von Martin Künkler*
Die sog. «Vereinfachungen» in der Hartz-IV-Gesetzgebung, die im Haus Nahles erarbeitet wurden, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Verschlechterungen. Sie mindern den Verwaltungsaufwand – auf Kosten der Leistungsbeziehenden.
Nun ja, einen Rückzieher musste die Bundesarbeitsministerin machen: Nach deutlichem Protest von Sozial- und Wohlfahrts- sowie Verbänden Alleinerziehender musste sie eine geplante faktische Kürzung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder von Alleinerziehenden zurücknehmen. Ursprünglich hatte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) vor, die Kinderregelsätze per Gesetz generell für die Abwesenheitstage zu kürzen, in denen sich das Kind zu Besuch beim umgangsberechtigten Elternteil aufhält. Dieser Rückzieher ist ein schöner politischer Erfolg der Verbände!
Doch beinhaltet der Gesetzentwurf neben einigen kleineren Verbesserungen – so sollen beispielsweise Hartz-IV-Leistungen künftig nicht gepfändet werden können – eine ganze Reihe sozialpolitisch völlig inakzeptabler Verschlechterungen.
Aufstocker sind die großen Verlierer
Gerade Erwerbstätigen, die ergänzend Hartz IV beziehen müssen, drohen erhebliche finanzielle Einbußen. Bei Hartz IV wird dem rechnerischen Leistungsanspruch, also der Summe aus Regelsatz und Wohnkosten, das vorhandene Einkommen gegenübergestellt. Die Differenz wird ausgezahlt. Vom Einkommen können einige Absetz- und Freibeträge abgezogen werden, was den Zahlbetrag erhöht.
Gleich an drei Stellen sollen nun die Absetz- und Freibeträge für Aufstocker verschlechtert werden:
- Bekommt man etwa für drei Monate den Lohn nachgezahlt, gelten die Absetz- und Freibeträge nur einmal für den Monat der Auszahlung und nicht dreimal.
- Wenn das Jobcenter einen vorläufigen Bescheid ausstellt, soll der besondere Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von bis zu 230 Euro monatlich zukünftig unberücksichtigt bleiben können. Vorläufige Bescheide gibt es oft bei schwankenden Einkommen. Damit fehlen den Aufstockern bis zu 230 Euro jeden Monat. Im «günstigen Fall» wird das Geld endlich irgendwann beim endgültigen Bescheid nachgezahlt. Im ungünstigen Fall fällt der Freibetrag ganz unter den Tisch, denn eine Endabrechnung einschließlich des Freibetrags soll nur dann verpflichtend stattfinden, wenn der Aufstocker dies auch beantragt.
- Zudem soll ein Absetzbetrag für allgemeine Werbungskosten in Höhe von 15,33 Euro monatlich ersatzlos gestrichen werden – ein Verlust von 180 Euro aufs Jahr gerechnet. Dies alles reißt tiefe Löcher in die Haushaltskasse.
Weniger Leistungen, weniger Rechte
Auch in anderen Bereichen drohen erhebliche Verschlechterungen:
Das Existenzminimum ist zukünftig nicht mehr für alle Frauen im Mutterschutz garantiert. Denn zu Beginn des Mutterschutzes soll keine neue Bedarfs- und Leistungsberechnung mehr stattfinden, sondern fiktiv angenommen werden, dass das Einkommen in der Mutterschutzzeit genauso hoch ist wie das Erwerbseinkommen zuvor. Das trifft aber gar nicht auf alle Mütter zu.
Statt die Sanktionen zu entschärfen, wird eine neue, zusätzliche Strafe eingeführt: Wem unterstellt wird, er unternehme nicht genug, um (mehr) eigenes Einkommen zu erzielen, der soll die Hartz-IV-Leistungen ans Jobcenter zurückzahlen müssen! Dies erhöht abermals den Druck, auch prekäre und schlecht entlohnte Arbeit annehmen zu müssen.
Die Kommunen sollen künftige starre Obergrenzen für die Warmmiete festlegen dürfen. Damit entfällt die heute verpflichtende Einzelfallprüfung der Heizkosten. Hohe Heizkosten, etwa aufgrund schlechter Wärmedämmung, die über der Obergrenze liegen, müssten dann aus dem Regelsatz bezahlt werden oder in langwierigen Verfahren vor Gericht durchgesetzt werden.
Auch soll der Zeitraum verkürzt werden, für den ein Jobcenter zu Unrecht vorenthaltene Leistungen nachzahlen muss. Beruft sich ein Leistungsberechtigter auf ein günstiges, höchstrichterliches Urteil, dass auch für seinen eigenen Fall zutrifft, dann müssen bisher Leistungen für das laufende und das vergangene Jahr nachgezahlt werden. Zukünftig soll der Nachzahlungsanspruch erst ab der Gerichtsentscheidung bestehen.
Bei der Zwangsverrentung sollen die Daumenschrauben angezogen werden. Schon heute können die Jobcenter Leistungsberechtigte auffordern, eine Rente mit Abschlägen zu beantragen und sogar den Rentenantrag selbst stellen. Künftig sollen die Hartz-IV-Leistungen ganz entzogen werden, wenn jemand seinen Mitwirkungspflichten gegenüber dem Rententräger nicht nachkommt.
Es reicht. Hartz IV bedeutet schon heute Armut und Ausgrenzung. Die Rechtsposition der Leistungsbezieher gegenüber den Jobcentern ist deutlich schlechter als bei anderen Sozialleistungen. Weitere Verschlechterungen sind völlig inakzeptabel.
Nebelkerzen
Das Arbeitsministerium (BMAS) wird nicht müde zu behaupten, man wolle doch nur vereinfachen, entbürokratisieren und Rechtssicherheit schaffen. Dabei schreckt das BMAS in seiner Öffentlichkeitsarbeit auch vor unzutreffenden Behauptungen nicht zurück: In einem mehrseitigen «Faktenpapier» rechtfertigt das BMAS die geplanten Änderungen, «die sowohl Leistungsbezieherinnen und -beziehern als auch Jobcentern zu Gute kommen». Teile des Gesetzentwurfs würden «unvollständig oder falsch» wiedergegeben.
Bezogen auf die zuletzt beschlossenen Änderungen am Gesetzentwurf heißt es sogar, dass es nicht «zu einer Verschlechterung für die Betroffenen komme». Diese Behauptung ist jedoch falsch, wie etwa die geplante Verschärfung bei der Zwangsverrentung zeigt. Die von uns kritisierten, im Gesetzentwurf nachlesbaren Einschnitte beim Erwerbstätigenfreibetrag streitet das BMAS einfach ab (Berliner Zeitung vom 14.4.2016). Statt sich inhaltlich mit der Kritik auseinanderzusetzen, werden Sachverhalte einfach geleugnet. Das ist ganz schlechter Stil.
Ausgang offen
Das Hartz-IV-Änderungsgesetz soll in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause vom Bundestag am 23.6. endgültig verabschiedet werden. Der Bundesrat soll am 8.Juli abstimmen. Die Bundesregierung hat nahezu alle Änderungsvorschläge des Bundesrats, insbesondere die Entschärfung der Sanktionen, zurückgewiesen. Im Bundesrat hat die Regierungskoalition jedoch keine eigene Mehrheit. 49 der 69 Stimmen im Bundesrat entfallen auf Bundesländer mit Regierungen, an denen Grüne oder LINKE beteiligt sind. Grüne und LINKE lehnen – zumindest auf Bundesebene – das Gesetz ab. Der Ausgang der Entscheidung im Bundesrat ist somit völlig offen.
* Martin Künkler ist Mitarbeiter der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS).
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