» vom Januar dieses Jahres lobt die Interventionistische Linke (IL) die Bewegung der Flüchtenden zu einer Kraft hoch, die «Bewegungsfreiheit praktisch über Nacht zu einem hunderttausendfach angeeigneten Recht gemacht [hat]. Sie hat buchstäblich die Grenzen überwunden und damit zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres gezeigt: Es ist möglich, Kräfteverhältnisse in Europa in Frage zu stellen. Bewegungen [wie diese] ... schaffen neue Möglichkeiten des politischen Eingreifens gegen das autoritären Korsett deutsch-europäischer Austeritäts- und Migrationspolitik. Und sie führen vor Augen, dass auch hoch verdichtete Macht- und Gewaltstrukturen wie das europäische Grenzregime innerhalb kürzester Zeit ins Wanken gebracht werden können.»
Man reibt sich die Augen und fühlt sich in die 80er Jahre zurückversetzt, als Linke die Arbeitsmigranten zum neuen revolutionären Subjekt erklärten – damals noch mit mehr Recht, weil diese zum großen Teil auch als politische Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa kamen. Solche Passagen sind eine grandiose Verkennung der Tatsache, dass die Flüchtlinge das schwächste Glied in der Kette sind und ihr ganzes Trachten nicht darauf gerichtet ist, Baustein in einem weltrevolutionären Prozess zu sein, sondern in diesem bürgerlich-selbstzufriedenen Deutschland anzukommen. Von ihnen kann man nicht verlangen, dass sie den Kampf gegen die ungleiche Verteilung der Ressourcen in Deutschland aufnehmen. Nur eine ganz geringe Zahl unter ihnen ist in der Lage, sich hier politisch zu artikulieren.
Zu Recht betont die Erklärung, es «wäre ein Fehler, wenn wir uns jetzt auf einen hauptsächlich antirassistischen und antifaschistischen Abwehrkampf beschränken würden» – wie es etwa Marx 21 in ihrer letzten Ausgabe vorschlägt, die dem neuen Zulauf der AfD dadurch begegnen will, dass Linke ihr «durch massenhaften zivilen Ungehorsam das Rederecht entziehen und ihre Versammlungen verhindern». Das wäre die xte Auflage der bisher verfolgten Strategie «Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft.» Man kann nicht behaupten, sie wären dadurch weniger geworden.
Nein, die Aufgabe besteht darin, die verunsicherte «Mitte der Gesellschaft» zu erreichen, die sich jetzt von der AfD angesprochen fühlt. Aus eigener Kraft ist die Linke dazu zu schwach. Die Helferbewegung aber bietet ihr die Chance, Kräfte anzusprechen und Bündnisse zu schmieden, die den bisherigen Einflussbereich der Linken erweitern – nicht um eine neue Nische in Form einer «europäischen Kommune» aufzubauen, sondern um dem erstarkten Rechtsextremismus hierzulande Paroli zu bieten.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.