von Gerhard Klas
Geht es nach einer neuen EU-Richtlinie, der im April die Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament zustimmte, laufen Journalisten und ihre Quellen, die etwa an den Enthüllungen über die Briefkastenfirmen in Panama beteiligt sind, künftig das Risiko, strafrechtlich verfolgt zu werden.
Auf Betreiben zahlreicher europäischer Arbeitgeberverbände und Konzerne hat die EU-Kommission 2013 eine Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vorgelegt. «Europäische Unternehmen sind zunehmend der Veruntreuung von Geschäftsgeheimnissen ausgesetzt», argumentiert die EU-Kommission. Mit der neuen Richtlinie will sie einen EU-Mindeststandard etablieren, der dann von den Parlamenten der Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden soll. Sie lässt Spielraum für eine sehr weitgehende Interpretation von «Geschäftsgeheimnissen» und könnte drastische Haft- und Geldstrafen zur Folge haben.
In einem Akt vorauseilenden Gehorsams hatte die französische Regierung im Januar 2015 bereits einen entsprechenden Gesetzesvorschlag veröffentlicht und nach heftigen Protesten, vor allem von Journalisten, wieder zurückgezogen: Bis zu drei Jahren Haft und 375000 Euro Geldstrafe sollten demnach für die Weitergabe von «Geschäftsgeheimnissen» verhängt werden können.
Der Verrat von Geschäftsgeheimnissen ist in vielen Ländern der EU strafbar. Aber oft wird darüber gestritten, ob es auch Verrat ist, wenn z.B. Whistleblower Dokumente von öffentlichem Interesse an die Presse weiterreichen. Ein Beispiel dafür sind die «Luxemburg-Leaks», die die massive Steuerhinterziehung zahlreicher Konzerne und die Beihilfe des luxemburgischen Staates öffentlich gemacht haben. Der französische Journalist Edouard Perrin und der Whistleblower Antoine Deltour werden dafür strafrechtlich verfolgt. Die neue Richtlinie könnte ein solches Vorgehen künftig zum Standard machen.
Viele Gewerkschaften in Europa, aber auch Journalistenverbände, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, forderten die Abgeordneten des EU-Parlaments auf, gegen die Richtlinie zu stimmen. Zwar wurde der nun abzustimmende Text im Vergleich zum Entwurf von 2013 an einigen Stellen modifiziert und die EU-Kommission behauptet, weder «Meinungs- und Informationsfreiheit» noch «Whistleblower» seien durch die neue Richtlinie gefährdet, die ausschließlich Fälle in Verbindung mit «Spionage, Diebstahl und Bestechung» ahnden solle.
Die Appelle verhallten, die Konzernlobby siegte: Der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament reichte dieses Bekenntnis, und sie stimmte zusammen mit Konservativen und der Gruppe «Europa der Nationen» – dazu gehören u.a. die französischen Rechtsextremisten der Front National – für die Richtlinie. Die Liberalen waren gespalten, dagegen stimmten Linke und Grüne.
Unter anderem dem DGB gehen die Zugeständnisse der EU-Kommission allerdings nicht weit genug. Sie habe nichts «gegen den Schutz vor Industriespionage», erklärte Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand. Aber die vorliegende EU-Richtlinie schieße weit über dieses Ziel hinaus und überlasse die Entscheidung darüber, was ein Geschäftsgeheimnis sei, den Unternehmern. So würde das bisherige Rechtsverständnis in der Bundesrepublik auf den Kopf gestellt. Hierzulande gebe es «objektive Kriterien» und die Unternehmen müssten in einem Rechtsstreit ein «legitimes Schutzinteresse» nachweisen, wenn sie etwas als «Geschäftsgeheimnis» deklarieren. Das falle durch die Richtlinie weg. Als Beispiel nannte Buntenbach den Abgasskandal, den VW nach der Definition der EU-Richtlinie einfach zum «Geschäftsgeheimnis» erklären könne.
Es geht nicht nur um Steuer- und Umweltskandale. In der Online-Petition «Stop Trade Secrets», die vom Vorsitzenden des Europäischen Gewerkschaftsbunds und zahlreichen Gewerkschaftsverbänden aus Italien, Frankreich, Belgien und Spanien, sowie dem Chaos Computer Club und der Internationalen Journalistenföderation erstunterzeichnet ist, wird u.a. davor gewarnt, dass die Veröffentlichung und Weitergabe von «Informationen über strategische Unternehmensentscheidungen, Veräußerungen, Übernahmen, Sozialpläne, Standortwechsel, Auslagerung von Geschäftstätigkeiten an Tochter- und Subunternehmen» nach der neuen Richtlinie dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien.
Am 17.Mai nickte der Europäische Rat die Richtlinie ab. Nun muss sie noch von den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden.
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