von Hannes Lindenberg*
Am Pfingstwochenende lud das Bündnis Ende Gelände erstmals in die Lausitz ein, um dort in einer Aktion massenhaften zivilen Ungehorsams den sofortigen Kohleausstieg zu fordern und ein Zeichen für Klimagerechtigkeit, dezentrale erneuerbare Energieversorgung und einen sozial und ökologisch verträglichen Wandel unseres Wirtschaftssystems zu setzen. Das Ziel der Aktion wurde schon ein halbes Jahr vorher publik gemacht: die Blockade der Braunkohleförderung und Braunkohleinfrastruktur.
Nachdem im Jahr 2015 über 1200 Menschen im Rahmen von Ende Gelände an der Besetzung des von RWE betriebenen Tagebaus Garzweiler im Rheinland teilgenommen hatten und erstmals eine so massenhafte, nicht legale, aber durchaus legitime Aktion gegen die Braunkohle durchführten, war die Bilanz nicht nur bei den Aktiven äußerst positiv. Die Anti-Kohle-Bewegung bekam dadurch neuen Schwung, das mediale Echo war wegen des deeskalativen Verhaltens der Aktiven und des aggressiven Vorgehens von Polizei und RWE-Werkschutz sehr positiv. Nur wenige Monate nach der Aktion wurde deshalb im November beschlossen, 2016 in die Lausitz zu gehen.
Internationale Resonanz
Vattenfall betreibt im zweitgrößten Braunkohlerevier Deutschlands noch vier Tagebaue und drei Kraftwerke, verteilt auf das südliche Brandenburg und das nordöstliche Sachsen. Die rot-grüne schwedische Minderheitsregierung hatte schon im Herbst 2014 beschlossen, die besonders klimaschädliche Braunkohlesparte zu verkaufen, um die enormen Treibhausgasemissionen aus dem Portfolio streichen zu können. Dass ein Verkauf die Emissionen nur auf den neuen Besitzer überschreiben und nicht tatsächlich vermeiden würde, war jedoch absehbar. So gab sich die Ende-Gelände-Kampagne den Slogan «Wir sind das Investitionsrisiko!»
Genauso international wie der Verkaufsprozess gestaltete sich der Protest dagegen: Klimaaktivisten aus zwölf Ländern kamen per Reisebus zu Ende Gelände, um den Protest zu bereichern. Neben dem spezifischen Fokus auf die Braunkohle bettete das Bündnis seine Aktion in eine Reihe von Aktionen ein, die sich an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt gegen die Gewinnung und Verbrennung fossiler Brennstoffe wandte: «BreakFree 2016» stellte Anti-Kohle-Proteste aus den Philippinen, Südafrika und der Türkei in einen Zusammenhang mit Anti-Fracking-Protesten in Brasilien und den USA. Insgesamt fanden zwischen dem 4. und dem 15.Mai in zwölf Ländern mehr als zwanzig Aktionen statt. Dadurch sollte die internationale Bewegung im Kampf für Klimagerechtigkeit und gegen die fossile Industrie gestärkt werden.
Blockade des Tagebaus…
In Zahlen lässt sich die Aktion in der Lausitz wie folgt zusammenfassen: Mehr als 3500 Aktive aus ganz Europa beteiligten sich an einer über 48 Stunden dauernden Aktion. Alle fünf Blockadepunkte gemeinsam verhinderten 16000 Tonnen CO2-Emissionen. Einige Aktivisten, und sonst niemand, wurden verletzt, mehrere hundert Anzeigen sind gestellt.
Am 13.5. starteten mittags zwei größere Gruppen mit insgesamt 1500 Menschen in Richtung Tagebau Welzow-Süd, eine weitere Gruppe mit 500 Aktiven begab sich auf den Weg zur Verladestation des Tagebaus. Während erstere die direkte Abbaggerung der Kohle verhindern sollten, blockierten letztere die Kohlebahn. Denn selbst wenn der Tagebau stillsteht, reichen die unmittelbar daneben befindlichen Kohlesilos aus, die Kohlebahn für eine Woche auszulasten.
