Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2016
... aber wie?
von Thies Gleiss

Wenige Tage nach den großen Wahlerfolgen der «Alternative für Deutschland» und anderer rechter Parteien bei den Landtagswahlen im März 2016 wurde ein breiter Aktionsaufruf «Aufstehen gegen Rassismus» aus der Taufe gehoben (siehe Artikel: Breite Front gegen Rassisten von Jakob Schäfer auf dieser Seite). Eine der tragenden Initiatoren war die in der LINKEN arbeitende Gruppierung «Marx 21»; mittlerweile wird der Aufruf von zahlreichen, auch führenden, Sozialdemokraten, Grünen, Piraten, FDP-Leuten, Kirchenfunktionären, Gewerkschaftsführern und natürlich von Linken aller Art: von der Interventionistischen Linken bis zur Partei DIE LINKE getragen.

Breiter geht es kaum noch. Die Frage, die jetzt, teilweise mit kuriosen, kurzfristigen Positionswechseln, bei vielen Linken diskutiert wird, lautet: Kann ein solcher Aufruf etwas bewirken?

Natürlich kann er das, und das erste Treffen der Initiatoren und die konkreten Aktionsabsprachen vom 23.April beweisen es. Es ist wichtig, die Menschen aufzurütteln, dass die AfD eine präfaschistische Partei ist, dass sie nicht im Ansatz eine soziale Alternative zur Regierungspolitik ist; und wichtig ist vor allem die Mobilisierung eines massiven Schutzes für Flüchtlinge und ihre Unterkünfte. Ein klein wenig wird in diesem Sinne von dieser Initiative auch hängen bleiben. Das wäre im übrigen auch der Fall, wenn das ZDF in Zusammenarbeit mit der Bild-Zeitung weitere «Empört-euch-und-helft-den-Flüchtlingen»-Abende veranstalten würde. Dabei würde zudem wahrscheinlich noch viel Geld gesammelt, das auch der einen oder anderen Solidaritätsinitiative zukommen würde.

Es gab in der Vergangenheit schon mehrere solcher Aufrufe und Initiativen. Erinnert sei an das Kölner Projekt «Arsch huh», das mehrfach Hunderttausende zu Konzerten, Lesungen und Protestaktionen zusammengeführt hat und heute unter dem türkischen Namen «Birlikte» jährlich fortgesetzt wird. Deutlich unernster und erfolgloser war der «Aufstand der Anständigen» von Gerhard Schröder.

Es gab auch zu anderen Großthemen sehr breite Aufrufe – z.B. die Initiative «Umfairteilen» oder die Proteste gegen TTIP und CETA. Bei letzteren ist es erfreulicherweise gelungen, einen Spaltpilz in die für die TTIP-Verhandlungen verantwortlichen Regierungsparteien, allen voran die SPD, hineinzutragen. Beim «Umfairteilen»-Projekt ist das Gegenteil passiert: Es wurde erfolgreich zu einem Projekt umgebogen, das Kritik an der Regierung abblockt.

Es steht zu befürchten, dass der Initiative «Aufstehen gegen Rassismus» ein ähnliches Schicksal blüht. Nicht nur weil zuviel Breite leider auch viel Langeweile erzeugt, wo eigentlich Anecken, Provozieren, Blockieren angesagt ist, sondern vor allem deshalb, weil das Kartell der Parteien, die für die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl verantwortlich sind, aber zugleich das menschenfeindliche Kapitalprojekt Europäische Union wie auch die Militarisierung der Außen- und auch Innenpolitik unbeirrt fortsetzen, eine praktische Wirksamkeit des Bündnisses zu verhindern wissen wird.

Wir wünschen es nicht, aber wir sagen mal voraus, dass die linken Kräfte, die heute in dem Bündnis noch prägend mitwirken und, wie immer, den Löwenanteil der praktischen Arbeit machen, von den ideologischen Großbremsern bei SPD, Grüne und DGB schon bald an den Rand gedrängt werden. Man sollte nicht vergessen, dass in diesem Jahr noch wichtige Landtagswahlen und im kommenden Jahr Bundestagswahlen stattfinden. Die Parteizentralen in Berlin arbeiten fieberhaft daran, die tiefe Legitimationskrise, die ihnen seit Jahren bei Wahlen und anderswo zu schaffen macht, zu mindern. Sollte es ihnen gelingen – und das ist nicht unwahrscheinlich –, das breite antirassistische Bündnis in billige Wahlkampfhilfe für SPD und Grüne umzuwandeln, wäre das ein böses Ende einer gutgemeinten Initiative.

Das Bündnis «Aufstehen gegen Rassismus» hat darüber hinaus in und zwischen den verschiedenen «trotzkistischen» Strömungen noch eine spezielle Diskussion ausgelöst. Die Analogie zu den 20er Jahren, wo Altmeister Trotzki die mit Abstand besten Analysen des aufkommenden Faschismus lieferte und den Arbeiterparteien eine Einheitsfront von SPD bis zu ultralinken Gruppen vorschlug, ist auch zu verlockend. Gleichzeitig ist es sicherlich die größte Tragödie der deutschen Arbeiterbewegung, dass sowohl SPD als auch KPD diese Einheitsfront ablehnten.

Eine antifaschistische und antirassistische Einheitsfront ist heute ganz sicher ebenfalls erforderlich, einschließlich der SPD. Wir möchten allerdings darauf hinweisen, dass die SPD weit mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder und mehr als die Hälfte ihrer Wähler im Zuge von Agenda 2010, Asylrechtsabschaffung, Kriegspolitik usw. verloren hat. Im Gegensatz zu den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist der Haupttrend heute bei Millionen von Menschen weg von der SPD. Diese in jeder Hinsicht kluge und richtige Entscheidung, diese Bewusstseinsentwicklung bei den Menschen darf eine Linke nicht verprellen. Nicht wenige SPD-Abtrünnige docken bei der AfD an, weil alle linken Angebote ihnen nicht attraktiv genug erscheinen. Solche linken, auch partei- und wahlpolitischen, Angebote müssen nicht verwässert und verborgen, sondern verstärkt aufgebaut werden.

Praktisch bedeutet dies, dass die Zusammenarbeit mit der SPD und den Grünen nur konkret in den Städten und Dörfern und in praktischen Aktionen stattfinden sollte – wie bisher und schon seit vielen Jahren. Da wird der neue Aufruf allerdings keine neue Qualität erreichen. Allgemeine ideologische Inszenierungen für Talkshows, Samstage auf den Marktplätzen und ähnliche Performances sollte dieses Bündnis im eigenen Interesse aber äußerst sparsam betreiben. Selbst dann, wenn die «trotzkistischen» Idealvorstellungen: «Gemeinsam schlagen – getrennt marschieren» oder «Einheit in der Aktion – Freiheit in der Agitation» nur wenig verletzt werden sollten.

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