von Tobias Michel
Ein Arbeitskampf kann die Menschen im Betrieb politisieren. Er muss es nicht. Routiniert führten die Spezialisten der Ver.di-Bundeszentrale und ihr Tarifpartner, der Verband kommunaler Arbeitgeber (VKA), ihre Tarifkommissionen am Nasenring zur Unterschrift. Die Streiktage im Vorfeld zeigten auch in diesem Jahr nicht nur, dass mit jedem Aktionstag die Beteiligung wächst. Sie zeigten auch die Grenzen, die ein auf die Inszenierung bunter Bilder für die Tagesschau zielender Arbeitskampf im öffentlichen Dienst überwinden muss.
In einem Arbeitskampf geht es darum, dem eigenen Arbeitgeber gezielt Schaden zuzufügen und den eigenen Willen aufzuzwingen. Vier Beispiele zeigen die Probleme:
– Am Donnerstag folgen die Müllwerker fast geschlossen dem Streikaufruf. Die Mülltonnen bleiben heute am Straßenrand. Das Wetter ist gut, die Streikdemo lebhaft. Der Arbeitgeber kürzt den Lohn um diesen Tag. Die Kollegen bleiben gut gelaunt. Sie erhalten von ihrer Gewerkschaft ja ein Streikgeld, welches den Verlust komplett auffängt. Am Samstag stimmt ihr Betriebsrat einer Sonderschicht zu. Sie leeren nun die Tonnen und erhalten vom Arbeitgeber einen zusätzlichen Tageslohn. Der Schaden: Null. Die Streikkasse: leerer.
– Am selben Donnerstag streiken auch die Kolleginnen der Kindergärten und aus dem öffentlichen Nahverkehr. Ärgerlich für die Eltern und all jene, die eine Monatskarte für den Bus haben. Die Arbeitgeber haben keine Einnahmeverluste, doch sie sparen für diesen Tag den Lohn. Die Streikkasse: leerer.
– Alarmstimmung am Flughafen. Die Tafeln zeigen gecancelte Flüge. Wir lesen von Millionenschäden. Tatsächlich streiken nicht etwa alle, sondern im zergliederten Flughafenbetrieb sind nur einige der Gewerke vom umstrittenen Tarifvertrag betroffen. Das macht für Streikbruch verletzlich.
– Die zunehmend privatwirtschaftlich geführten Krankenhäuser haben ihren Ausnahmestatus verloren. Seit etwa 15 Jahren wachsen hier die Streikerfahrungen. Was als «aktive Mittagspause» begann, breitet sich auf den gesamten Betrieb aus. Notvereinbarungen sollen Schäden für Patienten abzuwenden. Wenn von jeder Station je Schicht ein oder zwei Kolleginnen vor das Haus ziehen, bleiben stets genug zurück, um recht und schlecht den Betrieb aufrechtzuerhalten. Schaden entsteht der Klinik erst, wenn zugleich mehrere OP-Säle stillgelegt werden. Oder wenn im Vorfeld des Streiktags ganze Stationen leergezogen werden.
Die Sozialpartnerschaft wird im öffentlichen Dienst weiter Zug um Zug demontiert. So muss die Gewerkschaft zu stimmigen Streikformen finden. Kann sie in ihren Reihen den Willen zum gezielten Schaden herstellen? Neue Kampfformen sind zu erproben: Schwerpunktstreiks, «aktive» Streiks unter Fortführung des Betriebs mit eigenen Regeln und Betriebsbesetzungen.
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