Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2016
Die alte soziale Frage neu stellen
von Manfred Dietenberger

In Deutschland geistert nervös die medial genährte Sorge um, die ankommenden Flüchtlinge und anderen Einwanderer würden «uns» das Geld aus dem Sack ziehen, «unseren» Sozialstaat plündern und «unsere» Arbeit und Wohnungen wegnehmen. Das freut die asozialen Reichen in diesem Land. Denn es nützt den Reichen und die Superreichen, wenn einheimische Arbeitslose, Migranten, Billiglöhner und Hartz-IV-Bezieher nicht gemeinsam die alte soziale Frage neu stellen. Doch genau das wäre notwendig.

Die Reichen sind es, die in Wirklichkeit auf unser aller Kosten leben: Den reichsten 10% der Haushalte in Deutschland gehören mehr als zwei Drittel des gesamten Vermögens. Damit lässt sich die alte Karnevalsfrage: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?, recht einfach beantworten: Die Reichen sollen zahlen! Das Merkel-Dogma «Keine Steuererhöhung, egal für wen» und die «Schwarze Null» von Wolfgang Schäuble sind das genaue Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen.

Die Flüchtlinge verweisen ja nur auf bereits vorhandene soziale Notlagen. Um sie zu beheben und den Sozialstaat für alle wiederherzustellen, brauchen wir höhere Steuern und Abgaben. Unsinn wäre allerdings die Einführung eines Flüchtlingssoli oder eine Erhöhung der Mineralölsteuer, wie sie Wolfgang Schäuble vorgeschlagen hat, das würde vor allem Geringverdiener treffen.

Nein, neue Steuern und Abgaben muss man denen zumuten, die sie tragen können. Denn das eigentliche Problem sind doch die deutschen Wirtschaftsflüchtlinge, die ihr Geld nach Panama oder in andere Steueroasen schaffen!

Nie willkommen
Der Gedanke an eine Sonderabgabe in gesellschaftlichen Notsituationen ist nicht neu – und war stets heiß umstritten.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stellte sich die Frage, wer für die explodierende Staatsverschuldung infolge der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Reparationsforderungen der Siegermächte aufkommen sollte. Ende 1921 wurde der Versuch unternommen, diese Last über höherer Verbrauchersteuern einseitig auf die Arbeiterschaft abzuwälzen. Dagegen forderte die KPD eine Erhöhung der Vermögensteuern und eine Erfassung der Sachwerte der Reichen. Es ihr ging dabei um die «Abwehr einer Verschlechterung der Lebenslage der breiten Massen» und die «Abwälzung aller Lasten auf die Besitzenden», so der damalige KPD-Vorsitzende Ernst Meyer in der Roten Fahne. Die KPD lehnte daher in den Parlamenten «alle die Lebenshaltung des Proletariats verschlechternden Steuern» ab.

Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg kam zur menschlichen auch die materielle Katastrophe hinzu, sie traf aber nicht alle Deutschen gleich hart. Besonders litten etwa 15 Millionen Flüchtlinge, Ausgebombte, Evakuierte und Häftlinge, die heimatlos umherirrten – unter ihnen 12 Millionen Heimatvertriebene aus dem Osten, die meist außer ihrem Leben nur die Kleidung auf ihrem Leib gerettet hatten. Mit jedem der ankommenden Flüchtlinge wuchs bei den Einheimischen die Angst vor wachsender Kriminalität.

Was den Flüchtlingen entgegenschlug, war alles andere als wohlwollende Aufnahme, war oft pure Fremdenfeindlichkeit. «Die Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen», erklärte der Redner Jakob Fischbacher, Mitgründer der Bayernpartei und des Bayerischen Bauernverbands auf dem Bauerntag in Traunstein am Ostersonntag 1947. Fischbacher sprach auch von «Blutschande» und meinte damit die Heirat zwischen bayerischen Bauernburschen und den «geschminkten Weibsen mit lackierten Fingernägeln» (gemeint waren Flüchtlingsfrauen), über die der Spiegel damals berichtete.

Überliefert ist auch ein unchristliches Schmähgebet aus dem Schwäbischen: «Herrgott im Himmel, sieh unsere Not / wir Bauern haben kein Fett und kein Brot / Flüchtlinge fressen sich dick und fett / und stehlen uns unser letztes Bett / Wir verhungern und leiden große Pein / Herrgott, schick das Gesindel heim.» Dieses Schmähgebet kursierte 1946/47 in Waiblingen und Aalen.

Angst vor Enteignung
Die Herrschenden trieb die Angst um, die Millionen um ihr Existenzminimum ringenden Menschen könnten das ganze kapitalistische System in Frage stellen. Selbst die CDU musste in ihrem Ahlener Programm 1947 feststellen: «Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.»

