von Tobias Michel*
Solidarität mit den Flüchtlingen! Auf dem Papier ist das leichter. Kompliziert wird’s, wenn wir in den konkreten betrieblichen Verhältnissen auch dieses Thema nicht der Personalchefin überlassen wollen.
Der Auftrag
Es gab bereits früher Einwanderungswellen, mal im Zuge von Vertreibungen, mal aufgrund von Anwerbeaktionen der Unternehmer und ihrer Behörden. Das gab Streit, auch in den Betrieben. Also haben die Gesetzgeber – und in ihrem Gefolge die kirchlichen Nachahmer – die Bearbeitung dieser Konflikte in die betriebliche Verfassung aufgenommen.
Der Personalrat bekam die allgemeine Aufgabe, «die Eingliederung ausländischer Beschäftigter in die Dienststelle und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Beschäftigten zu fördern» (§68 Bundespersonalvertretungsgesetz). Ganz ähnlich lesen wir es in den Kirchengesetzen, in §35 MVG und §26 MAVO. Eingliederung in die Dienststelle – das verstehen wir als klaren Auftrag: Arbeitsplätze für Flüchtlinge schaffen! Doch die feinsinnigen Arbeitsrechtler lesen uns vor: «ausländische Beschäftigte». Erst wenn die Eingewanderten eine Beschäftigung gefunden haben, erst dann soll deren gesetzliche Interessenvertretung sich kümmern dürfen.
Die Betriebsräte in den übrigen Betrieben lesen es nicht weniger hilflos. Sie haben «die «Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern, sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu beantragen» (§80 Betriebsverfassungsgesetz). Die Mitbestimmung beginnt bereits vor der Einstellung, denn der Betriebsrat ist bereits bei der Personalplanung, Stellenplanung und Auswahl zu beteiligen. Erst mit etwas Mut deuten aktivistische Kolleginnen und Kollegen dies als Handlungsauftrag.
Der Anlass
Mindestens viermal im Jahr, auf der Betriebsversammlung, können wir fast alles die Tagesordnung setzen. Doch viele Betriebsräte sehen darin weniger eine Chance als eine Belastung. Sie versäumen, zu diesen Versammlungen einzuladen. Und wenn doch, dann stellen sie die kalten Kartoffeln in der Kantine oder die überfüllten Firmenparkplätze in den Mittelpunkt.
Den Bogen zu schlagen von den Widersprüchen im betrieblichen Biotop zur Erklärung von Wirkung und Ursache, zur Einordnung von oben und unten, das gelingt derzeit nur wenigen. Die Betriebsräte sehen oft nicht einmal die Notwendigkeit, ihre betreuenden Gewerkschaftssekretärinnen können es nur selten vormachen.
Dann endlich muss der Chef selbst in die Bütt. Dazu zwingt ihn das Gesetz: «Der Arbeitgeber oder sein Vertreter hat mindestens einmal in jedem Kalenderjahr in einer Betriebsversammlung über das Personal- und Sozialwesen einschließlich des Stands der Gleichstellung von Frauen und Männern im Betrieb sowie der Integration der im Betrieb beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer, über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Betriebs sowie über den betrieblichen Umweltschutz zu berichten» (§43 BetrVG). Und die Beschäftigten dürfen da auf Defizite hinweisen und nachbohren. Sie dürfen sogar Initiativen einbringen und darüber abstimmen lassen. Denn in diesen Versammlungen sind sie der Souverän.
Der Inhalt
Der Ansatzpunkt für die betrieblichen Initiativen ist derselbe wie vor 20 oder 40 Jahren. Neue Beschäftigte brauchen Qualifikation, um am Arbeitsplatz, im Betrieb und in der Belegschaft nicht über den Tisch gezogen zu werden oder gar unter die Räder zu kommen. Unter www.dgb-bestellservice.de hält der DGB mit dem Stichwort «Wissen ist Schutz» kostenlos hübsche Faltblätter bereit, auf Arabisch, Englisch und Französisch. Der Untertitel mag aufhorchen lassen: «Was Geflüchtete wissen sollten, um in Deutschland erfolgreich zu arbeiten.» Doch dann beschränkt sich die Ertüchtigung doch auf einen einfachen und wichtigen Überblick über das deutsche Arbeitsvertragsrecht.
