Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2016
Mit Herz und Verstand Aufrührer
von Violetta Bock

Vom 1. bis 3.April fand in Chicago eine Konferenz von Basisgewerkschaftern vor allem aus den USA statt. Auch eine kleine dreiköpfige Delegation aus Deutschland fand ihren Weg dorthin.

«Und wie geht es euch? Sind hier Troublemaker (Unruhestifter, Aufrührer) im Raum?» Eine Woge der Begeisterung geht durch die Menge. Von der Bühne treten die Sprecher in Dialog mit den Zuhörerinnen und Zuhörern, die lebhaft reagieren. Anlass ist nicht ein Konzert – auch wenn die häufigen standing ovations das vermuten lassen könnten. Aufgestanden wird, als eine Krankenschwester von ihrem Arbeitskampf berichtet, als ein Erdbeerpflücker erzählt, wie sie trotz Polizeirepression Widerstand gegen die erbärmlichen Arbeitsbedingungen in Mexiko leisten, als eine Lehrerin aus Los Angeles schildert, wie sie ihre lokale Gewerkschaft umgekrempelt haben. Es ist ein Ort von Gleichgesinnten, die täglich an ihren Orten Gewerkschaft von unten aufbauen und sich gegen Missstände wehren, angetrieben von dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und einer anderen Gesellschaft.

Hintergrund
Labor Notes wurde 1979 mit dem Ziel gegründet, die Arbeiterbewegung wieder in Bewegung zu setzen. Auf zuerst nur monatliche Magazine folgte bald die Veröffentlichung ganzer Bücher und die Organisierung von lokalen Konferenzen. Labor Notes versteht sich als Netzwerk von Aktiven über Gewerkschafts- und Branchengrenzen hinweg. Sie setzen sich ein für progressive Gewerkschaftsarbeit, aggressive Strategien gegen Zugeständnisse, Bündnisarbeit mit Nachbarschaftszentren, und Gewerkschaften, die von ihren Mitgliedern geführt werden. Darin liegt für die Organisatoren der Schlüssel zur Rettung der Arbeiterbewegung vor ihren Gegnern.

Seit den 2000ern werden Troublemakers Schools durchgeführt, das sind lokale Minikonferenzen für Unruhestifter. Troublemaker ist das Schimpfwort, mit dem das Management kämpferische Gewerkschafter bezeichnet. Labor Notes hat den Begriff umgedreht, und ruft dazu auf, es mit Stolz zu tragen. Es findet sich auf Buchtiteln, T-Shirts, Mützen und Tassen wieder, und die sind auf der Konferenz heiß begehrt.

Auch wenn Mark Brenner, einer der wenigen Hauptamtlichen, im Eingangspanel darauf hinweist, dass die Arbeiterbewegung sich in der Defensive befindet und mit vielen Niederlagen konfrontiert ist, beobachtet er dennoch ein neues Aufbäumen. Mit 2000 vor allem Basisaktiven ist dies die bisher größte Labor-Notes-Konferenz.

Bereits in einem der ersten Workshops: «Geheimnisse eines erfolgreichen Organizers», wird deutlich, an wen sie sich zu allererst richtet. In Paaren stellt man sich kurz vor mit den Fragen: «In welchem Betrieb arbeitest du? Was willst du dort ändern?» Und es wird deutlich, aus welchem Interesse die Menschen kommen. Ich treffe zuerst auf zwei Afroamerikanerinnen im mittleren Alter. Ihre Antwort kommt direkt: «Wir brauchen eine Krankenversicherung und einen Lohn, der zum Leben reicht.» Die eine arbeitet in einem Diner, die andere im Transportwesen. Sie sind gemeinsam zur Konferenz gekommen, weil sie sich hier Antworten darauf erhoffen, wie sie bei sich einen Vertrag abschließen können.