Auf dem Weg zu ihren jeweiligen Zielen trafen die Aktiven auf fast keine Polizei und ebenso wenig auf Werkschutz oder Vattenfallangestellte. Die verschiedenen Gruppen erreichten ihre Ziele ungestört und begannen, sich mit Planen und Strohsäcken auf eine längere Blockade vorzubereiten. Die Logistik zog nach, sogar Dixiklos und Essen aus dem Camp wurden zu den verschiedenen Blockadepunkten gebracht. An den am Freitag errichteten Blockaden sollte es in den kommenden 48 Stunden zu keinen Auseinandersetzungen kommen.
Neben den drei großen Gruppen blockierten zwei Kleingruppen mit Lock-Ons und einer Betonpyramide den Kohletransport aus den Tagebauen Jänschwalde und Nochten zum Kraftwerk «Schwarze Pumpe». Dieses Kraftwerk, etwa zehn Kilometer vom Camp entfernt, war somit weitestgehend von der Kohleversorgung abgeschnitten. Während die Lock-Ons in der Nacht zum Samstag geräumt wurden, beschäftigte die Betonpyramidenkonstruktion die Polizei noch den ganzen Samstag hindurch.
…und des Kraftwerks
Die begonnene Kraftwerksblockade avancierte am Samstag zum Schwerpunkt der Aktion. Vom Camp aus machten sich weit über 1000 Menschen auf den Weg zu neuen Gleisblockaden. Parallel dazu fuhren rund 700 Aktive mit Reisebussen und Fahrrädern bis zum Kraftwerk «Schwarze Pumpe» und blockierten dort die Kohlezugeinfahrten, sodass das Kraftwerk von Samstagmittag an von jeglichem Kohlenachschub abgeschnitten war. Am Nachmittag stürmten einige hundert Aktive das Kraftwerksgelände.
Diese Aktion rief erstmalig das erwartete Polizeiverhalten hervor. Hundertschaften kesselten die Aktivisten mit Hilfe von Schlagstock, Pfefferspray und Werkschutz ein und setzten rund 120 zur Personalienfeststellung fest; der Vorwurf lautet auf Landfriedensbruch und schweren Landfriedensbruch.
Die Gleisblockaden um die Schwarze Pumpe wurden jedoch aufrechterhalten, erst am Sonntag, als die gesamte Aktion nachmittags um drei vom Bündnis beendet wurde, lichteten sich die Reihen. Einige Aktive beschlossen, die Gleise weiter besetzt zu halten und wurden von der Polizei geräumt. Andere blieben noch bis Montag früh auf den Baggern im Tagebau, bevor sie diesen verließen. Über Nacht waren sie mehrmals von vermummten Personen und dem Werkschutz bedroht worden.
Das deeskalative Polizeikonzept entpuppte sich für die Effizienz der Blockade als sehr unterstützend und verhinderte, dass es zu größeren Auseinandersetzungen kam. Die Zahl der Verletzten (in Polizeiberichten ist von zwei Aktivisten die Rede) spricht für sich. So vermied das Land Brandenburg negative Schlagzeilen und Ende Gelände konnte die Aktion auf eine Vielzahl von Blockadepunkten ausweiten und somit die Kohleinfrastruktur im Umkreis des Kraftwerks Schwarze Pumpe sehr effektiv blockieren. Der Erfolg der Aktion entsprang nicht der Güte der Polizei, sondern war ein Ergebnis der schieren Masse der Beteiligten. Ein schlüssiges Polizeikonzept, mit dem knapp 4000 Menschen hätten gestoppt werden können, gab es offensichtlich nicht.
Reaktionen in der Lausitz
Während das Camp nahe dem von Abbaggerung bedrohten Dorf Proschim von den Anwohnern sehr freundlich aufgenommen wurde, zeigten Lausitzer andernorts ihre Unterstützung für die Braunkohle. Eine von Bürgermeistern und Landräten initiierte Demonstration in Spremberg sollte ein Zeichen gegen Gewalt in der Debatte um den Strukturwandel setzen. Sehr viel direkter war eine Spontandemo am Kraftwerk Schwarze Pumpe, von der aus Feuerwerkskörper und Flaschen auf die Blockierenden geworfen wurden. Die Ablehnung gipfelte in der Festsetzung von mehr als 50 Menschen, teilweise polizeibekannten rechtsmotivierten Straftätern, in Proschim am Abschlussabend der Aktion. Am selben Abend wurden zwei Aktivisten vermutlich von Rechtsextremen krankenhausreif geprügelt.
