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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2016
Gabriels Novelle des EEG nimmt die Windenergie aufs Korn
von Klaus Meier

Deutschland muss bis zum Jahr 2035 komplett aus der Kohleverstromung ausgestiegen sein, wenn es die Klimaziele von Paris einhalten will. Doch die Bundesregierung tut das Gegenteil.

Viele Beobachter des Pariser Klimagipfels im Dezember 2015 haben den Beschluss, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu beschränken, fast euphorisch aufgenommen. Eine im April publizierte wissenschaftliche Veröffentlichung im Fachblatt Earth System Dynamics unterstreicht die Dringlichkeit dieser Festlegung. So werden schon bei einer mittleren Temperaturerhöhung von 2 °C Extremtemperaturen besonders in den Tropen zukünftig zum Normalzustand. Und das verfügbare Süßwasser in den Mittelmeerländern wird um fast 20% zurückgehen. Bei einer Temperaturerhöhungen von nur 1,5 °C würden diese und viele weitere Schäden deutlich geringer ausfallen.

Die 1,5-°C-Beschlüsse bleiben aber schöne Worte, wenn sie nicht auch umgesetzt werden. Deutschland als größte europäische Wirtschaftsmacht kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Nach dem 1,5-°C-Beschluss müssen die bisherigen gemächlichen deutschen Ausstiegsbeschlüsse aus der fossilen Energie noch einmal auf den Prüfstand gestellt und verschärft werden. Zu dieser Schlussfolgerung kommt jedenfalls der Kölner Klima-Thinktank New Climate, der im Auftrag von Greenpeace die Konsequenzen der Pariser Klimafestlegungen neu überrechnet hat. Danach muss Deutschland bereits 2035 komplett aus der Braun- und aus der Steinkohle ausgestiegen sein, wenn es das 1,5-°C-Ziel einhalten will.

Gabriels Rollback gegen die Windenergie
Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien müsste deutlich beschleunigt werden. Doch ein halbes Jahr nach den Pariser Beschlüssen zeigt die Bundesregierung nicht nur keinerlei Initiative, sondern es droht ein massives Rollback gegen die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen. Dazu liegt seit Mitte April der Öffentlichkeit ein Entwurf für eine Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vor. Federführend ist dabei das Wirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel. Sein vorgeschobenes Argument ist, es gebe für begrenzte Netze zu viel Ökostrom. In der Tagesschau tönte er: «Das eigentliche Problem ist, wenn wir uns berauschen an der Zahl des Zubaus und nicht sehen, dass wir die Netze nicht dafür haben, kann das für die Verbraucher sehr teuer werden.» Um dieses angebliche Problem zu lösen, plant die Bundesregierung eine Drosselung des Anteils der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch, der bis 2025 40–45% nicht überschreiten soll.

Dazu muss man wissen, dass 2015 die Erneuerbaren bereits 32,5% des Bruttostromverbrauchs erreicht haben. Für unvoreingenommene Beobachter stellt sich deshalb die Frage: Warum werden nicht die Kohlekraftwerke gedrosselt oder die noch laufenden Atomkraftwerke abgeschaltet? Dies gilt umso mehr, als dieselbe Bundesregierung in den vergangenen Jahren den massiven Ausbau der bestehenden Kohlekraftwerke befürwortet hat. So gab es im Jahr 2012 einen Zuwachs an Braunkohlekraftwerken von 5,1% und von Steinkohlekraftwerken von 3,1%. Erst letztes Jahr ließ die Regierung vier neue Kohlegroßkraftwerke in Hamburg, Mannheim und Wilhelmshaven ungehindert in Betrieb gehen. Man muss schon frechdreist sein und Sigmar Gabriel heißen, wenn man dafür jetzt den Ausbau der erneuerbaren Energien beschränken will – aber gleichzeitig die Pariser Klimaschutzbeschlüsse unterstützt hat.

Hauptangriffsziel der neuen EEG-Novelle ist die Windenergie. Neue Anlagen sollen ab 2017 einem Ausschreibungsverfahren unterworfen werden, in dem die Drosselung verankert werden soll. Mit einem damit verbundenen, komplizierten Verfahren wird es den 900 bestehenden Bürgerenergiegenossenschaften in Zukunft sehr schwer gemacht, sich noch an der Energiewende zu beteiligen. Es ist aber für die Akzeptanz der erneuerbaren Energien sehr bedeutsam, dass kleine Akteure, also z.B. örtliche Bauern und Anwohner, daran teilnehmen können und nicht nur Stromkonzerne aus Spanien oder Pensionsfonds aus den USA das Geschäft machen.