Die Mischung macht’s
Die erste große Herausforderung für die Teilnehmenden liegt in der Auswahl aus den mehr als 150 Workshops. Ein Grund für die steigende Beliebtheit von Labor Notes liegt mit Sicherheit in deren Zusammensetzung. Es gibt Workshops, die ganz praktische Fähigkeiten vermitteln – etwa das Schreiben eines Flugblatts oder Unternehmensrecherche; in denen Aktive von ihren Kämpfen berichten und diese auswerten (von ersten Schritten über Streiks bis zu Besetzungen); in denen der strategische Aufbau von Betriebsgruppen und typischen Problemen (z.B. die Überwindung von Apathie unter Kolleginnen) geschult wird; über Kampagnen informiert wird (z.B. für einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde oder gegen TTIP); Sachwissen zu Verhandlungsführung oder über die Geschichte der Arbeiterbewegung vermittelt wird. Es gibt Branchentreffen, die Raum für die Vernetzung bieten, aber auch Experten etwa in Arbeitsrecht, die für konkrete Einzelberatung zur Verfügung stehen. Und vereinzelt stößt man auch auf Workshops zu politischen Themen, wie etwa zur Kampagne für Bernie Sanders oder über Sozialismus.

Neben der inhaltlich breiten Palette begeistert die Zusammensetzung der Podien und Teilnehmenden und führt zu fruchtbaren Diskussionen. Mit Selbstverständlichkeit sind Ansprüche an Diversity und Geschlechterzusammensetzung erfüllt und verschiedenste Altersgruppen und Branchen vertreten – vom höchstproduktiven industriellen Sektor über den öffentlichen Dienst bis hin zu den prekärsten Bereichen in privaten multinationalen Konzernen: Es treffen Stahl- und Transportarbeiter auf Lehrerinnen oder auch Beschäftigte bei McDonald’s.

In vielen Reden wird deutlich, wie Menschen in den verschiedenen Kämpfen gewachsen sind, wie sie zuerst noch Angst und noch nie etwas von Gewerkschaft gehört hatten und sich nach und nach zu führenden Figuren in Arbeitskämpfen entwickelten und andere dabei begleiten. Neben seit Jahrzehnten aktiven Gewerkschaftern kommen auch viele, die noch ganz neu in der Bewegung sind und die sich auf ihren ersten Arbeitskampf vorbereiten. Sie alle kommen zusammen und sie eint, dass sie für ihre Arbeitgeber ungemütlich sind und an kollektive Organisierung glauben.

Besonderheiten
Es fällt auf, dass als Grundton nicht die Klage erklingt, etwa über die eigene Gewerkschaft oder über uninteressierte Kollegen, sondern viele daran ansetzen, wie man selbst Problemen begegnen kann, wie man Kolleginnen und Kollegen durch Einzelgespräche und niedrigschwellige Aktionen motivieren kann. Aber auch wie es gelingt, sich die lokalen Gewerkschaftsgliederungen zu eigen zu machen. Oft wird dies mit strategischen Plänen verfolgt. Zentral dabei immer wieder: Bildung, Schulung, Training. Zu beachten ist an diesem Punkt, dass das Gewerkschaftssystem in den USA gänzlich anders aufgebaut ist als hierzulande. Es gibt unzählige kleine Gewerkschaften, die sich erst durch Mehrheitswahl auf Betriebsebene Anerkennung verschaffen müssen.

Angenehm und nicht selbstverständlich ist auch, dass verschiedenste politische Gruppen zwar antreten, weil sie hier gleichsam auf die Perlen der Arbeiterbewegung stoßen, aber keine dominiert oder die Konferenz für sich vereinnahmen kann. Labor Notes wird durch die Breite der Bewegung finanziert. Es gibt Dauerförderer, Merchandisewaren, und die Konferenz selbst wird am Samstagabend zu einer großen Spendengala, auf der bei Bankett und Reden auch offensiv die Umschläge für Spenden auf dem Tisch liegen und ein im Laufe des Tages gedrehter Film gezeigt wird. Teilnehmende, die größere Beträge gespendet haben, werden interviewt. Sehr offensiv wird nach weiteren geworben.

Dies ist vielleicht einer der gewöhnungsbedürftigsten Momente. Daraus resultiert aber die Stärke von Labor Notes. Sie liegt in der Aufrichtigkeit, die Raum für alle bietet und sich nur an dem gewerkschaftlichen Ansatz orientiert, unabhängig von einer Partei oder einer Gruppe. Dabei ist sie zeitgemäß, verschiedene Generationen sind vertreten, und abseits linker Klassenkampfrhetorik und -symbolik hat sich hier die Zwille als Symbol für den Troublemaker beliebt gemacht. Diese drei Tage erzeugen ein Klima der Konzentration, Gemeinsamkeit, des Lernens und Feierns, bevor alle wieder ausströmen in die verschiedenen Himmelrichtungen, bepackt mit neuen Erfahrungen und bereit, sie bei sich vor Ort einzusetzen.

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