Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2016
Schmierentheater Vorstandsbezüge
von Stephan Krull*

Dem Vorstand von VW fehlt das Gespür für den Ernst der Lage, er sorgt sich um seine Millionen-Boni statt um Arbeitsplätze. Den Protest der Öffentlichkeit konnte der Aufsichtsrat jedoch nicht ignorieren. Dem Vernehmen nach müsse jetzt «angesichts der aktuellen Lage des Unternehmens ein Zeichen auch bei den Vorstandsvergütungen gesetzt werden», berichtete die Agentur Reuters.

Es drängt sich der Verdacht auf, die Einigung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand habe auch noch einen anderen Hintergrund: Wenn der Vorstand auf Teile der Boni und damit auf Millionen verzichtet, können Arbeiter und Ingenieure doch wohl mal auf ein paar hundert Euro verzichten – das ist die Botschaft dieses Schmierentheaters.

Dieser Klamauk lenkt von den eigentlichen Skandalen ab:

– Die Extraprofite aus dem Abgasbetrug wurden von den Großaktionären Porsche-Piëch-Clan und den Scheichs von Qatar längst privatisiert, sie müssen für die Schadensregulierung herangezogen werden.

– Die Nichtaufklärung des Betrugs durch Volkswagen führt zu zusätzlichen Anklagen und Absatzrückgängen. Leugnen, verharmlosen und vertuschen lautet die Maxime der Leute von Piëch.

– Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Betrug und Steuerhinterziehung betreffen 17 Angestellte, jedoch kein Vorstandsmitglied. Zwar wird «in alle Richtungen» ermittelt, aber nicht gegen Ferdinand Piëch, der Vorstandsvorsitzender und später Aufsichtsratsvorsitzender war und als Hauptaktionär auch Hauptprofiteur ist.

– Der Vorstand von Piëchs Gnaden hat Volkswagen gegen die Wand gefahren, ist tief in den Abgasbetrug verstrickt, Teil des Problems und gehört gefeuert, nicht gefeiert!

– Der Vorstand hat keinen Plan, wie Volkswagen aus der Krise kommen kann, setzt weiter auf Sieg im Krieg der Konzerne.

– Die niedersächsische Landesregierung hat zusammen mit den Vertretern der IG Metall und des Betriebsrats eine Mehrheit im Aufsichtsrat, schweigt aber seit Monaten zum Abgasbetrug und hat keine Idee, wie die Krise nachhaltig überwunden werden kann.

– Die Gier nach Maximalprofiten ist mit der Einhaltung von Regeln für Umwelt und Sozialstandards unvereinbar.

Den letzten Punkt, die Unvereinbarkeit von maximalem Profit und geringsten Kosten bei der Einhaltung der Grenzwerte für Luftverschmutzung, belegt eindrücklich die Aussage beteiligter Ingenieure vom Oktober 2015: Sie hätten keine andere Lösung gewusst, um bei einem neuen Motor sowohl die Abgaswerte als auch die finanziellen Vorgaben des Vorstands einzuhalten (Huffington Post, 4.10.2015).

Die Landesregierung
Am 13.April äußerte sich Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil, zugleich Ministerpräsident von Niedersachsen, in einer Regierungserklärung – um nichts zu sagen! Er beschränkte sich darauf, die drohenden Worte des Vorstandschefs zu zitieren, der Gürtel müsse enger geschnallt werden – nachdem er und seine Vorstandskollegen im vergangenen Jahr zusammen 65 Mio. Euro kassiert haben, allein der wegen des Abgasbetrugs geschasste ehemalige Vorstandschef Winterkorn 16 Mio., der Piëch-Mann Pötsch bei seinem Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat mal eben 10 Mio. zusätzlich.