Solarenergie an die Wand gefahren
Es ist zu befürchten, dass Gabriel 2016 die Windenergie an die Wand fahren will, genauso wie er mit der EEG-Novelle von 2014 bereits die Solarenergieförderung in Deutschland zugrunde gerichtet hat. Die Förderung wurde damals so massiv reduziert, dass von 2013 bis 2014 der Zubau um 43% einbrach. Auch im letzten Jahr ging die Neuinstallation noch einmal um 23% gegenüber dem Vorjahr zurück. Die Verhinderungsstrategie gegen Solaranlagen geht so weit, dass Eigenheimbesitzern, die sich Solaranlagen für den Eigenverbrauch aufs Dach setzen wollen, sogar eine Strafsteuer aufgebürdet wird. Sie liegt dieses Jahr bei 35% der Förderumlage für eine Kilowattstunde.

Tatsächlich hat aber die Solarenergie auch in Deutschland ein großes Potenzial. Nach nur wenigen Förderjahren deckte sie 2015 bereits 7,5% des Nettostromverbrauchs. Und die Kosten für Solaranlagen sinken immer weiter; seit 2006 sind sie im Durchschnitt jedes Jahr um 14% gesunken. Für 2025 werden die Kosten für eine Kilowattstunde Solarstrom in Süd- und Mitteleuropa nach Untersuchungen des führenden Freiburger Solarforschungsinstituts ISE auf nur noch 4–6 Cent geschätzt, 2050 werden sie sogar bei nur noch 2–4 Cent je kWh liegen. Photovoltaikanlagen werden dann deutlich weniger kosten als die konventionellen Energieträger Kohle und Atom.

Laut einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) liegen die Erzeugerkosten der konventionellen Energien bereits jetzt nur deswegen niedriger, weil sie erheblich von staatlichen Subventionen profitieren. Würde man sie einrechnen, würde schon heute der Erzeugerpreis konventioneller Energien bei 10,2 Cent/kWh liegen, wobei noch nicht einmal die Endlagerkosten des Atommülls und die Schäden durch die globale Erwärmung eingerechnet sind. Zum Vergleich: eine Kilowattstunde Photovoltaikstrom einer kleineren Freiflächenanlage wird aktuell mit 8,53 Cent/kWh vergütet. Damit liegen die Kosten für Photovoltaik fast auf der Höhe von Strom aus Onshore-Windkraftanlagen. Zum Vergleich: das Atomkraftwerk Hinkley C, das 2025 in Großbritannien in Betrieb gehen soll, wird eine zugesicherte Einspeisevergütung von 12 Cent/kWh zzgl. Inflationsausgleich über eine zugesicherte Dauer von 35 Jahren erhalten…

Neben den immer weiter sinkenden Kosten haben Photovoltaikanlagen einen weiteren Vorteil: eine ausgesprochene Langlebigkeit. Hierzu liegen erst seit kurzem tragfähige Zahlen vor. Forscher des ISE hatten zunächst Schwierigkeiten, die zeitbedingte Degradation von Photovoltaikzellen zu erfassen, so gering war sie. Umfangreiche Messungen ergaben, dass sie pro Jahr nur 0,1% ihrer Stromerzeugungsfähigkeit verlieren. Damit sind Photovoltaik-Anlagen auf Jahrzehnte einsetzbar – weit über die 20 Jahre hinaus, die die EEG-Förderung dauert. Es wundert daher nicht, dass die deutsche Kohle- und Atomlobby in den Solaranlagen einen Hauptgegner ausgemacht hat und sie durch die ihnen geneigte Regierung zuallererst abwracken ließen.

TTIP – eine Bedrohung für den Klimaschutz
Auch das von der Bundesregierung gepuschte Freihandelsabkommen TTIP ist eine massive Bedrohung für den Klimaschutz. Regierungen, die nach einem möglichen Vertragsabschluss versuchen sollten, klimaschädliche Produkte oder Verfahren zu verbieten oder zu besteuern, drohen langwierige Verfahren und hohe Zahlungen an Investoren. Das bei TTIP vorgesehene Streitschlichtungsverfahren schafft, selbst wenn es bei einem «Handelsgerichtshof» angesiedelt wird, ein Instrument, um gegen Maßnahmen zur Reduktion von Klimagasen vorzugehen. Allein die Drohung mit solchen Verfahren könnte Regierungen dazu bewegen, mögliche Pläne zu verwässern oder gar nicht erst einzubringen.

Das ist genau das, was die TTIP-Befürworter erreichen wollen. Die bisher vorliegenden Erfahrungen mit Klagen von Investoren vor internationalen Schiedsgerichten sprechen eine deutliche Sprache. Insbesondere die kohlenstoffintensiven Branchen haben bereits gezeigt, dass sie den Klageweg massiv beschreiten. So reichte im Januar die Energiegesellschaft TransCanada eine Klage gegen das Nein von Präsident Obama zur geplanten Keystone XL Pipeline ein. Das Unternehmen fordert 15 Milliarden Dollar Entschädigung und nutzt das Schiedsverfahren nach dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA. Ein weiteres Beispiel ist die US-Firma Lone Pine, die gegen ein Moratorium für Erdgasförderung durch Fracking in Kanada klagt.