Die wichtigste Qualifikation ist die Sprache. Ehe die Ärztin oder der Arzt, die aus dem Ausland zu uns kommen, zugelassen werden, führen die Ärztekammern Fachsprachprüfungen durch. Sie ordnen dabei die neuen Kolleginnen in eine der sechs Kompetenzstufen ein, von A1 bis C2. In den Bundesländern wird – je nach Facharztmangel – das verlangte Niveau nach unten angepasst. Das Erlernen bleibt Privatsache. Doch kaum im Betrieb, werden ihre Fremdsprachkenntnisse unbekümmert abgefordert, um Patienten und Angehörigen aus ihrer Herkunftsregion zu versorgen.
Sprache ist nicht nur für Ärzte, sondern für die gesamte Belegschaft eine Qualifikation. Auf der Betriebsversammlung können wir da, nach der Grundsatzrede des Geschäftsführers, gut anknüpfen. Hat er doch gerade so klug über Outsourcing, den Workshop zum Corporate-Governance-Kodex, den guten Casemix und über das Delta zwischen seinen Zielmargen und der Bereichsperformance schwadroniert! Wir brauchen ganz offensichtlich einen Sprachkurs während der Arbeitszeit: zunächst einen für ihn, und dann einen für uns, um unsere Manager zu verstehen. Und wir wollen unseren jährlichen Bildungsurlaub nicht noch für einen von uns selbst bezahlten Kurs «Türkisch am Krankenbett» ausgeben.
Noch ungeheuerlicher wird es, wenn bereits im Arbeitsvertrag der Besuch von Deutschkursen mit einer Rückzahlungsklausel der Kurskosten gekoppelt wird. Dies ist oft bereits als unangemessene Benachteiligung (Arbeitsgericht Potsdam, 6 CA 1442 12 – 13.1.2016) unwirksam. Meist hat der Chef auch vergessen, dass der Tarifvertrag, zum Beispiel in §5 TVöD, zusätzlich besondere Mitbestimmungsrechte vorsieht, so darf der Betriebsrat auch bei jeder Qualifizierungsmaßnahme mitbestimmen, dies betrifft auch Eingliederung von Flüchtlingen. Die Arbeitgeber sollen bezahlen, was sie brauchen. Denn es ist ihr Betrieb, noch.
Die Grenze
Praktika zur Orientierung sind eine feine Sache. Da wechseln junge Eingewanderte im Wochenrhythmus durch die einzelnen Abteilungen, Bereiche und Berufe. Ziel ist es, eine Idee von den Anforderungen und Bedingungen an diesen Arbeitsplätzen zu bekommen. Doch Vorsicht: Oft tarnt der Chef einen monatelanger Arbeitseinsatz als gutherziges Angebot. Arbeit für ein Taschengeld, das kann und muss ein orientierter Betriebsrat verhindern. Die Bundesarbeitsministerin Nahles will, dass Asylbewerber während des Wartens auf ihren Asylbescheid schon «etwas Vernünftiges tun». Sie will die Aufwandsentschädigung bei 1-Euro-Jobs für Flüchtlinge auf 80 Cent in der Stunde drücken.
Die Verweigerung der Zustimmung zu solcher «Integration» könnte als Fremdenfeindlichkeit aufgefasst werden. Der aktive und gut orientierte Betriebsrat stimmt daher der Eingliederung der neuen Kollegen immer zu. Und er macht das auch öffentlich. «Wir sind offen für die neuen Kolleginnen!» Doch im zweiten Schritt widerspricht er deren tarifwidriger und unwürdiger «Eingruppierung». Denn Integration darf nicht verwechselt werden mit der Einschleusung von Armutslöhnern in den Betrieb.
* Der Autor ist gewerkschaftlich aktiv in Krankenhäusern und Heimen; er mag seine Erfahrungen nicht auf andere Branchen übertragen.
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