Ansonsten äußerten Weil und Wirtschaftsminister Lies ihr Bedauern darüber, dass sie nichts sagen dürften, das Aktienrecht verpflichte sie zur Geheimhaltung, «zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen». Kein Wort zu der falschen Strategie, mit immer mehr, immer größeren, schwereren, autonom fahrenden und teureren Autos maximale Profite zu realisieren; kein Wort zur Fabrikschließung in Dresden und dem Ende der hochgelobten CargoTram. Kein Wort zu Steuerausfällen der Kommunen mit Standorten von Volkswagen bis zu 70%. Kein Wort zu den fast unüberschaubaren und existenzbedrohenden Belastungen, die aus dem Abgasbetrug durch Strafzahlungen, Steuernachzahlungen, Anwaltskosten, Reparaturkosten und Kundenentschädigungen entstanden sind. Diese Belastungen liegen im zweistelligen Milliardenbereich, inzwischen wurde der turnusmäßige Geschäftsbericht für das 1.Quartal 2016 auf Ende Mai vertagt.

Eigentlich zu erwartende, klare Worte zu diesen Belastungen hätten zu der eindeutigen Position führen müssen: Dieser Vorstand verdient keinen Bonus, sondern gehört gefeuert! Nach einem Spitzengespräch am 11.April erklärte Weil jedoch unverbindlich: «Dem Land Niedersachsen geht es um eine nachhaltige Stärkung der Marke Volkswagen und ihrer weltweiten Standorte. Als Aktionär haben wir eine Verantwortung, die über Niedersachsen hinausgeht und die wir mit großem Engagement verfolgen.»

Das (Selbst-)Verständnis von VW kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Tochter Lion Air Service mit einer Unternehmensflotte von acht Jets, die in Braunschweig stationiert sind, auf den Cayman Islands im «Ugland House» mit anderen Briefkastenfirmen registriert ist. Das ist nach den Panama-Papers mehr als pikant. Die Begründung, die zum britischen Empire gehörende Inselgruppe, bekannt als Geldwäschezentrum, überzeuge durch «schnelle und unbürokratische Dienstleistungen im Bereich der Geschäftsfliegerei», entlockt selbst schlichten Gemütern ein Schmunzeln. Auch dazu hat sich der Ministerpräsident unter Missachtung seines Amtseids nicht geäußert.

Haltung des Betriebsrats
Die Haltung des Betriebsrats in der Bonusfrage ist nicht eindeutig, das lässt für die Beschäftigten nichts Gutes erwarten. «Derzeit, das ist die gute Nachricht, gibt es noch keine Konsequenzen für Arbeitsplätze», sagte der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh vor einem halben Jahr auf einer Betriebsversammlung, bei der er die Beschäftigten gleichzeitig auf Einschnitte einstimmte. Inzwischen wurde der Abbau von über 1500 Leiharbeitsplätzen angekündigt.

Schlimmeres ist noch zu befürchten, wenn – rein sprachlich – aus einem tariflichen Anspruch auf eine Ergebnisbeteiligung eine «Anerkennungsprämie» wird. Im Jahr 2015 betrug der Anspruch auf diese Beteiligung 5900 Euro je Beschäftigten. Es handelt sich dabei u.a. um das ehemalige Weihnachtsgeld und die ehemalige Jahressonderzahlung bzw. das 13.Monatseinkommen, die als solche aus dem Tarifvertrag gestrichen und als vom Unternehmensgewinn abhängiger «Erfolgsbonus» neu in den Tarifvertrag geschrieben wurden. Im Brief des Betriebsrats an die Belegschaft vom 7.April heißt es bedrohlich: «Für die Sicherheit und Zukunftsfähigkeit unserer Arbeitsplätze waren wir als Belegschaft schon immer bereit, unseren Beitrag zu bringen.»

Aufhorchen lies, als der Betriebsrat eine neue, nachhaltige Unternehmensstrategie und einen Strategiewechsel forderte: In dem Brief an die Belegschaft konstatiert er, dass «wir» durch den Dieselskandal und «Herausforderungen wie Elektromobilität, Digitalisierung und dem Wandel des Unternehmens zum Mobilitätsdienstleister in einem historischen Umbruch stecken». Die Arbeitnehmervertreter und die Vertreter der Landesregierung im Aufsichtsrat könnten diesen Wandel des Unternehmens wirksam einfordern und beschleunigen. Es ist unverantwortlich, dass die Landesregierung als zweitgrößter, öffentlicher Anteilseigner dazu schweigt und keine eigenen Vorstellungen entwickelt!

