von Michael Sankari
Die Arbeitszeiten sollen flexibler werden. Der 8-Stunden-Tag sei unter heutigen Bedingungen unrealistisch. Wir bräuchten eine in den Betrieben «ausgehandelte Flexibilität» der Arbeitszeitregelungen. Und wir bräuchten keine Bewegung der Lohnabhängigen, sondern einen «neuen sozialen Kompromiss», der sich an die technischen Möglichkeiten anpasst. Wenn Nahles vom «Korsett des Arbeitszeitrechts» spricht, weiß sie, wer hier in den meisten Fällen über «das Korsett» klagt: Die Unternehmen, die eine passgenaue Verfügbarkeit ihrer Arbeitskräfte haben wollen.
Die Möglichkeit für Einzelne, sich tatsächlich Zeitsouveränität zu verschaffen, wird zwar oft herbeigeredet, ist im Alltag vieler Menschen aber nur ein schlechter Witz – in Betrieben, in denen das Konzept Sozialpartnerschaft gelebt wird, sowieso: Hier kommt nur durch, wer sich ganz dem Unternehmen hingibt, den Standort Deutschland als gemeinsamen Nenner gefunden hat und dem klar ist, dass die Ansprüche an den Einzelnen stetig wachsen.
Eine weitere bekannte Nebelkerze ist der Schutz durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen erst verändert, kommen auch willige Betriebsräte an ihre Grenze. Richtig ist: Betriebsräte haben Möglichkeiten, Spitzen zu glätten und Beschäftigten einen besseren Verhandlungstand zu verschaffen. Falsch ist: Betriebsräten die Möglichkeiten einer «Verhandlung auf Augenhöhe» anzudichten. Welche Kompromisse möglich sind, ist durch gesetzliche und tarifliche Rahmenbedingungen bestimmt.
Für manche in den Verwaltungen der Unternehmen und Behörden ist Flexibilisierung durchaus heute schon ein Segen. Die Excel-Tabelle ist geduldig und der Abgabetermin steht fest. Anders in der Produktion, die stetigen, teilweise radikalen, Schwankungen unterliegt, wo die Maschine und die vor- und nachgelagerten Prozesse unnachgiebig den Takt angeben und jede Liegezeit zum Vorwurf wird. Daraus entstehen dann Regierungsprojekte wie «Industrie 4.0», und die IGM sitzt auch noch verständnisheuchelnd mit am Tisch.
Arbeitszeit verkürzen?
Linke fordern bei Angriffen auf die Arbeitszeit gerne reflexartig die Senkung der Arbeitszeit auf X Stunden, natürlich bei vollem Lohnausgleich. Moralisch ist dies für jeden denkenden Menschen ein nachvollziehbarer Standpunkt. Nur werden wir in der Zeit, die bleibt, bis das Arbeitszeitgesetz überarbeitet ist, wohl kaum eine Bewegung aufbauen, die den Teil mit dem «vollen Lohnausgleich» durchzusetzen vermag. Da haben sich schon Generationen vor uns unter besseren Bedingungen die Zähne ausgebissen.
Eine Arbeitszeitsenkung ohne Lohnausgleich wäre allerdings fatal. Schon heute gibt es mittelständische Unternehmen, die großflächig mit sogenannten Teilzeitstellen in der Produktion arbeiten. Gekoppelt mit einer entsprechenden Betriebsvereinbarung sieht die Realität dann so aus: Eine 20-Stunden Stelle mit der Möglichkeit, bis zu 60 Stunden die Woche zu arbeiten, die Plusstunden gehen auf das Flexzeitkonto und können in jeder Krise oder Auftragsflaute abgebaut werden. Super. Lohn halbiert, dafür Arbeitsplatzsicherung. Heute noch Randerscheinungen, können solche Regelungen bei entsprechender Gesetzgebung erleichtert werden.
Wichtiger als eine Senkung der Arbeitszeit ist heute, die maximale Arbeitszeit pro Tag und Woche festzulegen: 8 Stunden am Tag, 40 Stunden die Woche wären für viele ein wahrer Segen. Aber auch hier kann das Ergebnis schnell eine Ertragssteigerung durch Arbeitszeitsenkung und entsprechende Arbeitsverdichtung werden: weniger Minipausen, mehr Effektivität, mehr Leistungsdruck in der Zeit am Arbeitsplatz.
Da bleiben wir doch lieber faul und unflexibel – zumindest in der Lohnarbeit.
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