Die lokale Anti-Kohle-Bewegung war im vorhinein gespalten über die angekündigten Ende-Gelände-Aktionen. Einige Gruppierungen beschlossen, sich nicht an der Aktion und auch nicht am Klimacamp und an der angemeldeten Demo zu beteiligen. Dennoch vereinte jene Demo gegen neue Tagebaue und die Braunkohleindustrie etwa 1000 Menschen in Welzow. Es gab also durchaus Raum für legalen Protest, der von Lausitzern geschaffen und genutzt wurde. Doch selbst die Aktionen von Ende Gelände riefen bei jenen, die sich mit anderen Mitteln gegen Braunkohle engagieren, positive Reaktionen hervor. Der scheinbare «Bärendienst», den Ende Gelände dem legalen Braunkohleprotest erwiesen haben soll, wird zwar von Braunkohlebefürwortern immer wieder genannt, wurde aber von den lokalen Braunkohlegegnern in dieser Form nicht bestätigt.
Reaktionen in der Politik
Die Lokalpolitik versuchte schon Wochen vor den Aktionen, die Aktivisten als Gewalttäter zu brandmarken, und stellte dementsprechend die eigene Demonstration unter das oben genannte Motto. Die Bilder des niedergerissenen Zaunes von Schwarze Pumpe scheinen auszureichen, um auch die Landespolitik in den Kanon über die Gewaltverbrecher einstimmen zu lassen. Wenn dann noch Hartmuth Zeiß, Vorsitzender von Vattenfall Mining, von «Ökoterroristen» spricht, ist das Bild, das lokale und regionale Entscheidungsträger derzeit zeichnen, vollendet. Zwar beobachteten parlamentarische Beobachter der Grünen und der LINKEN die weitestgehend demonstrativ friedlichen Proteste, doch befinden sich beide Parteien auf der Brandenburger Landesebene gehörig in der Defensive. Die CDU wirft den Beobachtern gar vor, an den Protesten aktiv teilgenommen zu haben. Wie dieser Eindruck entstanden ist, bleibt wohl das Geheimnis der Christdemokraten.
Die Bedeutung für die Bewegung
Die diesjährige Ende-Gelände-Aktion war nicht nur von der Aktionsplanung und -logistik her ein riesiger Erfolg. In ganz Europa wurde mobilisiert, Busse aus allen umliegenden Ländern fuhren über 1000 Aktive in die Lausitz. Ende Gelände war eine Aktion, die die europäische Klimagerechtigkeitsbewegung zusammenbrachte, ihr den Spiegel vorhielt und klar kommunizierte: «Du bist bunt, vielfältig und wächst verdammt schnell!»
Diese relativ junge Bewegung erlebt nun zum zweiten Mal ein Gefühl der Selbstermächtigung, das auch vielen, die diesmal nicht dabei waren, klar signalisieren dürfte: Erstens bleibt der Kohleausstieg Handarbeit, und zweitens ist diese Handarbeit möglich und kann sogar Spaß machen.
Schon im November 2015 wurde beschlossen, 2017 mit einem Flächenkonzept den rheinländischen Antikohleprotest zu verstärken. Ein Baustein in diesem Konzept wird Ende Gelände sein. Das Ziel, durch radikale Massenaktionen auf die Risiken der Braunkohleverstromung hinzuweisen und den sofortigen Kohleausstieg umzusetzen, wird das gleiche bleiben. Dabei werden wir der wachsenden Bewegung weitere Interventionsmöglichkeiten bieten: Wir sind gekommen, um zu bleiben. Doch es hat sich dieses Jahr erneut gezeigt, dass eine politische Debatte zu der Thematik vor Ort fast nicht möglich ist. Zu groß ist die Bedeutung der Industrie und zu gering die Fürsprecher eines Strukturwandels. Die Verbreiterung des Bündnisses und die Fähigkeit, Dialoge anzustoßen, anstatt Hassreaktionen zu erzeugen, könnten mögliche strategische Ziele für das Jahr 2017 sein.
We are unstoppable, another world is possible!
* Hannes Lindenberg ist 25 Jahre alt, Student der Umweltwissenschaften und Barkeeper.
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