Kanzler Konrad Adenauer und andere Kapitalvertreter sahen in dieser Situation nur einen Ausweg, nämlich eine von ihnen kontrollierte Umverteilung des trotz der verheerenden Zerstörungen zurückgebliebenen Vermögens. Wer wenig verloren hatte, sollte etwas abgeben an die, die alles oder fast alles verloren hatten. Umstritten war vor allem, wer wieviel seines Vermögens abgeben sollte. Zahlungsverpflichtet wurden die Eigentümer von Grundstücken, Häusern und sonstigem Vermögen, außerdem Schuldner, denen durch die Währungsreform von 1948 ein großer Teil der Schuldensumme erlassen worden war. Ihnen wurde eine Abgabe auf Hypotheken- und Kreditgewinne abverlangt, den übrigen eine Vermögensabgabe.

Da sie innerhalb von 30 Jahren in vierteljährlichen Raten zu zahlen war, wurde die Vermögenssubstanz in den meisten Fällen nicht angegriffen – zumal die Abgabe dem mit der Zeit steigenden Vermögenswert nicht angepasst wurde. Die Vermögensabgaben wurden durch Kreditaufnahmen und staatliche Haushaltsmittel ergänzt und in einem Ausgleichsfonds gesammelt. Einschließlich der Soforthilfe wurden über diesen Lastenausgleich insgesamt Leistungen in Höhe von über 140 Milliarden Mark gewährt, zuzüglich über 17 Milliarden für Vorfinanzierung und Darlehensverwaltung.

Die Spätaussiedler, deren Zuzug im Jahr 1990 mit mehr als 400000 einen Höhepunkt erreichte, waren bis zum Jahr 1993 lastenausgleichsberechtigt. Der Einigungsvertrag von 1990 enthielt Regelungen zum Lastenausgleich für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern, die aber als restriktiv und verbesserungsbedürftig kritisiert und durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts korrigiert wurden.

Die Reichsten belasten
Bundespräsident Richard von Weizsäcker brachte den Begriff Lastenausgleich zugunsten der neuen Bundesländer im Jahr 1992 erneut ins Spiel. Dafür sollten die Erträge aus Kapitalvermögen mit einer Abgabe belastet werden. Diese Idee fand aber sowohl bei der Wirtschaft als auch bei der Bundesregierung keine Unterstützung. Statt einer Sondersteuer auf Vermögen wurde schließlich eine Solidarabgabe von zunächst 7,5% der Einkommensteuer beschlossen.

Heute geht es wieder um eine Vermögensumverteilung, nicht allein für die Flüchtlinge, sondern um die sozialen Notlagen hierzulande stemmen zu können, denn schon bevor der erste Flüchtlinge bei uns ankam, gab es Armut im reichen Deutschland. Möglichkeiten dazu:

– Kürzungen im Rüstungsetat: Die deutschen Soldaten werden von ihren Auslandseinsätzen zurückgeholt und die Rüstungsausgaben drastisch gesenkt. Für die kommenden Jahre wären vor allem Gelder aus dem «Verteidigungs»haushalt frei zu machen.  Geplant ist aber, dass er 2016 um 1,4 Mrd. auf 34,4 Mrd. Euro steigen soll – und mit dem zusätzlichen Bundeswehreinsatz in Syrien, in Mali und der wieder verstärkten Präsenz in Afghanistan kommen weitere Milliarden hinzu. So werden durch Kriegseinsätze nur neue Flüchtlinge geschaffen.

– Eine Vermögensteuer für Superreiche: also das reichste Tausendstel der Bevölkerung, insgesamt 40000 Haushalte, das heute 17% des gesamten Privatvermögens in Deutschland besitzt, also etwa 1,5 Billionen Euro. Würde man diese «obersten Zehntausend» nur mit 2% besteuern, kämen im Jahr 30 Milliarden Euro zusätzlich zusammen – und das würde nur die weitere Aufschatzung dieser Megavermögen etwas verlangsamen, was auch ökonomisch sinnvoll wäre. Das Geld ließe sich auch in Form einer Lastenausgleichsabgabe (LAG) erheben.

– Anhebung des Spitzensteuersatzes: Ab einem Jahreseinkommen von über 500000 Euro könnte der Spitzensteuersatz von jetzt 45% auf 60% erhöht werden (in der gesamten Nachkriegszeit bis 1999 betrug er 53% bzw. 56%). Das brächte schätzungsweise zusätzliche Einnahmen von 10 Milliarden Euro.

– Steuerflüchtlinge stoppen: Es gibt Flüchtlinge, die uns wirklich teuer zu stehen kommen, die Steuerflüchtlinge. Würde dieser Flüchtlingsstrom gestoppt, hätten wir weitere Milliarden für Soziales.

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