Stammbelegschaft schonen?
Dem Wunsch des Betriebsrats wurde nun in einer Weise entsprochen, die keinen Strategiewechsel beinhaltet: Der Konzernvorstand will dem Aufruf des Betriebsrats zu Gesprächen über einen Zukunftspakt bei der Marke Volkswagen – nicht bei den anderen Marken – folgen; dabei sollen in der Planungsrunde 2016 für die deutschen Volkswagen-Werke verbindliche Standortsicherungspakte vereinbart werden. «Ich begrüße die Vereinbarung. Sie wird zur Stärkung der Marke Volkswagen beitragen», erklärte Markenchef Diess dazu.

Wie ambivalent die Haltung des Betriebsrats ist, wird deutlich, wenn der Vorsitzende daran erinnert, die Belegschaft habe bereits 2006 eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich akzeptiert, «um die Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zu unseren Wettbewerbern voll herzustellen». Vieles deutet darauf hin, dass es sich hier um die Ouvertüre zu weiterem Personalbau und Werksschließungen an Standorten zunächst außerhalb Deutschlands, womöglich in Mexiko, handelt.

Angesichts der Tatsache, dass Tausende Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigte geringer entlohnt werden und viele jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, stellt sich die Frage, ob gewerkschaftliche Solidarität nicht andere Maßnahmen benötigt als Appelle an den Vorstand und an die Politik, oder ob Gewerkschaft und Belegschaft sich in einem gut organisierten Betrieb mit ungleichen Bezahlungen und Arbeitsbedingungen abfinden wollen.

Der Betriebsrat der VW-Tochter Porsche hat ein schlechtes Beispiel gesetzt: Die Stammbelegschaft bei Porsche wird mit fast 9000 Euro je Beschäftigten ruhiggestellt und der Betriebsratsvorsitzende sagt, es könne nicht sein, dass Porsche-Beschäftigte «weniger Sonderzahlung bekommen sollen, nur weil einige in Wolfsburg Dummheiten gemacht haben», so Uwe Hück. Das ist der gleiche Betriebsrat, der dafür plädiert, Werkverträge nicht per Gesetz zu regeln und damit das Veto von Seehofer gegen den Gesetzentwurf von Nahles über Werkverträge und Leiharbeit unterstützt.

Der Mann fürs Grobe, der «Experte» Prof. Bratzel, meint dazu: «Es wäre schwierig, müssten die Porsche-Beschäftigten wegen VW in die Röhre schauen – das würde Animositäten schüren.» Animositäten, um es mal harmlos auszudrücken, gibt es im ganzen Land wegen schreiender sozialer Ungerechtigkeiten. Leiharbeiter übernehmen und gleiches Geld für gleiche Arbeit: Das wären die Zeichen, die von Betriebsräten und Gewerkschaften nun zu erwarten wären, zumal die Leiharbeiter und die Frauen mit dem pay gap zum großen Teil Gewerkschaftsmitglieder sind!

Neustart
Ein Neustart aus der Krise heraus ist möglich und notwendig, dafür sollten sich Linke und Gewerkschafter stark machen, dafür sollten die IG Metall und der Betriebsrat gewonnen werden. Bei einem Neustart es geht um ethische, gesellschaftliche, soziale, technische, ökologische, ökonomische und juristische Fragen. Dreh- und Angelpunkt müssen die begrenzten Ressourcen, die Senkung der Klimabelastung und die Bedürfnisse der Menschen nach intakter Umwelt und sinnvoller Mobilität sein: Volkswagen als Mobilitätsanbieter mit modernen, bequemen, flexiblen, sicheren, verbrauchsarmen, ökologisch-nachhaltigen Verkehrsmitteln für Personen und Güter auf der Straße und auf der Schiene. Solche Verkehrsmittel sind überwiegend öffentliches Eigentum, stehen allen zur Verfügung und sind den regionalen Bedingungen in Megacities wie in dünn besiedelten Regionen der Welt angepasst.