Eine deutliche Sprache spricht auch das Zustandekommen des bisherigen TTIP-Vertragsdokuments. Es wurde im geheimen mit Hilfe von Lobbyisten des US-Senats entworfen, in dem Leugner des Klimawandels eine Mehrheit haben. Ein Abschluss des TTIP-Vertrags könnte das Kräfteverhältnis für die Klimaschutzbewegung deutlich verschlechtern. SPD-Wirtschaftsminister Gabriel gehört zu den maßgeblichen Unterstützern von TTIP.

Vom Musterschüler zur Dreckschleuder
Um die Klimapolitik der Bundesregierung objektiv bewerten zu können, sollte man einen Blick auf die bisherige CO2-Bilanz werfen. Merkel und Gabriel hatten 2007 beschlossen, den Ausstoß deutscher Klimagase bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40% zu reduzieren. Tatsächlich wurde 2015 erst eine Verringerung von 27,2% erreicht. Damit sind wir noch sehr weit vom Ziel entfernt. Mehr noch: Der CO2-Ausstoß nahm in den letzten Jahren nicht mehr ab. Damit droht das Ziel des selbsternannten Klimamusterschülers Deutschland kläglich zu scheitern. Die SPD-Umweltministerin Hendricks sieht die Ursache dafür in der «anhaltend hohen Produktion von Kohlestrom». Und sie betont: «Ein schrittweiser Ausstieg aus der Kohleverstromung ist ohne Engpässe bei der Stromversorgung möglich.» Man reibt sich die Augen: Während ihr Parteichef Gabriel gerade dabei ist, die erneuerbaren Energien abzuwürgen, sieht seine Umweltministerin keine Probleme beim Kohleausstieg.

Leider hat die Bundesregierung außer schönen Worten zum Klimaschutz nichts zu bieten. Tatenlos schaute sie zu, wie Vattenfall im April das zweitgrößte deutsche Braunkohlegebiet in der Lausitz an einen Nachfolger, den tschechischen Energiekonzern EPH, verscherbelte. Das droht die Braunkohleverbrennung in der Region noch auf viele Jahre zu zementieren. Es geht dabei um drei Kohlekraftwerke sowie vier offene und zwei noch geschlossene, aber bereits von der Brandenburger «rot-roten» Regierung genehmigte Tagebaue. Die Lausitzer Braunkohleabbaugebiete haben ein erhebliches klimaschädigendes Potenzial, schon allein wegen der Pariser Klimabeschlüsse wären sie sofort zu schließen.

Der Kohlefilz
Der Unterschied zwischen den Worten und Taten der Bundesregierung ist frappierend. Es drängt sich die Frage auf: Was treibt die bürgerlichen Politiker, sich für die Energiekonzerne derart in die Bresche zu werfen? Zunächst muss man wissen, dass wegen der momentanen Stromüberproduktion die Strompreise gesunken sind. Viele konventionelle Kraftwerke werfen damit nur noch geringe Profite ab. Es reicht ein Blick auf die sinkenden Aktien, um zu wissen, dass sich die Kohlekonzerne E.on und RWE heute in einer höchst ungemütlichen Lage befinden. Dazu kommt die immer größere Kritik an der klimaschädlichen Kohleverbrennung.

Doch obwohl die Konzerne geschwächt sind, finden sie immer noch genügend Politiker, die ihnen zu Hilfe eilen. Eine besondere Rolle spielt hier die Ruhrgebiets-SPD, die mit den Kohlekonzernen verschwippt und verschwägert ist. So werden rund 25% der RWE-Aktien von SPD-regierten Kommunen gehalten. Damit verbunden sind viele schöne Posten. Die Oberbürgermeister von Dortmund und Essen sitzen bei RWE im Aufsichtsrat. Wenn RWE leidet, dann leidet die örtliche SPD gleich mit.

Auch die mit der Sozialdemokratie eng verbundene Gewerkschaftsbürokratie hat ein Interesse an der Fortsetzung der Kohleverstromung, insbesondere die Führung der IG BCE ist Fleisch vom Fleische der Energiekonzerne. Das erklärt, warum ihr Chef, Michael Vassiliadis, jüngst einen Vorschlag aus der Tasche zog, nach dem die Braunkohle weitere 25 Jahre als «Übergangstechnologie» genutzt werden soll. Diese Interessenlage macht begreiflich, warum die Bundesregierung und auch SPD-Wirtschaftsminister Gabriel der Kohleindustrie immer wieder zur Seite springen.

Gegen diese unheilige Kohleallianz hilft nur der weitere Aufbau der Klimaschutzbewegung. Die bisherigen Erfolge sind ermutigend. Bereits im letzten Jahr ist es gelungen, für das Klimacamp im Rheinland viele junge Menschen zu mobilisieren. In diesem Jahr sind es in der Lausitz noch erheblich mehr geworden. Die Chancen sehen gut aus.

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