Ein solcher Paradigmenwechsel hätte weitreichende Konsequenzen für Produkte, Produktion und Produzenten, wäre also in einem längeren und beteiligungsorientierten Prozess durchzusetzen. Zu klären wäre dabei die fundamentale Frage der Verfügung über die Produktionsmittel, eine Enteignung entsprechend Art.14 Grundgesetz muss geprüft werden. Dafür ist VW mit seiner Geschichte und als teilöffentliches Unternehmen ein guter Ansatzpunkt für gesellschaftliche Debatten, in denen es um Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung geht.

Nie wieder Rüstung
Unabhängig davon ist eine Bereinigung der Produktpalette im VW-Konzern nötig und sinnvoll; bspw.MAN, eine Tochter von Volkswagen, produziert im Geschäftsbereich Turbo & Diesel nicht nur Schiffsmotoren, die Tochter Renk AG produziert hauptsächlich Rüstungsgüter; ebenso das Joint Venture Rheinmetall MAN Military Vehicles (militärische Radfahrzeuge) aus dem Geschäftsbereich Truck & Bus. Volkswagen sollte, seiner Geschichte gedenkend, nie wieder Kriegsgerät produzieren!

Überflüssig sind Lamborghini, Bugatti und Ducati – Luxusmarken und jeweils Zukäufe auf Befehl von Piëch. Schluss mit dem Größenwahn! Wenn der Abgasbetrug nicht zu einer Wende in der Produktpolitik und in der Jagd auf Maximalprofit führt, wenn sinnvolle gesellschaftliche Planung nicht durchgesetzt wird, steuert die Autoindustrie auf eine ökonomische, soziale und ökologische Katastrophe zu: In Detroit ist zu besichtigen, wie Städte nach dem Zusammenbruch zu Industriebrachen und sozialen Trümmerfeldern werden.

Diese Zusammenhänge zu erkennen, zu formulieren und zu diskutieren ist anspruchsvoller als verbale Solidarität mit den Beschäftigten und das Einfordern von Beschäftigungsgarantien. Es ist Aufgabe der gesellschaftlichen Linken, solche Forderungen zu entwickeln, in den Belegschaften und in Gewerkschaften zur Diskussion zu stellen und möglichst zum Durchbruch zu verhelfen.

So gewendet, birgt diese Krise auch Chancen. Es liegt an den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften, an der Linken, an der internationalen Solidarität und an globalen Klimaallianzen, ob diese Chancen genutzt werden. Die Alternative dazu wäre eine Marktbereinigung zulasten von vielen Städten und Gemeinden und von Hunderttausenden Beschäftigten. Landesregierung, IG Metall und Betriebsrat können gemeinsam die erforderliche Wende im Aufsichtsrat einleiten und durchsetzen!

Die öffentliche Debatte um die Vorstandsbezüge ist ein Schmierentheater, weil es nur darum geht, «ein Zeichen zu setzen», weil genau mit diesem Zeichen die tariflichen Zahlungen an die Beschäftigten reduziert werden. Es ist ein gravierender Unterschied, ob ein Multimillionär auf 30% Jahreseinkommen verzichtet, eine lohnabhängig Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verliert oder einem Angestellten die Jahressonderzahlung um die Hälfte gekürzt wird. Es sieht aber so aus, als wäre letzteres der verwerfliche Plan. Als Vertreter des Familien-Clans erklärte Wolfgang Porsche nach der jüngsten Aufsichtsratssitzung: «…begrüßen wir es ausdrücklich, dass in diesen herausfordernden Zeiten eine gemeinsame Initiative von Konzernvorstand und Betriebsrat die Fortentwicklung der Marke Volkswagen sicherstellen wird. Wir kennen und schätzen die Herren Müller und Osterloh als verantwortungsvolle Persönlichkeiten, denen es stets um das Wohl von Volkswagen geht. Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird, gute Lösungen für VW, seine Beschäftigten und die Aktionäre zu finden.»

* Stephan Krull war von 1990 bis 2006 Mitglied des VW-Betriebsrats in Wolfsburg und ist Autor von: Volksburg/Wolfswagen. 75 Jahre «Stadt des KdF-Wagen». Berlin: Ossietzky, 2013. 164 S., 14,95 Euro.

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